Darwin
Wir sind in Deutschland gewohnt, die junge Wissenschaft, welche sich bald vergleichende Sprachforschung, bald Sprachphilosophie, bald Völkerpsychologie und Sprachgeschichte nennt, für ein ausschließliches Erzeugnis deutschen Geistes zu halten, weil die Persönlichkeit Wilhelms von Humboldt ihr Wege und Ziele denn doch zuerst gewiesen hat. Der Einfluß Englands war aber von Anfang bis jetzt ein sehr großer. Es spielen, wie überall in der Kulturgeschichte, verschiedene Einflüsse mächtig mit. Zur Überwindung der alten beschränkten Philologie gehörte die Eroberung des Sanskrit; und diese wäre — wie erwähnt — ohne die englische Herrschaft in Indien und die englischen Vorarbeiten den Begründern der Sprachvergleichung nicht möglich gewesen. Die Schule Wilhelms von Humboldt sah die Sprache etwa so an, wie die französischen Naturforscher vor Darwin die Tiere und Pflanzen ansahen. Wohl schuf man so eine vergleichende Anatomie, deren idealster Standpunkt uns aus Buffons Werken und aus Goethes Bestrebungen zur Botanik und Zoologie bekannt ist. Es wurde wohl das Gemeinsame gesucht, aber nur in Typen. Es war alles nur Morphologie, wenn es sich auch Metamorphose nannte. Es war alles — man betrachte die Seltsamkeit dieser Wortbilder — nur Metaphysik, wenn es auch Physik zu sein glaubte. Es fehlte noch der Begriff der Entwicklung. Man verglich zwar gleichzeitige Schwestersprachen, man verglich auch ältere und jüngere Zustände der gleichen Sprache, man forschte nach Naturgesetzen der Umbildung, aber das Wesen aller dieser Gesetze mußte unverständlich bleiben, solange der Gesichtspunkt Darwins nicht auch von Sprachforschern gewonnen war.