Sensualismus
Sensualismus (nit. v. sensus = Sinn) heißt derjenige erkenntnistheoretische Standpunkt, welcher alle Erkenntnis lediglich aus den Sinnen ableitet und eine davon unabhängige innere Erfahrung (Reflexion) als Erkenntnisquelle ableugnet. Diese verengte Form des Empirismus hat zwei Seiten, eine theoretische und eine praktische. Der theoretische Sensualismus ist vorbereitet durch die Lockesche Formel: Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu (Nichts ist im Verstande, was nicht im Sinne war). Ausgebildet ist er dann durch Hume (1711-1776), der alle Ideen von sinnlichen Eindrücken ableitet, durch Condillac (1715-1780) und durch Bonnet (1720-1793), welche alle psychischen Vorgänge für umgebildete Sinnesempfindungen ansehen. Condillac versucht an dem Beispiel einer allmählich belebten Statue nachzuweisen, daß die Menschheit den Sinnen alle Erkenntnis verdanke. Aber der theoretische Sensualismus ist eine Einseitigkeit, die das Wesen der inneren Erfahrung und der apperzeptiven Vorgänge verkennt, und schon Leibniz (1646-1716) hat den Lockeschen Satz berichtigt durch den Zusatz: nisi intellectus ipse (ausgenommen der Geist selbst), um anzudeuten, daß die Voraussetzung für die Sinneserkenntnis selbst das Vorhandensein geistiger Tätigkeit sei. – Der praktische Sensualismus gründet sich auf die metaphysische Behauptung, alles, was die Grenzen der sinnlichen Erfahrung überschreite, sei Täuschung. Durch diesen Standpunkt werden alle höheren spekulativen, ethischen, ästhetischen und religiösen Interessen gefährdet und der Weltansicht des Materialismus die Tore geöffnet. Folgerichtig wird dann die Sinneslust als Zweck des Daseins anerkannt. Dieser Ansicht huldigten Aristippos, Hobbes und die französischen Naturalisten des 18. Jahrhunderts. Eine mildere Form des sensualistischen Materialismus vertrat dagegen die schottische Philosophie (Hutcheson, Shaftesbury, Smith), welche den moralischen Sinn (common sense) statt der Sinnenlust zur Norm in sittlichen Dingen erhob.