Noch immer …
Noch immer werden in den deutschen Schulen Schlachten gelehrt und Kriegsberichte der Ludendorffe aller Zeiten, und es wird den Kindern gesagt, daß das: Blutvergießen und Generalsanmaßung das Leben und die Geschichte sei.
Noch immer regiert in den Ämterstuben der hochfahrende Ton abgetakelter Militäranwärter, die hier ihre kleine Herrschsucht austoben. Noch immer kollern brave, sonst geduckte Bürger größenwahnsinnig, wenn sie das ›Regieren‹ überkommt.
Noch immer blähen sich Dienststellen auf, die keinen andern Beruf haben. Sie machen uns Schwierigkeiten und hemmen das ohnehin nicht leichte Leben bis zum Überdruß mit ihren leeren und machtlosen Verordnungen. Noch immer werden Lappalien reglementiert, und ohne ein Reichsamt für … gehts nicht.
Noch immer herrschen in den kleinen Kommunen die finstersten Patrone, und kein Hauch einer Änderung, geschweige denn einer Revolution dringt bis nach Klein Piepen-Eichen. Es ist alles beim alten.
Noch immer sind die widerlichsten und übelsten Paragraphen in Geltung: der von der widernatürlichen Unzucht – der ›Hexenhammer‹ kann ihn nicht scheußlicher ausgebrütet haben – und der von der Kuppelei, der die Mitmenschen die Nasen in fremde Betten stecken heißt – und der von der Gotteslästerung – und der – und der – und der –.
Noch immer beherrschen Sittlichkeitsfanatiker das öffentliche Leben in den kleinen Städten.
Noch immer thronen in den Alumnaten und in den Erziehungsheimen und in den Arbeitshäusern und überall, wo unglückliche junge oder alte Menschen gehorchen müssen, die alten schlechten Häuptlinge: Kerle, die von nichts wissen als von ihrem finstern Drang, zu herrschen, zu befehlen, zu knuten und zu treten.
Noch immer ist der Deutsche in allen kleinen Angelegenheiten des äußern Lebens unfrei, ein harmlos randalierender Tropf, so lange er nicht selbst ein Ämtchen sein eigen nennt, und hat ers: auch er ein Kaiserchen.
Was habt ihr gespielt? Revolution? Kinder. Politische Kinder.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 17.07.1919, Nr. 30, S. 85.