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Wo waren Sie gestern abend?

… Gestern, warten Sie mal … Man macht so viel in Paris, dieser Trubel … gestern … richtig: gestern abend waren wir in einer Revue. Wie das war –?

Sehen Sie, das Nette an den Pariser Revuen ist: daß die Leute vorher zu Abend gegessen haben. Sie glauben nicht, wie das beruhigt. Nach dem Gemüse das Halbgefrorene, nach dem Eis die Früchte, nach den Früchten – nein, danke, keinen Käse! – den Kaffee und einen Martell, die Zigarre – und dann eben: die Revue. Sie ist einfach ein Gang mehr, die Zigarre ist der Übergang, beiden gemeinsam, dem Essen und dem Theater. In Berlin sitzen die Zuhörer etwas hungrig mit hochgezogenen Augenbrauen da und kritisieren Nummer für Nummer, Bild für Bild. Das verträgt die Revue gar nicht, das darf man nicht tun. Sie ist ein Bilderbuch, die Revue, eines übrigens, das man sich nicht zu oft ansehen sollte. Alle Jahr einmal, zweimal … mehr gibt sie nicht her.

Es sind da immer ein paar entzückende Personen, junge Dinger oder auch reifere Frauen, die das Parkett aufs angenehmste kitzeln. Nicht wahr, ein hübsches Gefühl, nachher nicht am Bühnentürl stehen zu müssen und keine Dummheiten zu machen und keine Enttäuschungen zu erleben – – Man sieht ein bißchen mehr auf die Bühne, als nötig ist, stellt sich dies und jenes vor, dann tanzt die Dame ab, und wir haben nur Spaß gemacht … Ja. Die Mistinguett – ja, immer noch. Nun, sie fangen bereits an, Witze über sie zu machen, in den kleinen und kleinsten Revuen von Paris, im OEil de Paris und in den Noctambules und da herum – aber sie nimmt doch das Publikum immer noch – hopp! – auf den Arm. Ja, ein bißchen dick, der Arm. Aber wie die Frau diese vier Stunden durchsteht –! Und auch deutsche Tänzerinnen waren da, ah, das wissen Sie ja, dass es heute keine Nationenrivalität mehr gibt oder noch nicht, wie Sie wollen … Sie dürfen auch heute ruhig diese Bilder untereinander austauschen; solange nicht gesprochen wird, merkt das kein Mensch, und wenn man vom Lokalsketch und dem »bunten Komiker« absieht, der das Argot der Stadt spricht, dann ist es so schön ausgeglichen von Yokohama bis Breslau, dem gewaltigen Seehafen … Es ist eben überall dasselbe.

Ja, also gestern waren wir in dieser Revue. Morgen habe ich sie sicherlich halb vergessen, nur, wenn die Orchester diesen Charleston spielen, fällt mir der Partner der Mistinguett wieder ein, mit seinem dämlichen Spazierknüppel und seinem Lächeln, für das sich zugereiste Damen um mich herum leise interessierten. Das ist nun eine Sensation, die wir kaum noch verspüren: die Revue als, sagen wir, seelisches Stärkungsmittel … Nein, gar nicht. Diese Riesenbilder im Geschmack tollgewordener südamerikanischer Bananenhändler, noch mehr Gold und Silber und Silber und Gold und Rot, viel schreiendes Rot und Frauenfleisch … scharfgewürzte Steaks, nach denen sich gut trinken läßt … Lieber Freund … Aber von Zeit zu Zeit braucht man das. Die Revue gehört zur großen Stadt, sicherlich zur Großstadt. Ausgleich zum Geschäft, Gegengewicht zur Börse, anderes Ende des Wippbalkens »Arbeit«. Zu Hause alles gesund, die Orders in Ordnung, mit dem Sozius verkracht, mit dem Finanzamt günstig akkordiert … und gestern abend? Gestern abend waren wir in einer Revue.

Peter Panter
Die Dame, März 1927, Nr. 12, S. 10.