Der Apparat
»Wohin reitest du?« – »Frags Pferd!«
Es ist gesagt worden, die Maschine habe die Menschen unter das Joch gebeugt; sie diene ihnen nicht, jene dienten ihr. Aber es ist nicht nur die Maschine, die wie ein Polyp auf dem Menschheitskörper hockt und saugt – da ist noch etwas anderes.
Der Werdegang war so: wir alle konnten uns nicht damit befassen, die Straßen unseres Gemeinwesens zu reinigen. Es wurde also ein Mann von uns allen, von Gemeinde wegen, bestellt, der bekam Geld und Leute und hatte für Besen und Eimer und Wagen zu sorgen und die Straßen sauber zu halten. Weiter sollte er nichts. Was aber machte der Mann, der aus Deutschland stammte, zu allererst? Er machte sich wichtig.
Und wir nahmen ihn wichtig. Und wir nehmen sie alle wichtig, die ein Amt haben. Amt! du Zauberwort unter den Deutschen! Du bist der Inbegriff, bist das Ding an sich, das Tabu, du beherrschest die Kausalgesetze, und es ist kein Gott außer dir. Es ist nicht nur die Hochachtung vor der Behörde – denn die im Staub verharrende Demut ist genau so groß vor der privaten Organisation, vor allem, was ich den ›Apparat‹ nennen möchte.
Nicht die Deutschen beherrschen die selbstgeschaffenen Apparate zur Vervollkommnung des Lebens – die Apparate beherrschen die Deutschen.
Daß überhaupt organisiert wird, flößt uns viel mehr Hochachtung ein als was und wie eigentlich organisiert werde. Und der, der den Apparat bedient, braucht nicht einmal eine bunte Mütze zu tragen – er ist uns Herold und König und Priester in einem.
Nun ist die Hochachtung für den Apparat meist sehr unangebracht, denn die meisten deutschen Apparate sind Monopole, und wenn ich das ganze bisher freie Gebiet, sagen wir, der Paukenfabrikation als erster bewirtschafte, so werde ich immer, ganz gleich, wie ichs anfange, am Ende des Jahres große Zahlen und Tausende von Pauken vorzuweisen haben. Sie waren ja da. Und der Laie staunt …
Der Apparat ist bei uns das, was beim Auto das tote Gewicht ist. Aber das darf nicht zu groß sein – eine Kindereisenbahn braucht keinen Hundertundachtzigpferdigen, und ein Motor kann nicht nur treiben, er kann auch lasten. Dies ist eine Last: dass jede deutsche Organisation zunächst einmal überall für sich und ihre Leute die Sahne abschöpft – und es braucht nicht immer die Unterschlagung zu sein, das ist so ein altmodisches Wort – es ist eine Last, daß der Apparat zuerst und vor allem für seine Leute, seine Freunde, seine Anhänger da ist, der Rest aber mürrisch denen zugeschoben wird, denen er eigentlich gehört; das alles ist eine Last, aber eine tote Last. Denn die meisten deutschen Apparate kosten mehr, als sie wirklich leisten, – sie arbeiten alle, aber sie lassen sich alle überzahlen.
Die Seele des Apparates ist die Verfügung. Und hier wirds sehr ernst.
Der Deutsche hat tatsächlich in jahrhundertelanger Lehrzeit bei den Büromenschen gelernt, erst die Verfügung, die Bestimmung, den Apparat zu sehen und dann das Resultat. Er wird sich also allemal beruhigen, wenn ihm der Mann am Apparat sagt: »Ja, aber ich habe hier meine Belege, und da meine Vorschriften – und, siehst du, es stimmt alles!« Nun, dann stimmt doch alles!
Aber es stimmt nach außen nicht. Und der Deutsche hat immer noch nicht – auch nach vier Kriegsjahren nicht – begriffen, dass der Apparat jeglicher Art doch nur ein Hilfsmittel ist, eine Maschine, die den Fortgang erleichtern soll, ein Mittel, aber kein Zweck. Der Apparat ist Selbstzweck geworden.
Und das ist nach innen eine Lächerlichkeit, nach außen ein unberechenbarer Schade. Der Außenstehende – selbst Deutscher oder Ausländer – hält sich nur und ausschließlich an den sichtbaren, greifbaren Erfolg. Und das von Rechts wegen. Er kennt die Verfügung nicht, er will sie gar nicht kennen, er braucht sie auch nicht zu kennen. »Oho!« sagt der Bürokrat, also jeder zweite Deutsche. Aber er verkennt seine Macht: er hat keine eigene; er ist nur eingesetzt. Er ist nur für den andern da. Und der andere will Äpfel oder eine Tanzerlaubnis oder eine Wahlreform – und bekommt er sie nicht, so hält er sich – tausendmal mit Recht! – lediglich an dieses negative Ergebnis. Wie es zustande gekommen ist, kümmert ihn nicht.
Der ›gelernte Deutsche‹ – um ein Spitzersches Wort zu variieren – aber urteilt anders. Für ihn ist umgekehrt die Sache abgetan, wenn den Bestimmungen Genüge getan ist. Der Apparat ist ein Automat: innen ist ein Räderwerk von Verfügungen, oben wirft man bescheidentlich ein Gesuch hinein, und unten fällt etwas heraus: in der Regel eine Dummheit.
Wir erleben so oft das kindliche Schauspiel, daß eine Behörde, die etwas verbockt hat, hinterher eine weitschweifige Erklärung losläßt: in Gemäßheit der Paragraphen sei sie berechtigt gewesen … Und einer hat nach wie vor ungenügend zu essen, eine Mutter weint, einer sitzt im Gefängnis … aber die Katz, die Katz ist gerettet.
Niemals reicht die starre Verfügung zu den feinen Wechselfällen des Lebens herunter; die Behörde, die Organisation, das Amt – sie sollen nicht stumpfsinnige Handlanger für die Anwendung einiger allgemein ausgesonnener Regeln sein. Der Apparat soll nicht herrschen. Der Apparat soll dienen.
Der Apparat und seine Leute aber waren dabei – in Kriegs- und Friedenszeiten –, den Deutschen ihre Wichtigkeit durch eitle Betonung ihres Wesens und Wirkens ins Gehirn zu hämmern. Nebenbei wird dabei gelogen: der Schildernde läßt immer alle anderen Glieder der unendlichen Kette weg. Der Intendant eines Armeekorps liebt es, wenn der lauschende Familienkreis ihn sich vorstellt: ein Bein markig auf einen Mehlsack gestützt, das Auge sinnend ins Weite gerichtet, im Hintergrunde aber zieht Division auf Division vorbei, die alle, alle Onkel Karl verpflegen muß …
Kommt aber der Deutsche in eine Stube, in der irgendein Apparat wirtschaftet, so fühlt er sich im Tempel, scheu und ehrfürchtig naht er den hierarchischen Gewalten. Es braucht einer nur hinter einem Schalter zu sitzen, um ein durchaus höheres Wesen darzustellen.
Die Süßigkeit dieser angemaßten Macht, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist – sie besteht nur in der Einbildung der Landsleute – wird im ganzen Reiche ausgekostet, und keiner will von ihr lassen. Sie schelten alle ›Tyrann!‹ – aber wird einer aus dem schimpfenden Publikum Beamter, dann ist er grad so.
Wenn aber heute bei den Neutralen, bei den Feinden, bei den Leuten des besetzten Gebietes so viele den Kopf schütteln und den Deutschen nicht begreifen, der abwechselnd weich und hart ist, anscheinend ohne erkennbaren Grund, dann ist der Apparat daran schuld. Der deutsche Apparat, der sein Volk gezüchtigt hat, das ihn liebte. Es soll aber sogar auch einige Deutsche geben, die mit ihrem eigenen Landsmann nicht einverstanden sind, und die glauben, es käme mehr auf die Wirkung als auf die Handgriffe zu ihrer Erzeugung an.
Ignaz Wrobel
Berliner Tageblatt, 21.10.1918, Nr. 538.