Mit 5 PS
So heißt der Titel eines Auswahlbandes dessen, was hier seit fünfzehn Jahren von mir geschrieben worden ist: vom 9. Januar 1913 bis auf den heutigen Tag. Wenn einer sein eignes Buch anzeigt, zieht er gern die Augenbrauen hoch und spricht von den ›Intentionen‹, die er dabei gehabt hat. Ich muß erst von den Korrekturen sprechen.
Ich habe mir im Sommer in Dänemark zusammengeklebt, was unter der Obhut S. J.'s im Laufe der Zeit zustandegekommen ist – und als der Stoß Blätter vor mir lag, da sah es aus wie das glatteste Manuskript der Welt. Die Setzer würden es leicht haben … Aber dann fing ich an, der Schriftsteller-Krankheit zu erliegen, jener Besessenheit, die nichts aus der Hand geben kann, weil man es noch besser, noch sauberer, noch kürzer sagen kann – und die aufgeklebten ›Weltbühnen‹– Seiten ersoffen in Tinte. Dann wurde es – bei Ernst Rowohlt in Berlin – gesetzt.
Die Fahnen kamen an, und die Korrekturen-Masern brachen herein. Die Revision flog von Berlin nach Paris – und hier liegt nun der gewiß seltene Fall vor, dass sich ein Autor bei seinem Verleger einmal für die Geduld bedanken muß, mit der es jener ertrug, dass auf seine Kosten aus einem Semikolon ein Komma und wieder ein Semikolon und aus einem Ausrufungszeichen ein Punkt gemacht wurden. Wenn man seine Arbeit in der Korrektur liest, dann vibriert das ganze innere Literatursystem in leisem Zittern: was in aller Welt könnte man nun noch ändern –! Rowohlt hat während der ganzen Inkubationszeit kein Wort der Ungeduld laut werden lassen, und dafür möchte ich ihm die Hand drücken.
Denn daran kann ja kein Zweifel sein: »Sie schütteln doch Ihre Arbeiten aus dem Ärmel –!« Ja, im Ärmel …
So gewiß dieser Satz das schönste Kompliment für unsereinen ist, so gewiß hat es noch keinen Autor der leichten Form in Deutschland gegeben, der es nicht nötig gehabt hätte, sich zu entschuldigen, dass er auf der Welt ist. Polgar hat das gefühlt und Kerr, Roda und Reimann, Klabund und Walter Mehring –: keiner, der nicht an einer Stelle einmal gesagt hätte, dass leicht nicht immer leicht ist. Die Kommilitonen von der Wälzer-Fakultät haben es viel leichter, weil sie es schwerer haben; der Deutsche liebt es, wenn sein Autor schwitzt und man es nachträglich gewahr wird. Mir ist die Stelle aus der Biographie Wilhelm Buschs erinnerlich, wo der einem Leser seiner Werke auf eben jene Ärmel-Frage in etwas lauterem Tonfall als sonst erklärt: »Erlauben Sie, nur zwei Zeilen wie: ›Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man läßt‹, haben mich sogar sehr viele Mühe gekostet« – und sein Leser hats ihm gewiß nicht geglaubt. Denn allgemein verbreitet ist das Mißverständnis, daß, was sich leicht lesen ließe, auch leicht hingeschrieben sei.
So ein Buch hats nicht einfach: die Leute, die politisch nicht einverstanden sind, lassen den Autor den Besitz ihres Parteibuchs gern mit ästhetischen Einwürfen entgelten, und kaum einer hat den Mut, dabei die eigne Farbe zu bekennen. So ist, wer den Typus Hellpach satirisch vornimmt, veraltet oder schwach in der Form oder nur feuilletonistisch, oder was man so sagt, wenn eben Literaturkritik versetzte Politik ist. Was nach Wahrheit schmeckt, nennt man oft geschmacklos, und den Feind muß man bagatellisieren. Dichter der Gegenseite sind keine.
Von Herrn Wendriner zum siebenten Arrondissement; von ›Rheinsberg‹ zu zwei Leuten, die auf den Wolken ihre Beine baumeln lassen; von Liebesgedichten zum pariser Bordellbesitzer ist es ein weiter Bogen, der zu schlagen war. Möglich, dass ein Druckfehler stehen geblieben ist. Aber eines ist nicht darin:
Falsche Rücksichtnahme. Ich habe die Dinge bis zu dem Punkt zu Ende gesagt, bis zu dem meine Erkenntnis reicht, und ich habe, wo ich nur konnte, verschärft. Vieles, was etwa im Jahre 1914 entstanden ist, würde ich heute anders formulieren, aber nicht anders denken.
Geh, Buch, und sage dem Leser, ich ließe ihn grüßen. Was sich an Freundschaft, an Gesinnungsgleichheit, an sachlicher Hilfe dargeboten hat, das hat daran mitgewirkt, und oft habe ich nur ausgesprochen, was andre besser und schärfer gefühlt haben. Wenn ihnen das Herz voll war, ging mir der Mund über, weil wir uns in einem trafen; in dem Gefühl für Wehrlose, Niedergeknüppelte, Leidende, Stumme. Denen gilt dieses Buch.
Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 20.12.1927, Nr. 51, S. 944.