Kraft
Kraft. Die Kraft ist eine „Prädikabilie“ zur Kategorie der Kausalität, ein abgeleitetapriorischer Begriff. Dieser Begriff ist eine Bedingung der Erfahrung und bezieht sich auf Gegenstände möglicher Erfahrung, auf Erscheinungen, auf Relationen zwischen diesen, nicht aber auf Eigenschaften der Dinge an sich (wie auch Kant zuerst annahm). Die Menge der Kraft ist konstant. „Wahre“ Bewegung (s. d.) weist auf Kraft im Bewegten selbst hin. Es gibt ursprüngliche anziehende und abstoßende Kräfte, deren Konflikt der Materie (s. d.) zugrunde liegt. Die Einheit aller bewegenden Kräfte ist der Äther (s. d.) oder „Wärmestoff“.
Wenn ein Körper „wirkt“, so hat er „eine Bemühung, in den Zustand zu geraten, darin er nicht, wirket“. Die Kraft eines Körpers muß man „eher eine vim activam überhaupt, als eine vim motricem“ nennen, Schätzung d. lebend. Kräfte § 3 (VII 17 f.). Die Kraft ist die Fähigkeit, den „inneren Zustand anderer Substanzen zu ändern“, ibid. § 5 f. (VII 20 ff.). Die „lebendige“ Kraft ist nach dem Quadrat der Geschwindigkeit zu messen, die „tote“ nur durch die einfache Geschwindigkeit, so daß zwischen Descartes und Leibniz vermittelt wird, ibid. §§ 17, 20 (VII 30 f., 34 ff.). Aus dem „Gesetz der Kontinuität“ folgt, daß der Körper seine lebendige Kraft auch schon hat, wenn er erst anfängt, sich zu bewegen, ibid. § 26 (VII 40). Die „Wirklichkeit der Bewegung“ ist „nicht die wahre Bedingung, unter der dem Körper eine lebendige Kraft zukommt“, ibid. § 27 (VII 41 ff.). Die Gesetze Descartes, gelten für den mathematischen Körper; der „Körper der Natur“ aber hat „ein Vermögen in sich, die Kraft, welche von draußen durch die Ursache seiner Bewegung in ihm erweckt worden, von selber in sich zu vergrößern“, ibid. §§ 114 f. (VII 165 f.). Geschätzt wird die Kraft durch das von ihr beseitigte Hindernis. Die Bewegung (s. d.) ist „das äußerliche Phaenomenon der Kraft“; die „Basis der Aktivität“ ist die „Bestrebung“, die Bewegung zu erhalten (die „Intension“), ibid. § 117 (VII 167 f.). Eine „lebendige“ Kraft hat der Körper, der seine Bewegung frei und immerwährend zu erhalten bestrebt ist; zwischen dieser und der toten Kraft gibt es unendlich viele Zwischengrade, ibid. §§ 120 ff. (VII 170 ff.). Die lebendige Kraft kann zum Teil ohne Wirkung verschwinden, ibid. §§ 136 f. (VII 187 ff.). Die einem Körper mitgeteilte Kraft ist „nur die Beschränkung oder Richtung einer innewohnnenden Realität“. Die Summe der Kräfte in der Wirkung ist gleich den Kräften der Ursache. Die Bewegungen sind „nur Erscheinungen“. Die ganze Kraft in der Erscheinung der Bewegung ist an realer Kraft jener gleich, welche schon dem ruhenden Körper innewohnte; das „innere Vermögen“ erhält durch den äußeren Anstoß nur seine „Richtung“, N. diluc. Propos. 10 (V 1, 36 ff.).
Der Schluß: was keinen „Widerspruch“ (s. d.) einschließt, ist möglich, ist ein Fehlschluß, „indem man die subjektiven Bedingungen des Urteils für objektive hält“. „Daher die vielen eitlen Erfindungen von, ich weiß nicht welchen, beliebig erdichteten Kräften, die frei von dem Hemmnis des Widerspruchs aus jedem spekulativen (architektonischen) oder, wenn man lieber will, zu Chimären geneigten Genie in Haufen hervorbrechen. Denn, da die Kraft nichts anderes ist als die Beziehung der Substanz A zu etwas anderem B (als Akzidenz), wie des Grundes zu dem Begründeten; so stützt sich die Möglichkeit jeder Kraft nur auf die Nichtidentität von Grund und Begründetem oder von Substanz und Akzidenz, und deshalb hängt auch die Unmöglichkeit fälschlich erdichteter Kräfte vom Widerspruch allein nicht ab. Man darf deshalb keine ursprüngliche Kraft als möglich annehmen, wenn sie nicht von der Erfahrung gegeben ist, und kein Scharfsinn des Verstandes kann sich ihre Möglichkeit a priori vorstellen“, Mund. sens. § 28 (V 2, 129). Bewegende Kräfte sind Gesetze, nach denen die Ortsveränderung bestimmt wird, schließen also Relationen ein, KrV tr. Ästh. § 8 (I 101—Rc 119). Wie etwas überhaupt verändert werden kann, davon haben wir a priori nicht den mindesten Begri ff. „Hierzu wird die Kenntnis wirklicher Kräfte erfordert, welche nur empirisch gegeben werden kann, z. B. der bewegenden Kräfte, oder, welches einerlei ist, gewisser sukzessiver Erscheinungen (als Bewegungen), welche solche Kräfte anzeigen“, ibid. tr. Anal. 2. B. 2. H. 3. Abs. 2. Analogie (I 239—Rc 298 f.). Wo Kraft ist, da ist auch Substanz (s. d.). „Kraft“ ist die „Kausalität der Substanz“. Das (regulative) Prinzip der „Homogenität“ (s. d.) gebietet, die anscheinende Verschiedenheit der Kräfte so viel als möglich zu verringern, indem man durch Vergleichung die „versteckte Identität“ entdeckt und zur „hypothetischen“ Einheit einer „Grundkraft“ vorzudringen sucht, deren Äußerungen die Arten der Kräfte sind. Dadurch kommt systematische Einheit (s. d.) in unsere Erkenntnis und in die Erscheinungen selbst, ibid. tr. Dial. Anh. Von d. regulativen Gebrauch... (I 552 ff.—Rc 695 ff.). Die Kraft ist nicht das, was den Grund der Wirklichkeit der Akzidenzen enthält, denn das ist die Substanz, sondern bloß „das Verhältnis der Substanz zu den Akzidenzen, sofern sie den Grund ihrer Wirklichkeit enthält“. Da der Substanz verschiedene Verhältnisse beigelegt werden können, so kann es mehrere „Grundkräfte“ geben. Aber man darf solche nicht „erdichten“, nicht „a priori erdenken“, weil man so nur „leere Begriffe“ bekommt. Man darf nur die in der Erfahrung bekannten Kräfte, „die nur dem Anscheine nach verschieden, im Grunde aber identisch sind“, auf die „kleinstmögliche Zahl“ zurückführen und die dazu gehörige Grundkraft in der Welt (Physik) oder außer der Welt (Metaphysik) suchen. Von einer Grundkraft können wir aber nur den Begriff und Namen von der Wirkung her bilden, Gebrauch teleolog. Prinzipien u. 7. Anm. (VIII 155 f.).
Als (bewegende) Grundkräfte der Materie (s. d.) lassen sich nur die Anziehungsund Zurückstoßungskraft denken. „Denn alle Bewegung, die eine Materie einer anderen eindrücken kann, da in dieser Rücksicht jede derselben nur wie ein Punkt betrachtet wird, muß jederzeit als in der geraden Linie zwischen zweien Punkten erteilt angesehen werden. In dieser geraden Linie aber sind nur zweierlei Bewegungen möglich: die eine, dadurch sich jene Punkte voneinander entfernen, die zweite, dadurch sie sich einander nähern. Die Kraft aber, die die Ursache der ersteren Bewegung ist, heißt Zurückstoßungs- und die der zweiten Anziehungskraft“, Anfangsgr. d. Naturw. 2. H. Erklär. 2 (VII 230); vgl. Anziehung, Zurückstoßungskraft. „Eine bewegende Kraft, dadurch Materien nur in der gemeinschaftlichen Fläche der Berührung unmittelbar aufeinander wirken können, nenne ich eine Flächenkraft; diejenige aber, wodurch eine Materie auf die Teile der anderen auch über die Fläche der Berührung hinaus unmittelbar wirken kann, eine durchdringende Kraft.“ Die Zurückstoßungskraft ist eine Flächenkraft, die Anziehungskraft aber eine durchdringende Kraft, ibid. Erklär. 7 (VII 254). Es geht über unsere Vernunft, „ursprüngliche Kräfte a priori ihrer Möglichkeit nach einzusehen“. Die Naturphilosophie kann nur die verschiedenen Kräfte immer weiter bis auf die Grundkräfte zurückführen, ibid. Allg. Anmerk. zur Dynamik 4. (VII 280).
„Alle mechanische Kräftewirkung setzt eine dynamische voraus, welche a priori vorausgesetzt wird.“ „Das objektive Prinzip der Gesetze der Bewegung der inneren Kräfte der Materie ist dynamisch, das der äußeren mechanisch. Das dynamische liegt dem mechanischen seiner Möglichkeit nach zum Grunde.“ Die „primitiv-bewegende Kräfte“ der Materie sind „a) diejenige, welche in der Entfernung unmittelbar wirken und gegenwirken: Gravitation, b) diejenige, welche, ohne daß sich Materie in Substanz bewegte, die Entfernung der Materien voneinander bewirken: der Wärmestoff“. „Die mechanisch-bewegende Kräfte der Materie sind die vermittelst einer Maschine, welche aber selbst primitive Kräfte zu ihrer eigenen Möglichkeit bedarf, mithin unter dem Prinzip der rein dynamisch wirkenden Kräfte steht.“ „Die Wirkung durch Maschinen setzt nur eine derivativ bewegende Kraft voraus.“ „Anziehung und Ponderabilität und Abstoßung mit Koerzibilität in Reaktion machen die primitiv bewegenden Kräfte aus, welche dynamisch wirken und den mechanischen zum Grunde liegen.“ Die Erkenntnis beider Kräfte gründet sich auf Erfahrung, gehört aber nicht zur Physik (s. d.), sondern bloß zum „Übergange von der Metaphysik der Natur zur Physik“. „Alle dynamisch-bewegende Kräfte der Materie und mit ihnen zugleich die mechanisch-bewegende beruhen auf der bewegenden Kraft des Wärmestoffes, sowohl in Ansehung der Anziehung als Abstoßung.“ Die Schwere ist eine alles durchdringende Kraft, der Äther (s. d.) eine alles durchfließende Materie. Die alles durchdringenden Stoßkräfte sind Licht und Wärme im leeren Raum, Lose Bl. D 19. Die Kraft ist „die Bestrebung, eine gewisse Bewegung zu erhalten und nicht diese Bewegung selbst“. Die Substanz ist die „beständige Kraft bei gegebener Geschwindigkeit“, ibid. D 28. Es fragt sich, ob alle Veränderungen einer beständigen Regel der inneren Kräfte der Dinge der Welt unterworfen sind und „in der Welt die Quantität des Lebens dem System nach immer dieselbe sei“ und „ebensoviel auf der Gegenseite verändert wird, als auf einer geschieht, weil die Kraft, die auf einen Zustand gerichtet ist, ebensoviel überwunden werden muß als in Ansehung des Widerspiels hervorgebracht wird“, ibid. D 30. Vgl. Altpreuss. Mth. XIX—XXI; N 40, 42. Vgl. Physik, Bewegung, Anziehungskraft, Weltkörper, Äther, Dynamik, Dynamismus, Hypothesen.