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Notwendigkeit

Notwendigkeit. Die Notwendigkeit gehört zu den Kategorien der Modalität (s. d.). Ihr Gegensatz ist die Zufälligkeit (s. d.). In der Reihe der Erscheinungen gibt es kein schlechthin Notwendiges; das schlechthin, durch sich selbst Notwendige findet sich hier nicht, sondern kann nur dem übersinnlichen Grunde der Erscheinungsreihe angehören (s. Antinomien). Die Notwendigkeit alles Geschehens in der Natur als Erscheinungswelt ist mit der Freiheit (s. d.) der Vernunftwesen, des „intelligiblen Charakters“ vereinbar. Erfahrung (s. d.) gibt keine strenge Notwendigkeit; eine solche eignet nur apriorischen Erkenntniselementen, die eine Bedingung der Erfahrungserkenntnis und von deren Objekten sind, für die daher die Formen der Anschauung und des Denkens notwendig gelten. Strenge Notwendigkeit ist ein Kennzeichen von Urteilen a priori (s. d.). Außer der theoretischen (logisch-empirischen) Notwendigkeit gibt es auch eine praktische Notwendigkeit („Nötigung“) des „Sollens“ (s. d.) und ästhetische Notwendigkeit (s. Geschmacksurteil). Notwendigkeit des Denkens bedeutet noch nicht Notwendigkeit der Existenz (s. Ontologisches Argument).

„Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst unmöglich ist.“ Bei der bloß „logischen“ Notwendigkeit wird durch das Gegenteil das „Formale alles Denklichen“ aufgehoben (Widerspruch); die „Realnotwendigkeit“ kommt dem zu, dessen Nichtsein das „Materiale“ zu allem Denklichen aufheben würde. Es existiert ein schlechthin notwendiges Wesen, Beweisgr. Gottes 3. Btr. 1—2 (VI 32 ff.).

Eins der Postulate (s. d.) des empirischen Denkens überhaupt ist das der Notwendigkeit. „Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig“, KrV tr. Anal. 2. B. 2. H. 3. Abs. 4 (I 249—Rc 309). Es ist dies nicht die „formale“ und bloß „logische“, sondern die „materiale Notwendigkeit im Dasein“. Sie kann nie bloß aus Begriffen erkannt werden, „sondern jederzeit nur aus der Verknüpfung mit demjenigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung“. Hier kann nun als notwendig erkannt werden nur „das Dasein der Wirkungen aus gegebenen Ursachen nach Gesetzen“. Nicht das Dasein der Dinge (Substanzen), sondern das ihrer Zustände kann — aus anderen Zuständen — als notwendig erkannt werden. Nur die Notwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Ursachen uns gegeben sind, erkennen wir. „Die Notwendigkeit betrifft also nur die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem dynamischen Gesetze der Kausalität.“ „Alles, was geschieht, ist hypothetisch notwendig; das ist ein Grundsatz, welcher die Veränderung in der Welt einem Gesetze unterwirft, d. i. einer Regel des notwendigen Daseins, ohne welche gar nicht einmal Natur stattfinden würde. Daher ist der Satz: nichts geschieht durch ein blindes Ohngefähr (in mundo non datur casus) ein Naturgesetz a priori; imgleichen: keine Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin verständliche Notwendigkeit (non datur fatum).“ Beides sind Gesetze, „durch welche das Spiel der Veränderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerlei ist, der Einheit des Verstandes, in welchem sie allein zu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit der Erscheinungen, gehören können“, ibid. (I 259 f.—Rc 320 f.). Die „unbedingte Notwendigkeit der Erscheinungen“ ist „Naturnotwendigkeit“. Das Unbedingte im Dasein überhaupt heißt „notwendig“, das Bedingte „zufällig“, ibid. tr. Dial. 2. B. 2. H. 1. Abs. (I 383—Rc 507 f.).

Wenn die „Ursache in der Erscheinung“ von der „Ursache der Erscheinungen“ als einem Ding an sich unterschieden wird, so können die beiden Sätze der vierten Antinomie (s. d.) wohl nebeneinander bestehen, „nämlich daß von der Sinnenwelt überall keine Ursache ... stattfinde, deren Existenz schlechthin notwendig sei, imgleichen andererseits, daß diese Welt dennoch mit einem notwendigen Wesen als ihrer Ursache (aber von anderer Art und nach einem anderen Gesetze) verbunden sei“, Prol. § 53 (III 116). In der Reihe des abhängigen Daseins der Erscheinungen gibt es kein Glied, dessen Existenz schlechthin notwendig wäre. Wären Erscheinungen Dinge an sich, so gäbe es kein notwendiges Wesen als Bedingung des (substantiellen) Daseins der Erscheinungen der Sinnenwelt. So aber können alle Dinge als sinnliche Erscheinungen „zufällig“, empirisch bedingt sein, die ganze Reihe aber eine nichtempirische Bedingung haben, welche ein schlechthin notwendiges (intelligibles) Wesen ist, aber nicht als ein Glied der Reihe selbst, sondern als den Grund der Möglichkeit derselben enthaltend. Ein solches absolut notwendiges Dasein ist nicht zu beweisen oder zu erkennen, aber es ist denkbar, zur Einschränkung des empirischen Verstandesgebrauchs, obzwar es nicht zur Erklärung der Erfahrungstatsachen dienen kann. Die Zufälligkeit der Erscheinungen ist selbst „nur Phänomen“ und führt zu immer weiteren Phänomenen. „Sich aber einen intelligiblen Grund der Erscheinungen, d. i. der Sinnenwelt, und denselben befreit von der Zufälligkeit der letzteren denken, ist weder dem uneingeschränkten empirischen Regressus in der Reihe der Erscheinungen, noch der durchgängigen Zufälligkeit derselben entgegen“, KrV. tr. Dial. 2. B. 2. H. 9. Abs. IV (I 487 ff.—Rc 624 ff.); vgl. Antinomie, Ontologischer und Kosmologischer Gottesbeweis. Ich kann „das Zurückgehen zu den Bedingungen des Existierens niemals vollenden, ohne ein notwendiges Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben niemals anfangen“. „Wenn ich zu existierenden Dingen überhaupt etwas Notwendiges denken muß, kein Ding aber an sich selbst als notwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus unvermeidlich, daß Notwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen müsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen würde; mithin keiner dieser beiden Grundsätze objektiv sei, sondern sie allenfalls nur subjektive Prinzipien der Vernunft sein können, nämlich einerseits zu allem, was als existierend gegeben ist, etwas zu suchen, das notwendig ist, d. i. niemals anderswo, als bei einer a priori vollendeten Erklärung aufzuhören, anderseits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d. i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu überheben.“ Beide Grundsätze sind „bloß heuristisch und regulativ“; sie sagen, 1. man solle so über die Natur philosophieren, als ob es zu allem Existierenden einen notwendigen Grund gebe um der systematischen Einheit willen; 2. der andere Grundsatz warnt, keine einzige Bestimmung betreffs der Existenz der Dinge für einen solchen („eingebildeten“) obersten Grund, d. h. für absolutnotwendig zu halten. Es folgt daraus, daß man das Absolutnotwendige außerhalb der Welt annehmen muß, als obersten Grund der Einheit der Erscheinungen. Wir können so die Erscheinungen immer von anderen ableiten, „als ob es kein notwendiges Wesen gäbe“, und dennoch zur Vollständigkeit der Ableitung immer streben, „als ob ein solches als ein oberster Grund vorausgesetzt wäre,“, ibid. 3. H. 5. Abs. Entdeckung des dialektischen Scheins (I 529 ff.—Rc 669 ff.). „Die unbedingte Notwendigkeit der Urteile ... ist nicht eine absolute Notwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nn eine bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteile“ (wenn A, so B). Der Begriff eines absolutnotwendigen Wesens schließt nicht die Existenz eines solchen ein, ibid. 4. Abs (I 513—Rc 651); vgl. Ontologischer Gottesbeweis.

Die „Notwendigkeit des entis originarii“ (Urwesen) ist „nichts als die Vorstellung seiner unbedingten Existenz“. „Notwendigkeit aber bedeutet mehr, nämlich daß man auch erkennen könne und zwar aus seinem Begriffe, daß es existiere.“ Wir sind nicht befugt, für unseren Begriff des logisch Unbedingten ein Objekt als korrespondierend (ein ens realissimum) anzunehmen „Unter der Hypothese, daß etwas existiert, folgt: daß auch irgend etwas notwendig existiert, aber schlechtweg und ohne alle Bedingung kann doch nicht erkannt werden, daß etwas notwendig existiere, der Begriff von einem Dinge seinen inneren Prädikaten nach ma» auch angenommen werden, wie man wolle.“ „Warum schließe ich aber aufs Unbedingte? Weil dieses den obersten Grund des Bedingten enthalten soll. Der Schluß ist also: 1. Wenn etwas existiert, so ist auch etwas Unbedingtes. 2. Was unbedingt existiert, existiert als schlechthin notwendiges Wesen. Das letztere ist keine notwendige Folgerung, denn das Unbedingte kann für eine Reihe notwendig sein, es selber aber und die Reihe mag immer zufällig sein.“ „Eigentlich ist das prôton pseudos darin gelegen: das necessarium enthält in seinem Begriffe die Existenz eines Dinges als omnimoda determinatio, folglich läßt sich diese omnimoda determinatio aus seinem Begriffe (nicht bloß schließen) ableiten, welches falsch ist; denn es wird nur bewiesen, daß, wenn sie sich aus einem Begriffe ableiten lassen sollte, dieses der Begriff des realissimi (der allein ein Begriff ist, welcher zugleich die durchgängige Bestimmung enthält) sein muß“, Fortschr. d. Metaph. Beilage III, Randbemerkungen (V 3, 162 ff.); vgl. Zufälligkeit.

„Alles ist notwendig, schlechthin oder bedingt“, N 5196. „Alle Notwendigkeit ist entweder logisch oder real. Jene wird rational, diese empirisch erkannt“, N 3767. „Alle Notwendigkeit ist eine Notwendigkeit der Urteile oder der Sachen“, N 4035. „Wir sind genötigt, alle Dinge als notwendig anzunehmen (als absolut oder hypothetisch)“, N 6393. — „Gegeben ist ein Gegenstand, sofern er durchgängig bestimmt ist. Wenn durch seinen Begriff er durchgängig gegeben ist, so ist er notwendig“, N 4019. Es gibt bedingte und unbedingte Notwendigkeit; erstere zerfällt in die innerlich und äußerlich bedingte, N 4768. Alles ist notwendig, aber nichts schlechterdings, sondern „nur in Beziehung auf die Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“, N 5914. „Das schlechthin Notwendige kann nur als notwendige Bedingung des Erkenntnisses der Dinge überhaupt, und zwar aller Dinge, vorgestellt werden. Es wird alsdann als Bedingung der Möglichkeit der Sachen gedacht, und zwar wegen Ableitung aller möglichen Verhältnisse aus dem Verhältnisse eines jeden Gegebenen zum All der Möglichkeit muß es in der Allgenugsamkeit der Bedingung bestehen“, N 5258. „Die Notwendigkeit in allem respectu als conditio der Möglichkeit aller Dinge“ ist die „absolute Notwendigkeit“. „Es ist die Notwendigkeit eines allgemeinen substrati der Mannigfaltigkeit der Begriffe von Dingen“, N 4690. „Die absolute Notwendigkeit ist ein Grenzbegriff, weil ohne ihn keine completudo in der Reihe des Zufälligen sein würde“, N 4033; vgl. 5527, 5492, 4033. Vgl. Ontologischer Gottesbeweis, Antinomie, Exemplarisch, Freiheit, Charakter, A priori, Kausalität, Modalität, Objekt, Geschmacksurteil, Zufall, Zufälligkeit, Unbedingt, Urteile (analytische und synthetische).