Pflicht
Pflicht. In der Pflicht liegt eine „Nötigung“ des Wollens und Handelns seitens der praktischen Vernunft, eine „moralische Notwendigkeit“, die ein Ausfluß der (sittlichtranszendentalen) Freiheit des Vernunftwesens ist und der Autonomie (s. d.), der Selbstgesetzgebung der Vernunft entspringt. Die einzelnen Arten von Pflichten haben zum obersten Prinzip den kategorischen Imperativ (s. d.), der die Bewegung und Förderung der „Menschheit“, der vernünftig wollenden, Zwecke setzenden, Gesetze gebenden „Persönlichkeit“ in jedem Menschen, die Behandlung der „Menschheit“ in jedem als eines Selbstzwecks und absoluten Wertes zur Konsequenz hat. Die Gesetzgebung der Vernunft selbst ist die Grundlage der Pflicht; diese letztere ist also ihrer Form nach a priori aufgegeben, wenn auch im einzelnen Pflichten mit Rücksicht auf die Erfahrung zur Aufstellung gelangen können. Pflichtmäßiges Handeln (Legalität) ist noch nicht Handeln „aus Pflicht“, aus der (allein sittlichen) Achtung vor dem Sittengesetz (s. Moralität). Die Pflicht hat einen übersinnlichen Ursprung, ist etwas Erhabenes.
Einen „moralischen Gehalt“ hat eine Maxime nur, wenn etwas Pflichtmäßiges weder aus einer (unmittelbaren oder mittelbaren) Neigung noch aus Furcht getan oder unterlassen wird, sondern rein „aus Pflicht“. Aus Mitleid (s. d.) handeln z. B., ist „pflichtmäßig“ und „liebenswürdig“, hat aber doch „keinen wahren sittlichen Wert“. Wenn aber jemand, ohne daß ihn eine Neigung dazu anreizt, sich aus seiner Unempfindlichkeit herausreißt und eine Wohltat „ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht“ begeht, dann erst hat die Handlung „echten moralischen Wert“, denn „gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich, daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.“ Dieses ist der erste Satz. Der zweite lautet: „eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist.“ Der Wert der Handlung kann nur im „Prinzip“ des Willens liegen, „unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können“. Wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, so wird der Wille „durch das formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt“. Der dritte Satz lautet: „Pflicht ist Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz.“ Das „bloße Gesetz für sich“ ist ein „Gegenstand der Achtung“ und somit ein „Gebot“. Was den sittlichen Willen bestimmt, ist „objektiv das Gesetz und subjektiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze, selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen, Folge zu leisten“. Der moralische Wert der Handlung liegt also nicht in der aus ihr erwarteten Wirkung, die ja auch durch andere Ursachen erreicht werden könnte. „Es kann daher nichts anderes als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst, die freilich nur im vernünftigen Wesen stattfindet, sofern sie, nicht aber die erhoffte Wirkung, der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzügliche Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person selbst schon gegenwärtig ist, die danach handelt, nicht aber allererst aus der Wirkung erwartet werden darf“, GMS 1. Abs. (III 14 ff.). Als Motiv (s. d.) des sittlichen Wollens bleibt nur „die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt“, welche allein dem Willen zum Prinzip dienen soll, d. h. „ich soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden“. „Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt (ohne irgendein auf gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zum Grunde zu legen) das, was dem Willen zum Prinzip dient und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll; hiermit stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurteilung auch vollkommen überein und hat das gedachte Prinzip jederzeit vor Augen.“ Ich muß mich fragen, ob meine Maxime (z. B. zu lügen) „als ein allgemeines Gesetz (sowohl für mich als andere) gelten solle“ und werde dann inne, daß ich etwa ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen kann, denn meine Maxime würde als ein solches „sich selbst zerstören“. Ich muß mich fragen: „Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? Wo nicht, so ist sie verwerflich, und das zwar nicht um eines dir oder auch anderen daraus bevorstehenden Nachteils willen, sondern weil sie nicht als Prinzip in eine mögliche allgemeine Gesetzgebung passen kann; für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare Achtung ab.“ Das ist das „Prinzip“ der gemeinen praktischen Vernunft, das ihr zum „Richtmaße ihrer Beurteilung“ dient und wonach sie stets sehr gut Bescheid weiß, zu unterscheiden, was gut, was böse, pflichtmäßig oder pflichtwidrig sei, ibid. (III 20 ff.). Pflicht ist kein Erfahrungsbegri ff. Es ist unmöglich, „durch Erfahrung einen, einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe“. Die Pflicht als solche liegt „vor aller Erfahrung in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft“. Sie gilt für den „Willen eines vernünftigen Wesens überhaupt“, nicht bloß für Menschen, ibid. 2. Abs. (III 26 ff.). Alle Pflichtgebote lassen sich aus dem kategorischen Imperativ als aus ihrem Prinzip ableiten, sowohl die Pflichten gegen uns selbst, als die gegen andere Menschen, die vollkommen und unvollkommenen Pflichten ibid. (III 44 f.). Eine „vollkommene“ Pflicht ist jene, „die keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet“. Es gibt äußere und innere vollkommene Pflichten, ibid. 8. Anm. (III 45) Das oberste Prinzip aller dieser Pflichten ist negativ, die Widerspruchslosigkeit des Wollens positiv aber die Eignung der Maxime des Handelns zu einem allgemeinen Gesetze, ibid. (III 45 ff.). Pflicht ist „praktisch unbedingte Notwendigkeit der Handlung“, sie muß also für alle (endlichen) vernünftigen Wesen gelten und kann allein darum auch für allen menschlichen Willen ein Gesetz sein, ibid. (III 49). Sind die Maximen mit dem objektiven Prinzip des sittlichen Handelns nicht durch ihre Natur schon notwendig einstimmig, so heißt die Notwendigkeit der Handlung nach diesem Prinzip „praktische Nötigung, d. i. Pflicht“. Pflicht kommt allen Gliedern des Reiches (s. d.) der Zwecke in gleichem Maße zu. Die Pflicht beruht nicht auf Gefühlen, Antrieben und Neigungen, sondern „bloß auf dem Verhältnisse vernünftiger Wesen zueinander, in welchem der Wille eines vernünftigen Wesens jederzeit zugleich als gesetzgebend betrachtet werden muß, weil es sie sonst nicht als Zweck an sich selbst denken könnte“. Sie beruht auf der Idee der Würde (s. d.) eines vernünftigen Wesens, „das keinem Gesetze gehorcht als dem, das es zugleich selbst gibt“, ibid. (III 60). „Die Abhängigkeit eines nicht schlechterdings guten Willens vom Prinzip der Autonomie (die moralische Nötigung) ist Verbindlichkeit. Diese kann also auf ein heiliges Wesen nicht gezogen werden. Die objektive Notwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit heißt Pflicht“, ibid. (III 66). Eine Person, die alle ihre Pflichten erfüllt, hat Würde (s. d.). Pflichten haben die (endlichen) vernünftigen Wesen, also auch die Menschen, als Mitglieder des „Reich der Zwecke“ (s. d.).
Die Pflicht enthält eine Nötigung durch bloße Vernunft, ist das „objektive Gesetz“ derselben, KpV 1. T. 1. B. 1. H. § 7 (II 42); sie ist die Handlung, die nach dem moralischen Gesetze „mit Ausschließung aller Bestimmungsgründe aus Neigung“ objektivpraktisch ist, ibid. 3. H. (II 104). Was Pflicht ist, „bietet sich jedermann von selbst dar“, weil es nach dem Prinzip der „Autonomie der Willkür“ zu beurteilen ist, d. h. als der Gesetzlichkeit des Wollens gemäß, ibid. 1. H. § 8 (II 48). Die Pflicht nötigt uns, so ungern wir auch etwas tun (oder unterlassen) mögen, sie enthält eine „Unterwerfung“ unter ein Gebot, welche demütigt, aber auch erhebt, da der Zwang „bloß durch Gesetzgebung der eigenen Vernunft“ ausgeübt wird, vom Menschen als „Noumenon“ (s. d.) selbst ausgeht. Der Begriff der Pflicht fordert „an der Handlung objektiv Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber subjektiv Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe“. „Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, pflichtmäßig und aus Pflicht, d. i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die Legalität) auch möglich ist, wenn Neigungen bloß die Bestimmungsgründe des Willens gewesen wären, das zweite aber (die Moralität), der moralische Wert, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d. i. bloß um des Gesetzes willen geschehe“, KpV 1. T. 1. B. 3. H. (II 104 f.). Es ist bei der moralischen Beurteilung darauf zu achten, daß alle Moralität der Handlungen in deren Notwendigkeit aus Pflicht, nicht aus Liebe und Zuneigung zu einem Effekt der Handlung gesetzt werde. „Für Menschen und alle erschaffenen vernünftigen Wesen ist die moralische Notwendigkeit Nötigung, d. i. Verbindlichkeit, und jede darauf gegründete Handlung als Pflicht, nicht aber als eine von uns selbst schon beliebte oder beliebt werden könnende Verfahrungsart vorzustellen.“ Nur für ein vollkommenstes Wesen ist das moralische Gesetz ein Gesetz der „Heiligkeit“ (s. d.), für andere ist es ein Gesetz der Pflicht, der Bestimmung aus „Ehrfurcht“ vor der Pflicht ibid. (II 105 f.); vgl. Liebe. „Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu tun oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber das ist noch nicht die echte moralische Maxime unseres Verhaltens, die unserem Standpunkte unter vernünftigen Wesen als Menschen angemessen ist... Wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft und müssen in allen unseren Maximen der Unterwürfigkeit unter derselben nicht vergessen, ihr nichts zu entziehen... Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen.“ Wir sind zwar „gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen, durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs der Sitten“, aber doch zugleich „Untertanen“, nicht das Oberhaupt desselben, ibid. (II 106 f.). Man kann aber seine Pflicht gern ausüben; die Liebe (s. d.) zum Gesetz wäre die Vollendung der sittlichen Gesinnung, der wir uns immer nur annähern können, ibid. (II 108 f.). „Moralische Schwärmerei“ ist es, die moralische Triebfeder in etwas anderes als in das Gesetz selbst und die sittliche Gesinnung, in etwas anderes als in die Achtung für dasselbe zu setzen, ibid. (II 109 ff.). Tugend (s. d.) ist „moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens“. Die sittliche Stufe, auf der die Menschen stehen, ist die der Pflicht, ibid. (II 109). — „Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst imGemüte Eingang findet und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenngleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich insgeheim ihm entgegenwirken: welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher Wurzel abzustammen die unnachläßliche Bedingung desjenigen Wertes ist, den sich Menschen allein selbst geben können?“, ibid. (II 111 f.). „Es kann nichts minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke ... unter sich hat. Es ist nichts anderes als die Persönlichkeit, d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen, die Person also als zur Sinnenwelt gehörig ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß“. „Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein“, ibid. (II 112 f.). „Die Ehrwürdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen; sie hat ihr eigentümliches Gesetz, auch ihr eigentümliches Gericht“, ibid. (II 114).
Pflicht ist an sich „nichts anderes als Einschränkung des Willens auf die Bedingung einer allgemeinen, durch eine angenommene Maxime möglichen Gesetzgebung, der Gegenstand derselben oder der Zweck mag sein, welcher er wolle (mithin auch die Glückseligkeit); von welchem aber und auch von jedem Zweck, den man haben mag, hierbei ganz abstrahiert wird“, Theor. Prax. I (VI 75 f.) „Die Maxime einer unbedingten, auf gar keine zum Grunde gelegte Zwecke Rücksicht nehmenden Beobachtung eines kategorisch gebietenden Gesetzes der freien Willkür (d. i. der Pflicht) ist von der Maxime, dem als Motiv zu einer gewissen Handlungsweise uns von der Natur selbst untergelegten Zweck (der im allgemeinen Glückseligkeit heißt) nachzugehen, wesentlich, d. i. der Art nach unterschieden. Denn die erste ist an sich selbst gut, die zweite keineswegs; sie kann im Falle der Kollision mit der Pflicht sehr böse sein“, ibid. (VI 77 f.). „Nämlich ich räume gern ein, daß kein Mensch sich mit Gewißheit bewußt werden könne, seine Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben... Daß aber der Mensch seine Pflicht ganz uneigennützig ausüben solle und sein Verlangen nach Glückseligkeit völlig vom Pflichbegriffe absondern müsse, um ihn ganz rein zu haben: dessen ist er sich mit der größten Klarheit bewußt; oder glaubte er nicht es zu sein, so kann von ihm gefordert werden, daß er es sei, soweit es in seinem Vermögen ist; weil eben in dieser Reinigkeit der wahre Wert der Moralität anzutreffen ist, und er muß es also auch können“, ibid. (VI 80 f.). „Der Begriff der Pflicht in seiner ganzen Reinigkeit ist nicht allein ohne allen Vergleich einfacher, klarer, für jedermann zum praktischen Gebrauch faßlicher und natürlicher als jedes von der Glückseligkeit hergenommene, oder damit und mit der Rücksicht auf sie vermengte Motiv (welches jederzeit viel Kunst und Überlegung erfordert); sondern auch in dem Urteile selbst der gemeinsten Menschenvernunft ... bei weitem kräftiger, eindringender und Erfolg versprechender als alle von dem letzteren eigennützigen Prinzip entlehnte Bewegungsgründe“, ibid. (VI 82). „Der Wille ... nach der Maxime der Glückseligkeit schwankt zwischen seinen Triebfedern, was er beschließen solle; denn er sieht auf den Erfolg, und der ist sehr ungewiß; es erfordert einen guten Kopf, um sich aus dem Gedränge von Gründen und Gegengründen herauszuwickeln und sich in der Zusammenrechnung nicht zu betrügen. Dagegen, wenn er sich fragt, was hier Pflicht sei: so ist er über die sich selbst zu gebende Antwort gar nicht verlegen, sondern auf der Stelle gewiß, was er zu tun habe. Ja, er fühlt sogar, wenn der Begriff von Pflicht bei ihm etwas gilt, einen Abscheu, sich auch nur auf den Überschlag von Vorteilen, die ihm aus ihrer Übertretung erwachsen könnten, einzulassen, gleich als ob er hier noch die Wahl habe“, ibid. (VI 83). Die innere Erfahrung zeigt, „daß keine Idee das menschliche Gemüt mehr erhebt und bis zur Begeisterung belebt, als eben die von einer die Pflicht über alles verehrenden, mit zahllosen Übeln des Lebens und selbst den verführerischsten Anlockungen desselben ringenden und dennoch (wie man mit Recht annimmt, daß der Mensch es vermöge) sie besiegenden reinen moralischen Gesinnung. Daß der Mensch sich bewußt ist, er könne dieses, weil er es soll: das eröffnet in ihm eine Tiefe göttlicher Anlagen, die ihm gleichsam einen heiligen Schauer über die Größe und Erhabenheit seiner wahren Bestimmung fühlen läßt“. „Natur .. und Neigung können der Freiheit nicht Gesetze geben. Ganz anders ist es mit der Idee der Pflicht bewandt, deren Übertretung, auch ohne auf die ihm daraus erwachsenden Nachteile Rücksicht zu nehmen, unmittelbar auf das Gemüt wirkt und den Menschen in seinen eigenen Augen verwerflich und strafbar macht“, ibid. (VI 83 ff.). „Nun findet jeder Mensch in seiner Vernunft die Idee der Pflicht und zittert beim Anhören ihrer ehernen Stimme, wenn sich in ihm Neigungen regen, die ihn zum Ungehorsam gegen sie versuchen. Er ist überzeugt, daß, wenn auch die letzteren insgesamt vereinigt sich gegen jene verschwören, die Majestät des Gesetzes, welches ihm seine eigene Vernunft vorschreibt, sie doch alle unbedenklich überwiegen müsse, und sein Wille also auch dazu vermögend sei.“ „Nun stelle ich den Menschen auf, wie er sich selbst fragt: Was ist das in mir, welches macht, daß ich die innigsten Anlockungen meiner Triebe und alle Wünsche, die aus meiner Natur hervorgehen, einem Gesetze aufopfern kann, welches mir keinen Vorteil zum Ersatz verspricht und keinen Verlust bei Übertretung desselben androht; ja. daß ich nur um desto inniglicher verehre, je strenger es gebietet und je weniger es dafür anbietet? Diese Frage regt durch das Erstaunen über die Größe und Erhabenheit der inneren Anlage in der Menschheit und zugleich die Undurchdringlichkeit des Geheimnisses, welches sie verhüllt (denn die Antwort: es ist die Freiheit, wäre tautologisch, weil diese eben das Geheimnis selbst ausmacht), die ganze Seele auf. Man kann nicht satt werden, sein Augenmerk darauf zu richten und in sich selbst eine Macht zu bewundern, die keiner Macht der Natur weicht.“ Dieses „aus Ideen erzeugt Gefühl“ kann die Menschen besser machen, V. e. vorn. Ton (V 4, 19 f.).
Die Pflicht abstrahiert von allen Zwecken, hat solche nicht zu Triebfedern, führt aber zu Zwecken, Rel. Vorr. z. 1. A. (IV 2 f.). In der Idee der Pflicht liegt „Heiligkeit“, sie hat eine „göttliche Abkunft“. Die Unbegreiflichkeit dieser „muß auf das Gemüt bis zur Begeisterung wirken und es zu den Aufopferungen stärken, welche ihm die Achtung für seine Pflicht nur auferlegen mag“. Es regt sich dann das Gefühl der Erhabenheit der moralischen Bestimmung des Menschen, die seelenerhebende Bewunderung der ursprünglichen moralischen Anlage in uns, ibid. 1. St. Allg. Anm. (IV 53 f.) „Sobald etwas als Pflicht erkannt wird, wenn es gleich durch die bloße Willkür eines menschlichen Gesetzgebers auferlegte Pflicht wäre, so ist es doch zugleich göttliches Gebot, ihr zu gehorchen.“ Auch die Beobachtung der (selbst nicht göttlichen) „statutarischen bürgerlichen Gesetze“ ist zugleich „göttliches Gebot“, sofern sie nicht dem Sittengesetze unmittelbar zuwider sind, ibid. 3. St. 1. Abt. III., Anm. (IV 113). Die Religion (s. d.) besteht geradezu in der Auffassung unserer Pflichten als göttlicher Gebote, obzwar es keine eigenen „Pflichten gegen Gott“ gibt, ibid. 4. St. 1. T. u. 1. Anm. (IV 179). Die Pflicht ist „ursprünglich ins Herz des Menschen durch die Vernunft geschrieben“, ibid. 2. St. 2. Abs. Allg. Anmerk. (IV 95). Es ist „allgemeine Menschenpflicht“, sich dem Ideal der moralischen Vollkommenheit zu nähern, ibid. 2. St. 1. Anm. (IV 66). Vgl. Christentum.
„Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit, und es kann einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können“, MS Einl. IV (III 25). Vgl. Ethik, Rechtslehre, Tugendlehre. „Ein Widerstreit der Pflichten (collisio officiorum s. obligationum) würde das Verhältnis derselben sein, durch welches eine derselben die andere (ganz oder zum Teil) aufhöbe. — Da aber Pflicht und Verbindlichkeit überhaupt Begriffe sind, welche die objektive praktische Notwendigkeit gewisser Handlungen ausdrücken und zwei einander entgegengesetzte Regeln nicht zugleich notwendig sein können, sondern, wenn nach einer derselben zu handeln es Pflicht ist, so ist nach der entgegengesetzten zu handeln nicht allein keine Pflicht, sondern sogar pflichtwidrig: so ist eine Kollision von Pflichten und Verbindlichkeiten gar nicht denkbar (obligationes non colliduntur). Es können aber gar wohl zwei Gründe der Verbindlichkeit (rationes obligandi), deren einer aber oder der andere zur Verpflichtung nicht zureichend ist (rationes obligandi non obligantes), in einem Subjekt und der Regel, die es sich vorschreibt, verbunden sein, da dann der eine nicht Pflicht ist. — Wenn zwei solcher Gründe einander widerstreiten, so sagt die praktische Verbindlichkeit nicht: daß die stärkere Verbindlichkeit die Oberhand behalte (fortior obligatio vincit), sondern der stärkere Verpflichtungsgrund behält den Platz (fortior obligandi ratio vincit)“, ibid. (III 27 f.).
„Alle Pflichten sind entweder Rechtspflichten (officia iuris), d. i. solche, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, oder Tugendpflichten (officia virtutis s. ethica), für welche eine solche nicht möglich ist; die letzteren können aber darum nur keiner äußeren Gesetzgebung unterworfen werden, weil sie auf einen Zweck gehen, der (oder welchen zu haben) zugleich Pflicht ist; sich aber einen Zweck vorsetzen, das kann durch keine äußerliche Gesetzgebung bewirkt werden (weil es ein innerer Akt des Gemüts ist); obgleich äußere Handlungen geboten werden mögen, die dahin führen, ohne doch daß das Subjekt sie sich zum Zweck macht“, MSR Einl. Einteilung der MS I (III 45). Nach dem objektiven Verhältnis des Gesetzes zur Pflicht gliedern sich die Pflichten so:
Nach dem subjektiven Verhältnis der Verpflichtenden und Verpflichteten ergibt sich: „1. Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die weder Recht noch Pflicht haben“ (fehlt, da solche Wesen uns weder verbinden noch von uns verbunden werden können), „2. Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die sowohl Recht als Pflicht haben.“ „3. Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die lauter Pflichten und keine Rechte haben“ (fehlt, denn das wären Menschen ohne Persönlichkeit, Leibeigene, Sklaven). „4. Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu einem Wesen, was lauter Rechte und keine Pflicht hat (Gott)“. (Fehlt in der Philosophie, weil es kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist; es wäre eine transzendente Pflicht, d. h. eine solche, der kein äußeres verpflichtendes Subjekt korrespondierend gegeben werden kann), ibid. II—III (III 46 f.).
„Der Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz; dieser Zwang mag nun ein äußerer oder ein Selbstzwang sein.“ Der sittliche Pflichtbegriff kann keinen anderen als den Selbstzwang (durch die Vorstellung des Gesetzes allein) enthalten, MST Einl. I (III 217 f.). Vgl. Tugend. Die „ethischen Pflichten“ sind von weiter, die „Rechtspflichten“ von enger Verbindlichkeit. Unter einer „weiten Pflicht“ ist zu verstehen die Erlaubnis „der Einschränkung einer Pflichtmaxime durch die andere“, wodurch das Feld der Tugendpraxis erweitert wird. Die unvollkommenen Pflichten sind allein Tugendpflichten; die Erfüllung derselben ist „Verdienst“, ibid. VII (III 230 f.) Die Tugendpflichten (s. d.) sind Zwecke, die zugleich Pflichten sind. — Es gibt Pflichten des Menschen gegen sich selbst. Denn es gäbe sonst gar keine, auch keine äußeren Pflichten. „Denn ich kann mich gegen andere nicht für verbunden erkennen, als nur sofern ich zugleich mich selbst verbinde: weil das Gesetz, kraft dessen ich mich für verbunden achte, in allen Fällen aus meiner eigenen praktischen Vernunft hervorgeht, durch welche ich genötigt werde, indem ich zugleich der Nötigende in Ansehung meiner selbst bin“, MST § 2 (III 262). Der Mensch als Persönlichkeit, d. h. als „ein mit innerer Freiheit begabtes Wesen (homo noumenon)“ ist ein der Verpflichtung fähiges Wesen, und zwar gegen sich selbst (die Menschheit in seiner Person), ibid. § 3 (III 263). Die Einteilung der Pflichten gegen sich selbst kann nur betreffs des Objektes der Pflicht, nicht des Subjektes erfolgen. Diese objektive Einteilung ist die in das „Formale“ und „Materiale“ der Pflichten, wovon die einen „einschränkend (negative Pflichten)“, die anderen „erweiternd (positive Pflichten gegen sich selbst)“ sind: „jene, welche dem Menschen in Ansehung des Zwecks seiner Natur verbieten, demselben zuwider zu handeln, mithin bloß auf die moralische Selbsterhaltung, diese, welche gebieten, sich einen gewissen Gegenstand der Willkür zum Zweck zu machen, und auf die Vervollkommnung seiner selbst gehen“. Die ersteren gehören zur „moralischen Gesundheit“, die letzteren zur „moralischen Wohlhabenheit“, welche zur „Kultur (als tätiger Vollkommenheit) seiner selbst“ gehört. „Der erste Grundsatz der Pflicht gegen sich selbst liegt in dem Spruch: Lebe der Natur gemäß (naturae convenienter vive), d. i. erhalte dich in der Vollkommenheit deiner Natur; der zweite in dem Satz: Mache dich vollkommener, als die bloße Natur dich schuf“, ibid. § 4 (III 263 f.). Die subjektive Einteilung der Pflichten gegen sich selbst ist die, nach der das Subjekt sich selbst als animalisches (physisches) und zugleich moralisches, oder bloß als moralisches Wesen betrachtet. „Da sind nun die Antriebe der Natur, was die Tierheit des Menschen betrifft: a) der [Trieb], durch welchen die Natur die Erhaltung seiner selbst, b) die Erhaltung der Art, c) die Erhaltung seines Vermögens zum angenehmen, aber doch nur tierischen Lebensgenuß beabsichtigt.“ Laster sind hier der Selbstmord, der unnatürliche Geschlechtsgenuß, der unmäßige Genuß der Nahrungsmittel. Die Pflicht des Menschen gegen sich bloß als moralisches Wesen besteht „im Formalen der Übereinstimmung der Maximen seines Willens mit der Würde der Menschheit in seiner Person, also im Verbot, daß er sich selbst des Vorzugs eines moralischen Wesens, nämlich nach Prinzipien zu handeln, d. i. der inneren Freiheit, nicht beraube und dadurch zum Spiel bloßer Neigungen, also zur Sache mache“. Die Laster sind hier die Lüge, der Geiz und die falsche Demut (Kriecherei), denen allen die Tugend der Ehrliebe gegenübersteht, ibid. (III 264 ff.). Der Selbstmord ist ein Verbrechen an der Menschheit in der eigenen Person, ibid. § 6, (III 268 f.); vgl. Lüge, Kultur, Demut, Reflexionsbegriffe, Gewissen. Die Pflichten gegen andere gliedern sich in: „Pflichten gegen andere, sofern du sie durch Leistung derselben zugleich verbindest, und in solche, deren Beobachtung die Verbindlichkeit anderer nicht zur Folge hat“. „Die erstere Leistung ist (respektiv gegen andere) verdienstlich; die der zweiten ist schuldige Pflicht — Liebe und Achtung sind die Gefühle, welche die Ausübung dieser Pflichten begleiten“, ibid. § 23 (III 303).
Es kann wohl allmählich geschehen, „daß wir pflichtmäßige Handlungen mit Lust tun“, aber nicht, „daß wir sie mit Lust aus Pflicht tun, welches sich widerspricht, folglich auch nicht als zufolge einer Triebfeder der Sinnenlust, die den Mangel des Gehorsams gegen das Pflichtgesetz ergänzt“. „Würden alle Menschen das moralische Gesetz gern und willig befolgen, so wie es die Vernunft als die Regel enthält, so würde es gar keine Pflicht geben“, Lose Bl. C 1. „Der Tugendhafte zieht die Befolgung des Gesetzes nicht aller anderen Triebfeder vor, weil er die größere Lust daran fühlt, sondern er fühlt daran eben die größte Lust, daß er sie vorzieht und seine Vernunft ihn dazu bestimmen kann.“ „Die Lust aus der Befolgung des Gesetzes gehört gar nicht zur Glückseligkeit, sondern zur Würdigkeit, glücklich zu sein, und ist Beifall, nicht Genuß“, ibid. C 15. „Der Bestimmungsgrund der Willkür macht ... entweder die Handlung oder die Maxime, nach einer gewissen Regel zu handeln, schlechterdings (objektiv) notwendig. Die erste Nötigung enthält das Prinzip: handle so, als ob deine Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung zum Grunde gelegt werden sollte. Die zweite Nötigung sagt: Mache es dir zur Maxime, so zu handeln, als ob du durch dieselbe allgemein gesetzgebend wärest, doch unter der Bedingung, daß du in dieser Gesetzgebung mit dir selbst zusammenstimmend sein kannst.“ „Die Lehre der ersteren Pflichten ist die Rechtslehre, die der zweiten die Tugendlehre; jene pflichtmäßiger (guter) Handlungen, die zweite guter Maximen (Gesinnungen) d. i. subjektiver Grundsätze, gesetzmäßig zu handeln.“ Analytisches Prinzip aller Pflicht: „Handle so, daß die Maxime, in die du deine Handlung aufnimmst, zugleich allgemein gesetzgebend sein könne.“ Synthetisches Prinzip: „Nimm solche Handlungen in deine Maximen auf, die zugleich allgemein gesetzgebend sein, mithin als Pflicht betrachtet werden können, d. i. tue, was du sollst, aus Pflicht, d. i. weil du sollst.“ „Pflicht ist eine Handlung, die schlechthin geboten, d. i. durch die Vernunft unbedingt notwendig gemacht wird“, ibid. E 5. Es ist Pflicht, so zu verfahren, „als ob“ eine übernatürliche Gesetzgebung bestände, ibid. E 9; vgl. E. 76. Pflicht gegen sich selbst ist die Achtung vor dem Ansehen der im Menschen gesetzgebenden Vernunft, ibid. E 20. Die „Pflicht gegen sich selbst“ besteht darin, „daß der Mensch in seinem Innern eine gewisse Würde habe, die ihn vor allen Geschöpfen adelt“, und daß er „diese Würde der Menschheit in seiner eigenen Person“ nicht verleugne, Über Pädagogik (VIII 240). Vgl. Eine Vorlesung üb. Ethik ed. Menzer S. 145 ff. Vgl. Rigorismus, Neigung, Moralisches Gefühl, Gesetze (praktische), Tugend, Recht, Zweck, Moralische Welt, Sittlichkeit.