Neigung
Neigung. Neigung ist die „habituelle sinnliche Begierde“, Anthr. 1. T. § 73 (IV 183); die „Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen“, GMS 2. Abs. 3. Anm. (III 35). Die Neigungen des Menschen können nicht als sittliche Motive gelten. Das Sittengesetz muß um seiner selbst willen, unabhängig von allen Neigungen und mit Überwindung solcher, die ihm Abbruch tun können, gewollt und befolgt werden (s. Rigorismus). An sich sind die Neigungen aber nicht böse, wenn sie auch für die Sittlichkeit als solche nicht in Betracht kommen, ja diese sich im Kampfe gegen jene durchsetzen und bewähren muß. Moralisch handelt, wer auch ohne, ja gegen seine Neigungen seine Pflicht (s. d.), aus Achtung vor dem Sittengesetz allein, ausübt, GMS 1. Abs. (III 15 ff.), 2. Abs. (III 48 ff.), 3. Abs. (III 68 ff.). Das Wesentliche ist, daß der Wille „nicht bloß ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe, sondern selbst mit Abweisung derselben und mit Abbruch aller Neigungen“, sofern sie dem Gesetze zuwider sein können, bloß durchs Gesetz bestimmt werde (s. Motiv). Alle Neigungen zusammen machen die „Selbstsucht“ aus, die kein sittliches Motiv ist, KpV 1. T. 1. B. 3. H. (II 94 ff.). „Aus Pflicht“, „nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen“, wird sittlich gewollt, ibid. (II 105 ff.); vgl. Liebe. Die Neigungen wechseln, wachsen mit ihrer Befriedigung, sie sind einem vernünftigen Wesen stets „lästig“ und nötigen ihm den Wunsch ab, ihrer entledigt zu sein. „Selbst eine Neigung zum Pflichtmäßigen (z. B. zur Wohltätigkeit) kann zwar die Wirksamkeit der moralischen Maximen sehr erleichtern, aber keine hervorbringen.“ „Neigung ist blind und knechtisch, sie mag nun gutartig sein oder nicht, und die Vernunft, wo es auf Sittlichkeit ankommt, muß nicht bloß den Vormund derselben vorstellen, sondern, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen, als reine praktische Vernunft ihr eigenes Interesse ganz allein besorgen.“ Selbst das Gefühl des Mitleids und der weichherzigen Teilnahme ist, wenn es der Überlegung, was Pflicht ist, vorhergeht und als Triebfeder wirkt, wohldenkenden Personen selbst lästig und bringt ihre überlegten Maximen in Verwirrung, ibid. 2. B. 2. H. II (II 151 f.).
Die Neigungen sind Gegner der „Grundsätze“, die im Sittlichen unerläßlich sind. Die Neigungen sind aber, „an sich selbst betrachtet gut, d. i. unverwerflich“ und brauchen nicht ausgerottet zu werden, sie müssen nur bezähmt werden, „damit sie sich untereinander nicht selbst aufreiben, sondern zur Zusammenstimmung in einem Ganzen, Glückseligkeit genannt, gebracht werden können“, Rel. 2. St. (IV 62 f.). Es gibt auch eine „sinnenfreie“ Neigung aus reinem Vernunftinteresse, MS Einl. I (III 13); vgl. Achtung, Moralisches Gefühl. „Neigungen sind unwillkürlich“, N 1118. Vgl. Tugend, Pflicht, Rigorismus, Liebe, Böse, Anmut.