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Krieg

Krieg. Der Krieg ist etwas von der Vernunft und Ethik Verwerfliches, aber hat doch für den Fortschritt in der Geschichte (s. d.) einen Nutzen. „Alle Kriege sind soviel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der Absicht der Natur), neue Verhältnisse der Staaten zustande zu bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung alter, neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder nebeneinander, nicht erhalten können und daher neue ähnliche Revolutionen erleiden müssen; bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlich gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann“, G. i. weltbürg. Abs. 7. Satz (VI 13 f.). Der Krieg wird allmählich „nicht allein ein so künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so unsicheres, sondern auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsenden Schuldenlast (einer neuen Erfindung) fühlt, deren Tilgung unabsehlich wird, ein so bedenkliches Unternehmen, daher der Einfluß, den jede Staatserschütterung in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten Weltteil auf alle anderen Staaten tut, so merklich, daß sich diese, durch ihre eigene Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern anbieten, und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper anschicken, wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat“, ibid. 8. Satz (VI 17 f.); vgl. Friede. „Man muß gestehen: daß die größten Übel, welche gesittete Völker drücken, uns vom Kriege, und zwar nicht so sehr von dem, der wirklich oder gewesen ist, als von der nie nachlassenden und sogar unaufhöhrlich vermehrten Zurüstung zum künftigen, zugezogen werden. Hierzu werden alle Kräfte des Staates, alle Früchte seiner Kultur, die zu einer noch größeren Kultur gebraucht werden könnten, verwandt; der Freiheit wird an so vielen Orten mächtiger Abbruch getan, und die mütterliche Vorsorge des Staates für einzelne Glieder in eine unerbittliche Härte der Forderungen verwandelt, indes diese doch auch durch die Besorgnis äußerer Gefahr gerechtfertigt wird.“ Würde aber diese Kultur wohl angetroffen werden, wenn jener immer gefürchtete Krieg selbst den Oberhäuptern der Staaten diese Achtung für die Menschheit nicht abnötigte? „Auf der Stufe der Kultur also, worauf das menschliche Geschlecht noch steht, ist der Krieg ein unentbehrliches Mittel, diese noch weiter zu bringen; und nur nach einer (Gott weiß wann) vollendeten Kultur würde ein immerwährender Friede für uns heilsam und auch durch jene allein möglich sein“, Anf. d. Menschengesch. Schluß-Anmerk. (VI 62). Kriegsgefahr ist das einzige, was den Despotismus mäßigt, „weil Reichtum dazu erfordert wird, daß ein Staat jetzt eine Macht sei, ohne Freiheit aber keine Betriebsamkeit, die Reichtum hervorbringen könnte, stattfindet“, ibid. Beschluß der Geschichte (VI 61).

Ein Mensch, „der sich nicht fürchtet, also der Gefahr nicht weicht, zugleich aber mit völliger Überlegung rüstig zu Werke geht“, ist überall ein Gegenstand der größten Bewunderung. „Auch im allergesittetsten Zustande bleibt diese vorzügliche Hochachtung für den Krieger, nur daß man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Tugenden des Friedens, Sanftmut, Mitleid und selbst geziemende Sorgfalt für seine eigene Person beweise: eben darum, weil daran die Unbezwinglichkeit seines Gemüts durch Gefahr erkannt wird.“ „Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte geführt wird, hat etwas Erhabenes an sich und macht zugleich die Denkungsart des Volks, welches ihn auf diese Art führt, nur um desto erhabener, je mehreren Gefahren es ausgesetzt war und sich mutig darunter hat behaupten können; dahingegen ein langer Friede den bloßen Handelsgeist, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen und die Denkungsart des Volks zu erniedrigen pflegt“, KU § 28 (II 108 f.). Der Krieg ist infolge der Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht besonders der Gewalthabenden unvermeidlich, „der, so wie er ein unabsichtlicher (durch zügellose Leidenschaften angeregter) Versuch der Menschen, doch tief verborgener, vielleicht absichtlicher der obersten Weisheit ist, Gesetzmäßigkeit mit der Freiheit der Staaten und dadurch Einheit eines moralisch begründeten Systems derselben, wo nicht zu stiften, dennoch vorzubereiten“. Der Krieg ist „ungeachtet der schrecklichsten Drangsale, womit er das menschliche Geschlecht belegt, und der vielleicht noch größeren, womit die beständige Bereitschaft dazu im Frieden drückt, dennoch eine Triebfeder mehr“, „alle Talente, die zur Kultur dienen, bis zum höchsten Grade zu entwickeln“, ibid. § 83 (II 302).

Die Not aus den beständigen Kriegen, in welchen Staaten einander zu schmälern oder zu unterjochen suchen, muß sie, selbst wider Willen, zuletzt dahin bringen, in „eine weltbürgerliche Verfassung“ zu treten oder, wenn ein Zustand des allgemeinen Friedens den Despotismus fördert, in einen rechtlichen „Zustand der Föderation nach einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht“. Da „die fortrückende Kultur der Staaten mit dem zugleich wachsenden Hange, sich auf Kosten der anderen durch List oder Gewalt zu vergrößern“, die Kriege vervielfältigen und immer höhere Kosten verursachen muß, indes „die Preise aller Bedürfnisse wachsen“ usw., so muß endlich der Staat innerlich so organisiert werden, daß nicht das Staatsoberhaupt, sondern das Volk, dem der Krieg selbst die Kosten verursacht, die entscheidende Stimme habe, ob Krieg sein solle oder nicht, was günstig wirken muß. Gegen den Krieg gibt es aber kein anderes Mittel als „Völkerrecht“, dem sich jeder Staat unterwirft, Theor. Prax. III (VI 110 f.).

Stehende Heere (s. d.) sollen mit der Zeit ganz aufhören, denn sie reizen zum Krieg Kein Staat soll sich im Krieg solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen. Der Krieg ist ja „nur das traurige Notmittel im Naturzustande“, „durch Gewalt sein Recht zu behaupten“, wo keiner de Gegner für einen „ungerechten“ Feind erklärt werden kann, sondern „der Ausgang entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist“. Ein Ausrottungskrieg ist unerlaubt, Z. ew. Fried. 1. Abs. (VI 119 ff.). Die Natur (bzw. Vorsehung) hat die Menschen „durch Krieg allerwärts hin, selbst in die unwirtbarsten Gegenden getrieben ..., um sie zu bevölkern“, „durch ebendenselben sie in mehr oder weniger gesetzliche Verhältnisse zu treten genötigt“. „Indem die Natur nun dafür gesorgt hat, daß Menschen allerwärts auf Erden leben könnten, so hat sie zugleich auch despotisch gewollt, daß sie allerwärts leben sollten, wenngleich wider ihre Neigung, und selbst ohne daß dieses Sollen zugleich einen Pflichtbegriff voraussetzte, der sie hierzu vermittelst eines moralischen Gesetzes verbände, — sondern sie hat, zu diesem ihren Zweck zu gelangen, den Krieg gewählt.“ Der Krieg ist ein Mittel, dessen sich die Natur bedient, „die Erde allerwärts zu bevölkern“. „Der Krieg aber selbst bedarf keines besondern Bewegungsgrundes, sondern scheint auf die menschliche Natur gepfropft zu sein; er gilt als sogar etwas Edles“, ibid. 2. Abs. 1. Zusatz (VI 142 ff.). Der Krieg ist die „Geißel des menschlichen Geschlechts“. Er macht mehr böse Menschen, als er deren wegnimmt und beruht auf dem radikalen Bösen (s. d.) im Menschen, Rel. 1. St. III 2. Anm. (IV 35). Der Krieg ist „der Quell aller Übel und Verderbnis der Sitten“, Str. d. Fak. 2. Abs. 6 (V 4, 132); die „Umkehrung des Endzwecks der Schöpfung selbst“, ibid. 7 (VI 136). Er ist „der Zerstörer alles Guten“, ibid. 8 (VI 138); „das größte Hindernis des Moralischen“. Es ist zu erwarten, daß die Vorsehung den Krieg nach und nach menschlicher, darauf seltener werden, endlich als Angriffskrieg ganz schwinden lassen wird, ibid. 10 (VI 141); vgl. Staatsverfassung.

Zur Kriegführung muß das Volk durch seine Repräsentanten seine freie Zustimmung geben, MSR § 55 (III 175). Der Krieg ist „nach solchen Grundsätzen zu führen, nach welchen es immer noch möglich bleibt, aus jenem Naturzustande der Staaten (im äußeren Verhältnisse gegeneinander) herauszugehen und in einen rechtlichen zu treten“. „Kein Krieg unabhängiger Staaten gegeneinander kann ein Strafkrieg (bellum punitivum) sein. Denn Strafe findet nur im Verhältnisse eines Oberen (imperantis) gegen den Unterworfenen (subditum) statt, welches Verhältnis nicht das der Staaten gegeneinander ist. — Aber auch weder ein Ausrottungs- (bellum internecinum) noch Unterjochungskrieg (bellum subiugatorium), der eine moralische Vertilgung eines Staats (dessen Volk nun mit dem des Überwinders entweder in eine Masse verschmelzt oder in Knechtschaft verfällt) sein würde.“ Man darf sich nicht solcher heimtückischen Mittel bedienen, „die das Vertrauen, welches zur künftigen Gründung eines dauerhaften Friedens erforderlich ist, vernichten würden“ (ibid.). Das feindliche Volk darf nicht geplündert werden, ibid. § 57 (III 177). Der Krieg ist zwar ein großes Übel, aber doch auch „die Triebfeder, aus dem rohen Naturzustande in den bürgerlichen überzugehen“, als ein „Maschinenwesen der Vorsehung“, Anthr. 2. T. E. Grundzüge.. (IV 286); vgl. 1. T. § 87 (IV 217); Lose Bl. F 9. vgl. Friede, Völkerrecht, Kultur, Fortschritt.