Sassetti und Friedrich von Schlegel
Die vergleichende Sprachwissenschaft der Gegenwart ist also — wie gesagt — nichts anderes als die Ausführung des Aperçus, dass zahlreiche Stammsilben des Sanskrit mit Stammsilben vieler europäischer Sprachen Ähnlichkeiten haben und dass man ein Recht habe, alle diese Sprachen miteinander zu vergleichen. Die Geschichte dieses Aperçus ist die Geschichte der modernen Sprachwissenschaft. Solche Aperçus sind oft gemacht worden, wie z. B. bei der Vergleichung des Hebräischen und des Lateinischen; sie stellten sich als lächerliche Einfälle heraus. Die Ähnlichkeit zwischen dem Sanskrit und den europäischen Sprachen ist zum erstenmal ebenfalls schon im 16. Jahrhundert (von Philippo Sassetti) besehen worden. Er bemerkte die Ähnlichkeit einiger Zahlwörter "et altri assai". Er muß ein feines Gehör dafür gehabt haben; denn die griechischen Reisenden, Soldaten, Handelsleute oder Forscher, welche zur Zeit Alexanders des Großen vielfach von der damaligen Sprache der Inder Kenntnis erlangten, machten diese naheliegende Bemerkung nicht. Von Sassetti bis zu Ende des 18. Jahrhunderts wird die Aufmerksamkeit auf diese Ähnlichkeiten immer wieder hingelenkt, ohne dass eigentlich schon das wissenschaftliche Aperçu zustande käme. Die Ähnlichkeit wurde bald überschätzt, bald unterschätzt. Es gab einen Mann, welcher lehrte, es hätten die alten Inder gewissermaßen lateinisch gesprochen; und es gab einen anderen, übrigens sehr geistreichen Mann, welcher das ganze Sanskrit als eine Fälschung der Brahmanen, als eine nach dem Muster des Griechischen und Lateinischen verfaßte künstliche Sprache betrachten wollte. Der Unterschied zwischen der früheren und der gegenwärtigen Zeit liegt darin, dass man früher die Ähnlichkeiten zwischen dem Sanskrit und den europäischen Sprachen als Kuriosität betrachtete, als einen unerklärlichen Zufall, und dass man jetzt allgemein einen inneren Zusammenhang annimmt, den man, als ob sich das von selbst verstünde, "Verwandtschaft" nennt. Will man einen Namen besonders hervorheben, auf welchen die jetzt übliche Behandlung der Sache zurückgeht, so muß man unseren Friedrich von Schlegel nennen. Durch die Engländer, welche mit den Indern praktisch zu tun hatten, war die Kenntnis des Sanskrit und damit die Möglichkeit einer genauen Vergleichung nach Europa gekommen. Mehr und mehr näherten sich die Kenner des Sanskrit dem Aperçu, dass die Zufallsvergleichung der Sprachen keinen Wert habe, dass die innere Struktur der Sprachen erst ein Recht auf ihre Vergleichung geben müsse. Es versteht sich von selbst, dass die Theorie erst abstrahiert werden konnte, nachdem man instinktmäßig die rechten Sprachen verglichen hatte. Man mußte neben der Ähnlichkeit der Stämme auch die Ähnlichkeit der Bildungssilben bemerkt haben, bevor man diese in den Vordergrund stellen konnte. Immerhin hat das Friedrich von Schlegel zuerst getan und zuerst den Ausdruck "vergleichende Grammatik" gebraucht, in seiner Schrift "Über die Sprache und Weisheit der Indier" (1808). Das kleine Werk gilt mit Recht für epochemachend, wenn man jedes Aperçu in jeder Disziplin für den Anfang einer Epoche hält. Die heutigen Sanskritisten lächeln über die zahlreichen Irrtümer des Meisters, der in Deutschland ihre Wissenschaft begründet hat; sie deuten Schlegels Ausspruch, dass Sanskrit die Muttersprache gewesen sei, dahin um, dass es der indoeuropäischen Ursprache am nächsten stehe. Wir nehmen uns heraus, wieder über die heilige Überzeugung von der Auffindbarkeit einer indoeuropäischen Ursprache zu lächeln. Wir werden aber, wenn auch nicht die Leistung, so doch die Anregung Friedrichs von Schlegel am schönsten würdigen, wenn wir sagen, dass er mit romantischer Keckheit das Programm einer ungeheuren Sprachvergleichung aufgestellt hat, dass die folgende Zeit (sie beginnt mit Bopps Konjugationssystem 1816) es mit der Gewissenhaftigkeit der historischen Methode zwar weiter geführt hat, aber für irgend welche geistige Fragen nicht bedeutender gewesen ist als der erste Anlauf Schlegels. Der wesentlichste Erfolg der indischen Philologie in England und Deutschland bestand darin, dass nach Veröffentlichung der indischen Sanskritgrammatiken die Mangelhaftigkeit unserer alten, auf griechischem Boden erwachsenen Grammatik langsam erkannt werden mußte. Es wurde allmählich eine Unmasse Material zusammengetragen, das Fragmente wirklicher Sprachgeschichte darstellte und die logischen Kategorien der griechischen Grammatik sprengte. Die Fehler der griechischen Grammatik, welche eine Verlegenheitslogik der Sprache war, und die Fehler der Inder, welche eine blinde Sprachgenealogie trieben, verbesserten einander so sehr, dass mancher Einblick in das Leben und das Wachstum der Sprache möglich wurde.