Zum Hauptinhalt springen

Praktisch

Praktisch. „Theoretisch betrachten wir etwas, insofern wir nur auf das achten, was zu seinem Sein gehört; praktisch aber, wenn wir das mustern, was ihm vermöge der Freiheit einwohnen sollte“, Mund. sens. § 9 Anm. (V 2, 101).

Die „praktische Erkenntnis“ ist jene, „dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll“. Der „praktische Gebrauch der Vernunft“ ist jener, „durch den a priori erkannt wird, was geschehen solle“, KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 7. Abs. (I 541—Rc 683). „Praktisch“ ist „alles, was durch Freiheit möglich ist“; was mit der freien Willkür zusammenhängt. „Reine praktische Gesetze, deren Zweck durch die Vernunft völlig a priori gegeben ist, und die nicht empirisch bedingt, sondern schlechthin gebieten“, sind Produkte der reinen Vernunft; dergleichen sind die moralischen Gesetze, ibid. tr. Meth. 2. H. 1. Abs. (I 663 f.—Rc 814 f.); vgl. Imperativ, Freiheit. „Alle praktischen Begriffe gehen auf Gegenstände des Wohlgefallens oder Mißfallens, d. i. der Lust oder Unlust, mithin, wenigstens indirekt, auf Gegenstände unseres Gefühls“, ibid. Anm. (I 663—Rc 815).

Man darf das „Praktische nach Naturbegriffen“ nicht mit dem „Praktischen nach dem Freiheitsbegriffe“ für einerlei halten. „Der Wille als Begehrungsvermögen ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und alles, was als durch einen Willen möglich (oder notwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder -notwendig); zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern, wie bei der leblosen Materie, durch Mechanism und bei Tieren durch Instinkt) zur Kausalität bestimmt wird.“ „Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Kausalität des Willens die Regel gibt, ein Naturbegriff oder ein Freiheitsbegriff sei“ (vgl. Begriff). „Der letztere Unterschied aber ist wesentlich. Denn ist der die Kausalität bestimmende Begriff ein Naturbegriff, so sind die Prinzipien technisch-praktisch, ist er aber ein Freiheitsbegriff, so sind diese moralisch-praktisch.“ Erstere gehören zur theoretischen Philosophie (als Naturlehre), letztere zur praktischen (als Sittenlehre). „Alle technisch-praktische Regeln (d. i. die der Kunst und Geschicklichkeit überhaupt, oder auch der Klugheit als einer Geschicklichkeit, auf Menschen und ihren Willen Einfluß zu haben), sofern ihre Prinzipien auf Begriffen beruhen, müssen nur als Korollarien zur theoretischen Philosophie gezählt werden. Denn sie betreffen nur die Möglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen, wozu nicht allein die Mittel, die in der Natur dazu anzutreffen sind, sondern selbst der Wille (als Begehrungs-, mithin als Naturvermögen) gehört, sofern er durch Triebfedern der Natur jenen Regeln gemäß bestimmt werden kann. Doch heißen dergleichen praktische Regeln nicht Gesetze (etwa so wie physische), sondern nur Vorschriften; und zwar darum, weil der Wille nicht bloß unter dem Naturbegriffe, sondern auch unter dem Freiheitsbegriffe steht, in Beziehung auf welchen die Prinzipien desselben Gesetze heißen und mit ihren Folgerungen den zweiten Teil der Philosophie, nämlich den praktischen, allein ausmachen.“ Die Kunst der Experimente, die Haus-, Land-, Staatswirtschaft, die Vorschriften der Diätetik, die Glückseligkeitslehre u. dgl. gehören nicht zur praktischen Philosophie, sondern nur die moralisch-praktischen Vorschriften, die sich gänzlich auf den Freiheitsbegriff gründen, als Gesetze, welche auf einem „übersinnlichen Prinzip“ beruhen, KU Einl. I (II 7 ff.). Die Vernunft (im engeren Sinne) kann nur im Praktischen gesetzgebend sein, ibid. II (II 10); vgl. Gesetz. Eine theoretisch-dogmatische Erkenntnis des Übersinnlichen (s. d.) gibt es nicht. Wohl aber läßt sich dieses (Freiheit, Unsterblichkeit, Gott) „praktisch-dogmatisch“ bestimmen, in „moralisch-praktischer Rücksicht“ annehmen und in seiner praktischen Geltung (praktischen Realität) bestimmen, Fortschr. d. Metaph. 2. Abt. 3. Stadium (V 3, 124 ff.); vgl. Glaube. „Alles Praktische, was nach Naturgesetzen möglich sein soll (die eigentliche Beschäftigung der Kunst), hängt seiner Vorschrift nach gänzlich von der Theorie der Natur ab; nur das Praktische nach Freiheitsgesetzen kann Prinzipien haben, die von keiner Theorie abhängig sind; denn über die Naturbestimmungen hinaus gibt es keine Theorie.“ „Also kann die Philosophie unter dem praktischen Teile (neben ihrem theoretischen) keine technisch-, sondern bloß moralisch-praktische Lehre verstehen; und wenn die Fertigkeit der Willkür nach Freiheitsgesetzen, im Gegensatze der Natur, hier auch Kunst genannt werden sollte, so würde darunter eine solche Kunst verstanden werden müssen, welche ein System der Freiheit gleich einem Systeme der Natur möglich macht; fürwahr eine göttliche Kunst, wenn wir imstande wären, das, was uns die Vernunft vorschreibt, vermittelst ihrer auch völlig auszuführen und die Idee davon ins Werk zu richten“, MS Einl. II (III 19).

„Eine Erkenntnis wird praktisch genannt im Gegensatze zu der theoretischen, aber auch im Gegensatze zu der spekulativen Erkenntnis.“ „Praktische Erkenntnisse sind nämlich entweder 1. Imperative und insofern den theoretischen Erkenntnissen entgegengesetzt; oder sie enthalten 2. die Gründe zu möglichen Imperativen und werden insofern den spekulativen Erkenntnissen entgegengesetzt.“ „Unter einem Imperativ überhaupt ist jeder Satz zu verstehen, der eine möglich freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirklich gemacht werden soll. — Eine jede Erkenntnis also, die Imperative enthält, ist praktisch, und zwar im Gegensatze zu der theoretischen Erkenntnis praktisch zu nennen. Denn theoretische Erkenntnisse sind solche, die da aussagen: nicht, was sein soll, sondern was ist; — also kein Handeln, sondern ein Sein zu ihrem Objekte haben.“ „Setzen wir dagegen praktische Erkenntnisse den spekulativen entgegen, so können sie auch theoretisch sein, wofern aus ihnen nur Imperative können abgeleitet werden. Sie sind alsdann, in dieser Rücksicht betrachtet, dem Gehalte nach (in potentia) oder objektiv praktisch.“ Es ist also nicht jede „theoretische“ Erkenntnis „spekulativ“; sie kann auch zugleich „praktisch“ sein. „Alles läuft zuletzt auf das Praktische hinaus; und in dieser Tendenz alles Theoretischen und aller Spekulation in Ansehung ihres Gebrauches besteht der praktische Wert unserer Erkenntnis.“ „Der einige unbedingte und letzte Zweck (Endzweck), worauf aller praktische Gebrauch unserer Erkenntnis zuletzt sich beziehen muß, ist die Sittlichkeit, die wir um deswillen auch das schlechthin oder absolut Praktische nennen. Und derjenige Teil der Philosophie, der die Moralität zum Gegenstande hat, würde demnach praktische Philosophie kat’ exochên heißen müssen, obgleich jede andere philosophische Wissenschaft immer auch ihren praktischen Teil haben, d. h. von den aufgestellten Theorien eine Anweisung zum praktischen Gebrauche derselben für die Realisierung gewisser Zwecke enthalten kann“, Log. Einl. Anh. (IV 95 ff.). Vgl. Primat, Vernunft, Realität, Pragmatisch, Gebrauch, Problem, Gesetze (praktische).