Meinen Freunden den Idealisten
Man sollte sie in Gänsefüßchen setzen, bevor man sie schilt. Denn es gibt solche und solche. Solche: die sagen, die Erde sei noch gar nichts, man müsse erst einmal die Erde in der Vollendung ihrer Idee sehen … Da ist es nun merkwürdig zu beobachten, wie sich die übelsten Kerls auf Vater Hegel und seine sieben Söhne berufen, wie der größte Schweinehund das Wort Wilhelm von Humboldt auf der Zunge zergehen läßt, dass es eine Lust ist. Nun steht uns im Lärm dieser Tage nicht an, zu untersuchen, ob Hegel wirklich – oder ob Fichte … Aber es ist doch merkwürdig: auf den so optimistischen Idealisten Schopenhauer, der ganz unbekümmert im Glauben die Erde durchmaß, schnappt keiner ein. Er verpflichtet.
Musik und die schleimige Philosophie verpflichten zu nichts. Die Begriffe sind freilich groß und weit – es geht alles hinein, aber es ist nichts drin. Gott – Staat – All – wie das hallt! Eben wie ein hohles Faß. Man kann alles hineinpacken, aber man muß nicht. Und unter der weiten Kuppel der erhabenen Worte finden sich alle, alle: Müde und Gesunde und Leute mit dem bösen Gewissen und schöne Seelen und Frauen. Hier haben Sie die Universalweltanschauung; weil sie für keinen unmittelbar paßt, ist sie jedem auf den Leib geschnitten.
Aber tun wir doch das Prachtgewand ab –! Dann kommt der Alltag und der Ernst des Lebens. Ertüchtigung – Durchsetzen der Persönlichkeit – gut, gut. Wir werden die Welt nicht ändern, nicht einmal, wenn wir einen Verein gründen. Aber gehört das mit dazu, den mächtigen kitzelnden Willen mit Draperien zu verkleiden? Ist das auch ein Bestandteil der germanischen Philosophie, die jetzt so sehr in die Mode gekommen ist? Langbehnig taucht der Schatten des Rembrandt-Deutschen auf – lieber nicht. »Die Welt ist viel trivialer oder, wenn du es auf deutsch willst, viel nichtsbedeutender, als sie sich einbildet. Es ist in Wahrheit die größte Seltenheit auf Erden, dass ein Mensch aus wahrhaft pathetischen Gründen etwas Rechtes im Guten oder Schlimmen, nach der Lichtoder nach der Schattenseite hin, wird oder zu Stande bringt. Wir werden meistens durch Kleinigkeiten zu Helden, Narren, Verbrechern oder Parakleten gemacht. Bonaparte kann seine Schneiderrechnung nicht bezahlen, geht hin, heiratet die Mätresse Barras' und marschiert zur italienischen Armee. An Schiller schreibt Körner: ›Schneider Müller fragt auch an, wann du zurückkommst‹, und Schiller geht hin und schreibt den ›Don Carlos‹. Verlaß dich drauf, Kind, und glaube nicht sofort daran, wenn sie dir mit dem Pathos kommen. Kleinigkeiten sinds –«. Also spricht der alte heilige Raabe, und der war auch ein Deutscher.
Die Idealisten aber spielen auf dem Pianoforte ihrer Begriffe – ach, wären es doch schwarze Bösewichter! Der Sonntag ist abstrakt, die Woche aber konkret und nahrhaft, und gerührt blickt Vater Hegel und Mama Fichte, das Elternpaar, auf die so vorzüglich geratene Nachkommenschaft.
Ignaz Wrobel
Die Schaubühne, 01.02.1917, Nr. 3, S. 107.