Klavierspiel nach dem Essen
Manchmal, nach dem Essen, setzt sich ein Gast oder eine Gästin hin und spielt etwas auf dem Pianino. Die Dame streift sich die Armbänder ab, der Herr zieht die Halshaut aus dem Kragen – aber habt ihr schon einmal, ein einziges Mal erlebt, dass euch dieses Spiel Vergnügen und Freude gemacht hätte? Kuchen.
Sie ›spielen vor‹, die Affen. Sie produzieren sich. Sie geben ein kleines Konzert. Sie machen etwas vor. Sie wollen angestaunt sein, bewundert, beglückwünscht. Die Mitgäste dürfen dabeisitzen, und das tun sie auch. Sie blicken gelangweilt zur Decke auf, verzweiflungsvoll an den Fußboden, sie bestarren ihre Nägel und sondern viel Innenleben ab. Nachher pritscheln sie diskret in die Handflächen …
Wie schön wäre das, wenn einer einmal, nur ein einziges Mal, so spielte:
Eine Erinnerung an Mozart; ein Stück Symphonie, die aus irgendeinem Grunde dem Freundeskreis ans Herz gewachsen ist, Erinnerung auch sie; ein altes spanisches Volkslied, auf einer Reise gehört; einen dummen Schlager, in Moll und in Dur, als Boston und als Charleston; ein paar Töne aus malayischen Tempelgesängen – und noch ein Häppchen Mozart. Und eine Arie. Und einen alten dunkelgebeizten Walzer von Chopin.
Das befriedigte unsern musikalischen Appetit. Das wäre erst Musik – an Stelle jenes dummen Jahrmarkts der Eitelkeiten. Aber darauf können wir wohl lange warten … »Wollen Sie uns nicht die Freude machen, lieber Meister, uns zu erfreuen … ? Ach, bitte, bitte! – Ich weiß, dass es für Sie ein Opfer … Wir haben uns so gefreut … Herr Professor Klotzekuchen wird sich erlauben – darf ich bitten, meine Herrschaften, vielleicht hier Platz zu nehmen, Emmi, sei doch still … «
Aber nun nichts wie raus.
Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 06.09.1927, Nr. 36, S. 386,
wieder in: Mona Lisa.