Bei Anton Hansen
Ein Bulle. Aber einer mit Fingerspitze, mit Gefühl, mit einem Aufnahmeorgan für das Leiden Geknechteter. Etwa der große Bruder, der haut, wenn der kleine Bruder von bösen Lümmels angegriffen wird. Das ist der Zeichner Anton Hansen.
Der Mann wohnt in Kopenhagen gegenüber der Berlingske Tidende, der konservativen Zeitung in der Pile-Straede. Sein Atelier sieht über die Giebel und roten Dächer der Nebengassen, und sein Eßzimmer ist eine Schiffskajüte mit kleinen Bullenfenstern und einem Boden, der beinah schräg erscheint. Da oben zeichnet er.
Was er zeichnet, erscheint seit Jahr und Tag im kopenhagener Socialdemokraten – obgleich der Mann der Kommunistischen Partei nähersteht. Die hat in Dänemark nicht viel zu vermelden – desto mehr aber in Norwegen, wo Hansen oft politisch tätig war. Da ist er durch das Arbeiterblatt bekannt, gefürchtet … Mit Blix gab er 1919/20 das Witzblatt Ex lex heraus, in dem sehr schöne Arbeiten von ihm zu finden sind – neben den himmlischen Zeichnungen Blixens, der bei uns viel zuwenig gedruckt wird.
Ist Hansen ein politischer Zeichner? Er ist wohl mehr als nur das. In den Zeichnungen, die er mir zeigte, ist viel Politisches, gewiß – die Schreie aus den Jahren nach dem Kriege, eine treffliche Verhöhnung Eberts, Peitschenhieb und Anklage … Aber schon nach dem sechsten und achten Bild ist zu spüren: dies Pathos ist aus Leiden geboren – er hat Mitleid, weil er mitleidet, wenn andre dulden.
Es gibt einen kleinen Auswahlband von ihm – und er ist bei, Gott strafe ihn, bei Axel Juncker in Kopenhagen erschienen. Ja, den gibts noch, und obgleich mir einer seiner »Verlegten« aufgetragen hat: »Wenn du Axel Juncker in Kopenhagen siehst, dann hau ihm eine runter!« – so habe ich doch diesen freundlichen Reisegruß nicht bestellt … Bei dem also ist ein hübsches Bändchen erschienen, zu dem mehrere Leute einleitenden Text geschrieben haben – darunter auch unser Toller, von dem übrigens im Buch ein Bildnis zu sehen ist. Ensor geistert durch das Buch, auch Steinlen hat seine Visitenkarte abgegeben – aber das eigene ist doch Hansens merkwürdiger kugeliger Strich, etwas aus Schwarz-Weiß Gedrehtes, das er auch dann anwendet, wenns rein allegorisch wird: unten stehen Männer und ein Weib an der Wand, die Ordnung reißt das Maul auf und kommandiert einer Reihe Noskes »Feuer!« – und oben sitzen auf dem abgestorbenen Ast eines alten Baumes fünf dicke Männer und reden und reden … Und darunter steht: Parlamentarismus.
Und eine herrliche Stresemann-Karikatur ist da, und die grausamen Fressen Hungernder, und das Rohrgeflecht einer Kraftstation, und eine merkwürdige Vorliebe für meine Freunde, die Gespenster – – Schade, dass Hansen nicht in Rußland lebt.
J. V. Jensen macht in seinen Mußestunden Geigen und Schmiedearbeiten – es ist eine im Norden wohl oft vorkommende Verbindung, die auch bei Hansen anzutreffen ist: jene von Zartheit und Kraft. Da saß Anton Hansen neben mir im Wald und malte mit seinen dicken Fingern grüne Bäume auf sein Zeichenpapier – er war friedlich und still und saß da wie einer, der eben nichts vom Leben will, als in Ruhe gelassen werden. Freilich – wenn einer kommt und von ihm verlangt, dass er auf patriotisch hungern und Menschen töten solle … dann steht der Malende wohl auf und schlägt ihm das Zeichenbuch hinter die Ohren … Für einen Parteiapparat also wohl ein recht unbequemer Mensch.
Ich sehe mich in dem kleinen Atelier um, da steht oben, auf dem Bücherbord, eine Büste. Goethe? Spinoza? Nein – aber der Boxer Dick Nelson, eine herrliche Arbeit. Hansen sieht billigend herauf, so mit einem Blick: Kraft ist zunächst immer gut – man wird sie schon brauchen können. Er kann zum Glück zu wenig Deutsch, als dass ich ihm erklären könnte, wo bei uns die Kraft sitzt – ewig und immerdar auf der einen Seite – und auf der andern? Toleranz, Schwäche, Takt und eine ganze Republik.
Wenn Arbeiter reisen könnten! Aber europäische Arbeiter reisen ja nur mit dem Gewehr auf dem Buckel, sonst bekommen sie fremde Länder kaum zu sehen …
Doch wenn sie reisen könnten: solche Kerls wie diesen Hansen sollten deutsche Arbeiter sehen, die nach Dänemark gehen – und er sollte nach Deutschland gehen, wo man ihm hoffentlich bald eine politische Ausstellung herrichten wird. Denn nichts kräftigt den kämpferischen, den wahren Sozialismus so wie das Bewußtsein, dass man nicht allein ist. Daß es allenthalben dieselben Leidenden, dieselben Ankläger, dieselben Unbequemen gibt – dass die Uniformen, die Landesfahnen, die verschiedenen Beamten, dass sie alle immer nur dasselbe anzeigen. Und dass es eine wirkliche Internationale gibt: die des Arbeiters, der zum Schluß von seiner Arbeit nichts hat.
Für den zeugt, für den malt, für den wirkt Anton Hansen.
Peter Panter
Die Weltbühne, 28.06.1927, Nr. 26, S. 1023.