Barbarensprachen
Die Griechen der alexandrinischen Zeit fanden die schönste Übereinstimmung vor zwischen ihrer neuen Grammatik und ihrer nicht viel älteren Logik. Merkwürdig kann diese Übereinstimmung für uns nicht sein; denn in beiden Disziplinen hatten sie doch nur einen und denselben Stoff, die Sprache, in Abstraktionen aufgelöst. Logik und Grammatik unterschieden sich bei ihnen nicht mehr als Begriff und Wort. Also eigentlich gar nicht.
Weil den Griechen nur ihre eigene Sprache Gegenstand der Beobachtung war, weil ihnen alle anderen Sprachen barbarisch, also in jeder Beziehung wertlos erschienen, darum fiel für sie griechische Grammatik und Sprachwissenschaft völlig zusammen. Und wie immer die Logik einer Zeit dem Stande der Sprachwissenschaft entspricht, so war die griechische Logik nichts anderes als griechische Grammatik. Und diese griechische Grammatik, unter logischen Gesichtspunkten geordnet, ist im wesentlichen das, was heute noch die Jugend der oberen Zehntausend als Logik lernen muß.
Die neue Sprachwissenschaft unterscheidet sich von der alten hauptsächlich durch den Umstand, dass der Begriff der Barbarei immer seltener auf fremde Völker angewandt wird. Schon die Römer, welche den Begriff der Barbarei doch besaßen, nahmen die Griechen davon aus und dürften wohl auch z. B. die Ägypter nicht als Barbaren betrachtet haben. Im Mittelalter betrachteten die christlichen Nationen einander trotz aller Kriege nicht mehr als Barbaren; die fremde Sprache war nicht mehr entscheidend. Die Christenheit umschloß einen Bund von Völkern, der erst die Nichtchristen als wilde Völkerschaften ansah. In neuester Zeit gar (ich möchte diese Weltanschauung für Deutschland auf Georg Forster zurückführen) bemühen sich Reisende und Ethnographen, die Seele auch der sogenannten wilden Völkerschaften zu verstehen, und es wird nicht lange dauern, so wird man von "Wilden" ebensowenig sprechen, als gebildete Leute heute von "Heiden" sprechen. Wenn irgendwo die Menschenfresserei noch zu den religiösen Vorschriften gehört, so muß sich die Anthropologie mehr und mehr bemühen, diese Tatsache zu beschreiben, anstatt sie moralisch zu beurteilen.
So gut nun die verschiedenen Völker sonst verschiedene Gewohnheiten haben, so besitzen sie auch verschiedene Stile im Bau ihrer Sprache. Unsere Sprachwissenschaft hat aufgehört, sich auf die Grammatik unserer Muttersprache zu beschränken. Wir wissen jetzt, dass es Völker gibt, die in Sprachen reden oder denken, denen die allerprimitivsten logischen Unterscheidungen fehlen, die z. B. keine Bezeichnungen für Art und Gattung oder für die Wortklassen des Dings und der Eigenschaft besitzen. Es gibt ferner Sprachen, deren Verba Formen entwickelt haben, die sich ganz und gar nicht mit unserer logischen Grammatik decken, wir brauchen dazu gar nicht zu den Chinesen zu gehen; auch das slawische Verbum besitzt Formen, z. B. für die Stärke der Handlung.