Griechen
Auch bei den Griechen hat sich eine ernsthafte Grammatik an der Aufklärung eines heiligen Textes entwickelt, an den Bestrebungen, die veraltete oder mundartliche Sprache des Homeros einem neuen Griechengeschlechte zu erklären. Ein Vorzug der Griechen Vor den Indern und Juden war es, dass ihnen der homerische Text trotz aller Verehrung doch nichts abergläubisch Göttliches war, dass sie den Urtext sogar — wer weiß in welchem Maße es geschehen ist? — verändern durften. Dagegen war die griechische Sprachwissenschaft im Keime verdorben durch den unseligen, so häufig für philosophisch ausgegebenen Hang dieses Volkes, durch ihren Wortaberglauben, ihre förmliche Besessenheit, das Abstraktum für die Quelle der konkreten Dinge zu halten, von denen es abstrahiert worden war. Auch die indischen Grammatiker besaßen die architektonische Neigung zu generalisieren; sie hatten eine Leidenschaft für knappe Regeln; wenn es nur irgend möglich war, brachten sie verschiedene Formen auf eine einzige, und wenn es gar nicht mehr möglich war, so taten sie es doch. Aber immerhin lag diesen phantastischen Generalisationen eine genaue Beobachtung ihrer Göttersprache zugrunde. Die Griechen haben sich in ihrer klassischsten Zeit bei der Wirklichkeit überhaupt nicht aufgehalten. Wie die halb mythischen Philosophen der älteren Zeit die ganze Welt aus irgend einem Element heraus erklärten, wie Piaton keck die Einzeldinge aus ihren Ideen entstehen ließ, wie dann Aristoteles mechanische Tatsachen aus der Form der Kreislinie erklären wollte, wie — um die Sache etwas tiefer zu fassen — die bis auf uns fortwuchernde Logik der Griechen Abstraktionen aus unseren Denkgewohnheiten zu bindenden Gesetzen des Denkens machte, so suchten die bedeutendsten Griechen den heimlichen Gesetzgeber, dem der offenbar vorliegende Sprachgebrauch gehorchte. Dies scheint mir der springende Punkt in dem langen Streite, ob die Sprache natürlich gebildet oder gesetzlich eingeführt sei. Die Erfinder der Logik mußten nach einem Gesetzgeber suchen. Diese Verquickung von Logik und Grammatik und der allen griechischen Wissenschaften zugrunde liegende Sprachaberglaube haben sich zäh durch die Jahrtausende erhalten. Man achte doch darauf, dass z. B. noch Molière, wenn er sich in der genialen Schlußburleske des "Eingebildeten Kranken" über die Ärzte seiner Zeit lustig macht (Opium facit dormire . . . quia est in eo virtus dormitiva), immer noch die Aristoteliker zweitausend Jahre nach Aristoteles parodiert und zwar mit einem Schlage ihre Logik und ihren Wortaberglauben.
So große Fortschritte die grammatische Erkenntnis der Sprache sodann, namentlich durch die Stoiker machte, so blieb doch die Wortbesessenheit der Griechen in der Hauptsache bestehen. Sie spricht sich sogar in dem Worte aus, das bis auf uns gekommen ist und das den in ihm liegenden falschen Sinn noch heute nicht gänzlich verloren hat. Die Vorstellung, dass jeder Laut seine Bedeutung habe, dass demnach aus dem Lautbilde eines Wortes eigentlich seine Bedeutung hervorgehen müsse, führte die Griechen dazu, in den Lautgruppen, die sie zwar nicht "methodisch" auf Wurzeln, aber ebenso phantastisch wie die Inder auf andere Worte zurückführten, den wahren, echten Sinn (etymon) zu suchen; und diese bis zum höchsten Blödsinn ausgebildete Disziplin nannten sie Etymologie.
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