Logik der Sprache
In ähnlicher Weise erscheinen uns die gebräuchlichsten Worte unserer Muttersprache natürlich und gewissermaßen innerlich notwendig und ebenso ihre Formen. Besonders auch alle Worte für weite Kategorien. Eine wissenschaftliche Klassifikation der Wirklichkeitswelt ist bis heute nicht gelungen und kann nach dem Wesen der Sprache niemals gelingen. Aber eine oberflächliche, populäre Klassifikation, ein vorläufiges System von Fächern und Kasten ist in jeder Sprache vorhanden, und wir sind geneigt, diesen Kategorien logische Notwendigkeit zuzuschreiben, sowie wir die Laute als eine sprachliche Notwendigkeit empfinden. Das Wort Pflanze ist erst aus dem Lateinischen zu den Germanen gekommen; das Wort Tier war ursprünglich ein Adjektiv mit der Bedeutung "wild", so dass in alter Zeit das Tier vom Vieh, dem Haustier, der nutzbaren Herde, unterschieden wurde. (Engl, "deer"; man denke an unser "Tiergarten".) Beide Worte sind sonach in ihrer gegenwärtigen Bedeutung in der deutschen Sprache noch verhältnismäßig jung. Dennoch haben wir bereits ein Sprachgefühl für sie, und der ungelehrte Mann fühlt sich gedrängt, im Tierreich und im Pflanzenreich notwendige Kategorien der Natur zu erblicken. Auch sträubt sich die Sprache gegen die Bezeichnung eines Zwischenreichs, wie denn eine jede neue Einsicht, Beobachtung oder Entdeckung die gewohnte Sprache sprengt und damit das Gefühl verletzt, welches die Sprache zusammenhält. Die Sprache ist die konservativste Macht. Darin liegt vielleicht der Hauptgrund für die Erscheinung, dass sonst ganz gute und ehrliche Menschen sich so vor jeder neuen Wahrheit entsetzen. Jede neue Wahrheit ändert die Sprache, und die Sprache will sich nicht ändern lassen. Usus tyrannus.
Wir sehen also, dass im Sprachgefühl ein doppelter Glaube enthalten ist: der Glaube an die Notwendigkeit der Laute und der Glaube an die logische Notwendigkeit der Begriffe. Wir wollen uns aber um die Zweiteilung nicht weiter bekümmern. Worauf es allein ankommt, das ist die Beziehung eines Wortes zu den Sinneseindrücken, an welche es am Ende aller Enden erinnert. Was wir logische Beziehungen nennen, das sind doch nur Zwischenglieder in dieser Erinnerung, welche selbst wieder durch die Entwicklung der Sprache entstanden sind. Dies muß ganz besonders festgehalten werden. Es ist eine zufällige Form unserer Sprache und der ihr nächst "verwandten", dass wir für die Merkmale der Objekte, für ihre sogenannten Eigenschaften, einen besonderen Redeteil gebildet haben, das Adjektiv. Es gibt Sprachen, in denen diese Merkmale, die wir für logisch notwendig halten, anders ausgedrückt werden. Ebenso ist das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat, das uns als die Grundlage alles Denkens erscheint, doch nur ein Produkt der Sprache und dann wieder ein Teil unseres Sprachgefühls.