Der Autor der Saison
Mit diesem schmückenden Beiwort – »Der Autor der Saison« – ist jüngst ein wertvoller Literat von seinem sicherlich geschäftstüchtigen Verlag geziert worden, und der Verlag hat vielleicht gar nicht gewußt, wie bitter recht er damit hatte. Was ist der deutsche Ruhm, meine Brüder? Ein Ding, das da aufgehet im Oktober, und das untergehet im Februar, und wenns köstlich gewesen ist, so hat es fünf Monate gedauert. Muß das sein –?
Schon mucken die Verlage auf, weil es ihnen unheimlich wird. S. Fischer hat sich jüngst dagegen gewandt, dass das Publikum als Kriterium eines Buches das Erscheinungsdatum betrachtet. – »Das habe ich schon gesehn!« ist eine Ablehnung, und: »Es ist gerade erschienen!« eine herrliche Empfehlung. Woraus die Fischer-Leute mit Recht folgerten, dass hier etwas nicht in Ordnung sei und dass uns eines fehle: nämlich eine literarische Tradition. Sie fehlt in der Tat.
Bei der großen Buchproduktion Deutschlands versinken Jahr um Jahr Tausende von lesbaren Büchern. Hunderte von guten Büchern, weil sie es beim Start nicht schaffen. Es ist sehr, sehr selten, dass ein Buch das Schicksal der ›Biene Maja‹ hat, die jahrelang fast unbeachtet blieb, und dann plötzlich in die großen Auflagenziffern aufstieg. Gewöhnlich gehts gleich oder gar nicht. Und das liegt daran, dass wir, nach Krieg und noch nicht ganz überwundener seelischer Inflation, erst wieder lernen müssen, besinnlicher zu werden. Was mit Kleinstadt gar nichts zu tun hat.
Ein in Berlin erfundenes ›amerikanisches Tempo‹ läßt die Leser sich fast genieren, dass sie das Neueste, das Allerneueste noch nicht gelesen haben, und dass gar – pfui! – ein Buch auf ihrem Nachttisch liegt, das schon voriges Jahr erschienen ist. Gute Ware hält sich; es spricht nicht immer für die Speisen, wenn man sie ganz heiß essen muß – meist sind es Omelettes soufflées, die mit Recht so serviert werden. Ganz abgesehen von den Klassikern und den schweren Büchern, die man ruhig nach vier, fünf Jahren immer wieder lesen kann: so sehr nötig und verdienstvoll es ist, sich um seine Zeit zu kümmern und aufmerksam zu betrachten, was Neues um einen herum entsteht, so wichtig ist das im Leser, was bei der Uhr merkwürdigerweise die ›Unruhe‹ heißt und gerade eine solche verhindert: eine kleine innere Bremse, die bewirkt, dass der Mechanismus nicht mit einem Male abschnurrt, sondern eben vierundzwanzig Stunden lang läuft. Das fehlt in der modernen Literatur völlig.
Hinzu kommt ein anderer Grund, der fatale Auswirkungen hat. Das ist die ›Parole‹, die mit größter Disziplin befolgt wird. Ganz abgesehen davon, dass es Kritiker gibt (zu denen ich auch einmal gehört habe), die eine Reverenz nur dann erweisen können, wenn sie zu gleicher Zeit jemand in die Kehrseite stoßen und nie loben, ohne alle andern Nachbarn des Gelobten für verbrecherische Trottel zu erklären, wirken die genau ausgerichteten Reihen der in die jeweilige Moderichtung Einschwenkenden in Deutschland fast beängstigend.
Waren sie gestern alle expressionistisch, so haben sie es heute mit der ›neuen Sachlichkeit‹, und am gestern angebeteten Expressionismus ist auch nicht mehr ein guter Faden. Morgen werden sie ›neu-amerikanisch‹ sein – alle Verleger geben dann im Grunde dasselbe Buch heraus, weil eines dieser Gattung Erfolg gehabt hat, alle Leser liegen vor der neuen Richtung auf den Bäuchen, und so viel Verachtung gibt es gar nicht, wie die armen gestrigen von Hauptmann bis zu Bronnen zu spüren bekommen. Natürlich überfrißt sich leicht, wer zuviel in sich hineinstopft, und übermorgen hat Amerika einen Tritt weg, an dem es – merkte es ihn – ins Meer versänke. Den Schaden bei dieser heißen Gierliebe und dieser übersättigten Treulosigkeit hat allemal die Sache und das allgemeine Niveau.
Was fällt, soll man noch stoßen? – Gemacht. Aber man soll nicht alles fallen lassen, was gestoßen wird; es geht auf diese Art viel Gutes zu Grunde, viele Entwicklungsmöglichkeiten verkümmern, und es werden nicht nur wirtschaftliche Existenzen vernichtet (was für die Kunst gleichgültig ist), sondern es kostet wertvolle Kräfte, was schwerer wiegt. Sieht man dieses tobende Treiben auf dem Literaturmarkt, wo einer den andern durch den allerletzten Schrei zu überbrüllen versucht, so ist man versucht zu rufen: »Immer kalt Blut und warme Strümpfe!«
Damit wir uns recht verstehen:
Kein durchgefallenes Drama stäubt mir in der Schublade, und ich glaube, dass jeder die Moden seiner Zeit überdauert, der etwas taugt und arbeitet. Aber es ist doch nicht recht: diese Siebenmonatskinder des Ruhms gehen elend zu Grunde, es bekommt ihnen nicht, heute über Gebühr verhätschelt und morgen unter Gebühr verstoßen zu werden. Keinem bekommt das.
Wäre der Autor, den sie da so angekündigt haben, wirklich nur ein ›Autor der Saison‹ – er taugte nichts. Seinen Namen sollt ihr nie erfahren: es ist Arnold Zweig, und der wird, wenn mich nicht alles täuscht, noch viele Jahre hindurch gute und beste Literatur machen.
Ich denke, dass wir nicht mit Strohfeuer heizen sollten, sondern mit einer gleichmäßig wärmenden, stetigen Flamme. Literatur ist kein Wagenrennen, und wer da moderner, noch viel moderner, noch ganz bedeutend moderner sein möchte, den wollen wir nicht stören und ihn laufen lassen.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 30.12.1927.