Politik
Politik. „Die Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objektiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen, und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine Autorität zugestanden hat, noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne. Denn alsdann fällt dieser Begriff von selbst weg (ultra posse nemo obligatur); mithin kann es keinen Streit der Politik als ausübender Rechtslehre mit der Moral, als einer solchen, aber theoretischen (mithin keinen Streit der Praxis mit der Theorie) geben: man müßte denn unter der letzteren eine allgemeine Klugheitslehre, d. i. eine Theorie der Maximen verstehen, zu seinen auf Vorteil berechneten Absichten die tauglichsten Mittel zu wählen, d.i. leugnen, daß es überhaupt eine Moral gebe.“ „Die Politik sagt: ‚Seid klug wie die Schlangen‘; die Moral setzt (als einschränkende Bedingung) hinzu: ‚und ohne Falsch wie die Tauben‘.“ „Ich kann mir nun zwar einen moralischen Politiker, d. i. einen, der die Prinzipien der Staatsklugheit so nimmt, daß sie mit der Moral zusammen bestehen können, aber nicht einen politischen Moralisten denken, der sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmannes sich zuträglich findet.“ „Der moralische Politiker wird es sich zum Grundsatz machen: wenn einmal Gebrechen in der Staatsverfassung oder im Staatenverhältnis angetroffen werden, die man nicht hat verhüten können, so sei es Pflicht, vornehmlich für Staatsoberhäupter, dahin bedacht zu sein, wie sie sobald wie möglich gebessert und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft uns zum Muster vor Augen steht, angemessen gemacht werden könne: sollte es auch ihrer Selbstsucht Aufopferungen kosten“, Z. ew. Fried. Anh. I (VI 151 ff.). „Die Staatsweisheit wird sich also in dem Zustande, worin die Dinge jetzt sind, Reformen dem Ideal des öffentlichen Rechts angemessen zur Pflicht machen; Revolutionen aber, wo sie die Natur von selbst herbeiführt, nicht zur Beschönigung einer noch größeren Unterdrückung, sondern als Ruf der Natur benutzen, eine auf Freiheitsprinzipien gegründete gesetzliche Verfassung als die einzige dauerhafte, durch gründliche Reform zustande zu bringen“, ibid. 1. Anm. (VI 154). Der Satz: fiat iustitia, pereat mundus will nichts anderes sagen als: „die politischen Maximen müssen nicht von der aus ihrer Befolgung zu erwartenden Wohlfahrt und Glückseligkeit eines jeden Staats, also nicht vom Zweck, den sich ein jeder derselben zum Gegenstande macht (vom Wollen), sondern von dem reinen Begriff der Rechtspflicht (vom Sollen, dessen Prinzip a priori durch reine Vernunft gegeben ist) ausgehen, die physischen Folgen daraus mögen auch sein, welche sie wollen. Die Welt wird keineswegs dadurch untergehen, daß der bösen Menschen weniger wird“, ibid. (VI 160 f.). Wir müssen annehmen, „die reinen Rechtsprinzipien haben objektive Realität, d. i. sie lassen sich ausführen; und danach müsse auch von seiten des Volks im Staate und weiterhin von seiten der Staaten gegeneinander gehandelt werden; die empirische Politik mag auch dagegen einwenden, was sie wolle. Die wahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben“. „Das Recht der Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten“, ibid. (VI 162 f.). „Sowie Klugheit die Geschicklichkeit ist, Menschen (freie Wesen) als Mittel zu seinen Absichten zu brauchen, so ist diejenige Klugheit, wodurch jemand ein ganzes freies Volk zu seinen Absichten zu brauchen versteht, die Politik (Staatskunst). Diejenige Politik, welche dazu sich solcher Mittel bedient, die mit der Achtung fürs Recht der Menschen zusammenstimmen, ist moralisch.“ „Alle wahre Politik ist auf die Bedingung eingeschränkt, mit der Idee des öffentlichen Rechts zusammenzustimmen (ihr nicht zu widerstreiten).“ Sie muß „offen verfahren“, darf nicht nach Maximen handeln, „die man verbergen muß, wenn man will, daß ein unrechtmäßiges Mittel gelingen soll“. „Wehe dem, der eine andere Politik anerkennt als diejenige, welche die Rechtagesetze heilig hält!“, Bruchstücke aus dem Nachlaß (VIII 294 f.). Eine Politik, „welche, was den Punkt der Mittel betrifft, nicht bedenklich ist (also die des Politikasters), ist Demagogie“, Lose Bl. F 4. Vgl. Staat, Staatsverfassung, Krieg, Friede.