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Ein Bummel durch die Welt

Unter den vielen Männern, die für die Vossische Zeitung durch die Welt gefahren sind, ist einer, dessen Berichte ich immer wie Indianerbücher gelesen habe. Dabei hat er gar nichts so Aufregendes erlebt: die Streitaxt Winnetous war in diesem Falle ein prager Gehirn, ein schneller lustiger Intellekt –: Richard Katz. Dessen »Bummel durch die Welt« ist nun im Verlag Ullstein, Berlin, erschienen. Das ist ein Buch –

Also das ist ein Buch, in dem sich einer nach dem Abendbrot bei Freunden bequem an den Kamin rückt, er ist von einer Weltreise zurückgekommen, was ja heute gerade nicht mehr eine Sensation ist, und nun fragt man: »Sage mal, Richard, wie wars denn nun –? Hier, nimm mal 'ne Zigarre –!« Richard steckt umständlich die Zigarre an, Streichholz, erster Zug, die Zigarre ist nicht ganz so schlecht wie erwartet – und nun fängt er an zu erzählen.

Das Buch hat mit vielen Elementen etwas zu tun, mit einem aber bestimmt gar nicht: mit Literatur. Was ein Lob darstellen kann – unmöglich, dem Mann mit dem Grammatik-Rotstift in der Hand, die Sätze nachzumessen. (Ich für mein Teil bin ein Pedant – bei jedem andern sagte ich: Es heißt nicht »Und kehren wir weiser heim, als wir gewesen waren«, sondern: »als wir gewesen sind«. Sonst haben wir keine Sorgen.) Nein, darum handelt es sich hier gar nicht. Man muß schon, um so zu lachen, wie man hier lacht, auf den seligen, mit Verlaub zu sagen, Stefan von Kotze zurückgreifen, der ebenso wie Katz von den Engländern und den Amerikanern den trocken-bunten Ton der Schilderung geerbt hat.

Es ist ein männliches Buch, ein resigniertes Buch, ein kluges Buch. Es ist durchbeizt von jener spezifischen prager Klugheit – Katz, seien Sie so freundlich, mich Lügen zu strafen, und wenn Sie aus Wien sind, sagen Sie es wenigstens nicht! – es ist ein Buch, dessen eigener Ton sympathisch ist. Sympathisch in seiner Schnoddrigkeit, die ganz, ganz anders schmeckt als die berliner – sympathisch in seinem Humor. (»Ich kann Kinder an Bord überhaupt nicht leiden. Sie enttäuschen, wenn sie auf die Reling klettern, ohne ins Meer zu fallen.«) Und vor allem: dieser Reiseschilderer hat Mut.

Er hat den Mut, ein Europäer zu sein und kein Snob. Er spielt nicht den alten Globetrotter, nicht den falschen Amerikaner, nicht den Gefahrenmann aus dem Busch – er ist so, wie wir sind: mit allen unseren europäischen Fehlern, Oberflächlichkeiten, Empfindungen, Vorzügen, er hat, was selten ist: common sense. Und man lernt so viel aus denn Buch.

Da streiten sich die Leut' herum, ob die Franzosen »deutschfeindlich« sind (sie sind es nicht) – und wissen nicht, dass weit, hinter den Wassern, ein ganzer Kontinent sitzt, der die Deutschen schikaniert, wo er ihrer habhaft werden kann, sie nicht hereinläßt, sie als Menschen dritter Klasse behandelt: Australien. Aber das ist so weit – wie? Und man lernt, wie unsinnig diese heutige Ordnung die Menschen verteilt; wie Australien nur ein paar Millionen Einwohner zählt, wie das Land leer steht, buchstäblich leer, wie Neuseeland, eines der gesündesten Länder der Erde, in keiner Weise ausgenutzt ist, während sich anderswo die Menschen auf überfüllten Quadratkilometern drängen … Und man lernt von einem, der die Courage hat, sich zuzugestehen, er sei als Verächter der Farbigen ausgezogen, wie diese Farbigen bei näherm Verkehr auf Europäer wirken. Und Katz erzählt von einem deutschen Ingenieur, den er draußen angetroffen hat: der Mann hatte sich als gewöhnlicher Schiffsheizer verdingt, verdiente wenig, lernte aber die Welt kennen und die Arbeiter dazu. »Kein Unternehmer«, sagt der, »nutzt den Arbeiter so aus wie der Arbeiter selbst den eigenen Kollegen, wie der Heizer den Unterheizer.« Wer nationalökonomische Angaben über Japan haben will, die Aufrollung religiöser Fragen im Osten: der mag zu Spezialliteraturen greifen. Hier ist immer wieder der Vorgang des Reisens selbst geschildert, die Reibungen, die knirschenden Räder des Reisebetriebs – und wie viel Erfahrung! An dieser Stelle darf ich vielleicht sagen, dass mir etwas zu fehlen scheint.

Abgesehen vom Titel (»Bummel« ist ein leicht angewelktes Wort, wie »soupieren« oder »pfiffig« oder »depeschieren« – es gibt solche welken Wörter) – abgesehen davon, ist das schönste Kapitel »Knapper Rat für weite Reise« nicht ganz in Ordnung. Ich bin ein Katz-Philologe und habe mir seinerzeit ausgeschnitten, was hier gestanden hat; unter diesen vortrefflichen Ratschlägen fehlen einige. Wo ist: »Laß dir die Zähne vor der Reise reparieren« und: »Steig stets in zweitklassigen Hotels ab. In den ersten ist das Personal unverschämt, und die Gäste haben spanisches Hofzeremoniell«? Das kann ich für mein Geld beanspruchen!

Ganz besonders schön sind die Kapitel über Amerika. Amerika hat Richard Katz nicht gefallen, was beide überleben werden. Aber dass einer die Courage hat, das ganz glatt herauszusagen, seine ganze Abneigung herauszuschreien, selbstverständlich wissend, dass da Ungerechtigkeiten und Verallgemeinerungen unterlaufen, das ist schön in einer Zeit, wo Verallgemeinerungen nur beim Lob zulässig sind. Das amerikanische Kapitel »Service« ist eine feine Sache, geeignet, dieses Land auch einmal von der anderen Seite zu sehen.

Das Buch hat hübsche Fotografien, und, was noch mehr wert ist, einen Fundus von echtem Humor, über den der Leser drei Abende im Bett verlachen kann.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 27.11.1927.