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Kritik der reinen Vernunft

Kritik der reinen Vernunft. Die Kritik der reinen Vernunft ist keine psychologische Untersuchung der Entwicklung unseres Erkennens, sondern eben Kritik, d. h. Beurteilung von Wert oder Unwert von etwas, in diesem Falle des (theoretischen) Wertes apriorischer, reiner Erkenntnis und Erkenntniselemente. Die Bedeutung des aus reiner, von der Erfahrung unabhängiger Erkenntnisgesetzlichkeit Entspringenden für die Erkenntnis, die Tragweite, Anwendbarkeit, der Umfang und die Grenzen des Apriorischen (s. A priori) werden ermittelt. Die Berechtigung der Ansprüche apriorischer Erkenntnis auf strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit der Geltung wird dargetan (deduziert), indem gezeigt wird, daß das „Reine“, Apriorische der Erkenntnis für die Gegenstände der Erfahrung deshalb gelten kann, und gelten muß, weil es eine Bedingung objektiver Erfahrung selbst ist (s. Deduktion, Kategorien). Das „Reine“ der Vernunft (im weitesten Sinne) ist die „Form“, in die alles eingehen muß, um Erfahrung zu werden; Erfahrung (s. d.) selbst ist eine Funktion der das Material von Sinnesdaten einheitlich verarbeitenden reinen Vernunft (s. Verstand). Die [transzendentale Ästhetik](transzendentale ästhetik) (s. d.) zeigt die Bedeutung der Formen der Anschauung für die Erkenntnis, die [transzendentale Logik](transzendentale logik) (s. d.) die der Kategorien und Grundsätze, die [transzendentale Dialektik](transzendentale dialektik) (s. d.) endlich die Leistung der „Ideen“ (s. d.), welche als „regulative“ Prinzipien unentbehrlich sind, in ihrem Mißbrauch aber zu „Antinomien“ (s. d.), zu Widersprüchen und einem bloßen Scheine metaphysischer Erkenntnis führen. Die Kritik der reinen Vernunft entwirft das System der apriorischen Grundlagen, Voraussetzungen der Wissenschaft, von deren reinem Teil, dem Apriorischen, sie die „Möglichkeit“, die Anwendbarkeit auf und Gültigkeit für die Erfahrungswirklichkeit dartut. Ihre Methode ist die „transzendentale“ (s. d.), d. h. sie zeigt die in der reinen Vernunft liegenden Formen und Gesetze auf und untersucht, was aus ihnen für die Erkenntnis und deren Objekte folgt (synthetisch-progressive Methode), oder sie geht von der Erkenntnis zu den Quellen, zu den notwendigen Bedingungen derselben zurück (analytisch-regressive Methode).

Die Metaphysik (s. d.) ist die Wissenschaft, „welche die obersten Prinzipien des reinen Verstandesgebrauchs enthält“. „Dagegen ist die Wissenschaft, welche den Unterschied der sinnlichen Erkenntnis von der des Verstandes darlegt, nur eine Propädeutik zu ihr; von ihr geben wir in dieser unserer Abhandlung einen Versuch“, Mund. sens. § 8 (V 2, 100).

Kants Augenmerk ist besonders darauf gerichtet, „die eigentliche Bestimmung und die Schranken der menschlichen Fähigkeiten und Neigungen zu erkennen“. Betreffs der Sitten scheint ihm dies ziemlich gelungen zu sein; er arbeitet jetzt an einer „Metaphysik der Sitten“, An Herder, 9. Mai 1769. Kant hat lange Zeit gearbeitet, um die Natur der Erkenntnis und „womöglich ihre unwandelbare und evidente Gesetze“ auszufinden. Seit etwa einem Jahre ist er zu dem Begriffe gekommen, „wodurch alle Art metaphysischer Quaestionen nach ganz sicheren und leichten Kriterien geprüft und, inwiefern sie auflöslich sind oder nicht, mit Gewißheit kann entschieden werden“. „Die allgemeinsten Gesetze der Sinnlichkeit spielen fälschlich in der Metaphysik, wo es doch bloß auf Begriffe und Grundsätze der reinen Vernunft ankömmt, eine große Rolle. Es scheinet eine ganz besondere, obzwar bloß negative Wissenschaft (phaenomenologia generalis) vor der Metaphysik vorhergehen zu müssen, darin denen Prinzipien der Sinnlichkeit ihre Gültigkeit und Schranken bestimmt werden, damit sie nicht die Urteile über Gegenstände der reinen Vernunft verwirren, wie bis daher fast immer geschehen ist“ (vgl. Anschauungsformen). Eine solche „propädeutische Disziplin, welche die eigentliche Metaphysik vor aller solcher Beimischung des Sinnlichen präservierte“, ließe sich „durch nicht eben große Bemühungen“ zu einer brauchbaren Ausführlichkeit und Evidenz leicht bringen, An Lambert, 2. September 1770. „Sie wissen, welchen großen Einfluß die gewisse und deutliche Einsicht in den Unterschied dessen, was auf subjektivischen Prinzipien der menschlichen Seelenkräfte, nicht allein der Sinnlichkeit, sondern auch des Verstandes beruht, von dem, was gerade auf die Gegenstände geht, in der ganzen Weltweisheit, ja sogar auf die wichtigsten Zwecke der Menschen überhaupt habe.“ „Ich bin daher jetzo damit beschäftigt, ein Werk, welches unter dem Titel: Die Grenzen der Sinnlichkeit und der Vernunft, das Verhältnis der vor die Sinnenwelt bestimmten Grundbegriffe und Gesetze zusamt dem Entwürfe dessen, was die Natur der Geschmackslehre, Metaphysik und Moral ausmacht, enthalten soll, etwas ausführlich auszuarbeiten“, An M. Herz, 7. Juni 1771. Dieses Werk soll enthalten: Erster Teil: „1. Die Phänomenologie überhaupt. 2. Die Metaphysik, und zwar nur nach ihrer Natur und Methode.“ Zweiter Teil: „1. Allgemeine Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und der sinnlichen Begierde. 2. Die ersten Gründe der Sittlichkeit.“ — Im ersten Teil ist die Frage wichtig, wie „eine Vorstellung, die sich auf einen Gegenstand bezieht, ohne von ihm auf einige Weise affiziert zu sein“, d. h. wie die Übereinstimmung unserer „Intellektualvorstellungen“, die doch „in der Natur der Seele“ ihre Quellen haben, mit den Gegenständen möglich ist, da doch die Gegenstände nicht durch uns selbst hervorgebracht werden (— denn wir haben ja keinen „intellectus archetypus“, der die Urbilder der Sachen selbst enthält). „Indem ich auf solche Weise die Quellen der intellektualen Erkenntnis suchte, ohne die man die Natur und Grenzen der Metaphysik nicht bestimmen kann, brachte ich diese Wissenschaft in wesentlich unterschiedene Abteilungen und suchte die Transzendentalphilosophie, nämlich alle Begriffe der gänzlich reinen Vernunft, in eine gewisse Zahl von Kategorien zu bringen...“ Ich bin jetzt imstande, „eine Kritik der reinen Vernunft, welche die Natur der theoretischen sowohl als praktischen Erkenntnis, sofern sie bloß intellektual ist, enthält“ vorzulegen. Der erste Teil enthält „die Quellen der Metaphysik, ihre Methode und Grenzen“; darauf kommen die „reinen Prinzipien der Sittlichkeit“, An M. Herz, 21. Februar 1772. Kant sieht sich im Besitz eines Lehrbegriffs, der „das Verfahren der sich selbst isolierenden Vernunft“ unter sichere Regeln bringt. Es ergibt sich daraus die Hoffnung, „der Philosophie dadurch auf eine dauerhafte Art eine andere und vor Religion und Sitten weit vorteilhaftere Wendung zu geben, zugleich aber auch ihr dadurch die Gestalt zu geben, die den spröden Mathematiker anlocken kann, sie seiner Bearbeitung fähig und würdig zu halten“, An M. Herz, Gegen Ende 1773. „Sie wissen: daß das Feld der von allen empirischen Prinzipien unabhängig urteilenden, d. i. reinen Vernunft müsse übersehen werden können, weil es in uns selbst a priori liegt und keine Eröffnungen von der Erfahrung erwarten darf. Um nun den ganzen Umfang desselben, die Abteilungen, die Grenzen, den ganzen Inhalt desselben nach sicheren Prinzipien zu verzeichnen und die Marksteine so zu legen, daß man künftig mit Sicherheit wissen könne, ob man auf dem Boden der Vernunft oder der Vernünftelei sich befinde, dazu gehören: eine Kritik, eine Disziplin, ein Kanon und eine Architektonik der reinen Vernunft, mithin eine förmliche Wissenschaft, zu der man von denjenigen, die schon vorhanden sind, nichts brauchen kann und die zu ihrer Grundlegung sogar ganz eigener technischer Ausdrücke bedarf“, An M. Herz, 24. November 1776. „Schwer wird diese Artt Nachforschung immer bleiben. Denn sie enthält die Metaphysik von der Metaphysik“, An M. Herz, Nach dem 11. Mai 1781. Die „Kritik einer a priori urteilenden Vernunft“ ist eine „ganz neue und bisher unversuchte Wissenschaft“. „Andere haben zwar dieses Vermögen auch berührt, wie Locke sowohl als Leibniz, aber immer im Gemische mit anderen Erkenntniskräften.“ Niemand aber dachte daran, daß dies das Objekt einer besonderen Wissenschaft sei, welche zugleich „alle Objekte, auf die sie sich erstreckt“, aus der Natur des reinen Erkenntnisvermögens ableiten kann. Keine andere Wissenschaft kann „aus dem bloßen Begriffe eines Erkenntnisvermögens (wenn er genau bestimmt ist) auch alle Gegenstände, alles, was man von ihnen wissen kann, ja selbst, was man über sie auch unwillkürlich, obzwar trüglich zu urteilen genötigt sein wird, a priori entwickeln“, An Garve, 7. August 1783.

Die Philosophie bedarf „einer Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme“. Aller Metaphysik muß die Frage vorangehen, wie denn der Verstand zu allen seinen Erkenntnissen a priori kommen könne und „welchen Umfang, Gültigkeit und Wert“ sie haben mögen, KrV Einl. III (I 52 f.— Rc 53 f.). Die eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft ist in der Frage enthalten: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ In der Auflösung derselben ist zugleich „die Möglichkeit des reinen Vernunftgebrauchs in Gründung und Ausführung aller Wisseaschaften, die eine theoretische Erkenntnis a priori von Gegenständen enthalten, mit begriffen“. d. i. die Beantwortung der Fragen: Wie ist reine Mathematik möglich? Wie ist reine Naturwissenschaft möglich? Wie ist Metaphysik als Naturanlage möglich? Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Daß Mathematik und reine Naturwissenschaft möglich sein müssen, „wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen“. Die Kritik führt zuletzt zur Wissenschaft, während ohne Kritik der Skeptizismus droht. Da die Vernunft es mit „Aufgaben, die ganz aus ihrem Schoße entspringen“, zu tun hat, so muß es ihr leicht werden, „den Umfang und die Grenzen ihres über alle Erfahrungsgrenzen versuchten Gebrauchs vollständig und sicher zu bestimmen“. Die Kritik der reinen Vernunft ist die „Propädeutik“ zum „System“ der reinen Vernunft (d. h. zur Anwendung des „Organons“ der reinen Vernunft, des Inbegriffs derjenigen Prinzipien, „nach denen alle reinen Erkenntnisse a priori können erworben und wirklich zustande gebracht werden“). Diesem System, der „Transzendental-Philosophie“ (s. d.), geht also voran die „transzendentale Kritik“, welche „nicht die Erweiterung der Erkenntnisse selbst, sondern nur die Berichtigung derselben zur Absicht hat und den Probierstein des Werts oder Unwerts aller Erkenntnisse a priori abgeben soll“. Die „Kritik“ geht in der Analysis nur so weit, als es zur vollständigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnisse a priori erforderlich ist. Sie hat zwei Teile: 1. Transzendentale Elementarlehre; 2. Transzendentale Methodenlehre. Erstere zerfällt in die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Logik. Diese letztere gliedert sich in die transzendentale Analytik der Begriffe und der Grundsätze und in die transzendentale Dialektik. Die transzendentale Methodenlehre besteht aus der Disziplin, dem Kanon, der Architektonik und der Geschichte der reinen Vernunft, ibid. Einl. VI (I 63 ff.—Rc 73 ff.).

Das Zeitalter mit seiner „gereiften Urteilskraft“ läßt sich nicht länger „durch Scheinwissen hinhalten“. Es ergeht eine „Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis, aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlosen Anmaßungen nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen könne, und dieser ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst“. „Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen, als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien“, KrV Vorr. z. 1. A. (I 15 f.—Rc 7 f.). Durch diese Kritik ist der „Punkt des Mißverstandes der Vernunft mit ihr selbst“ entdeckt worden, und es können durch sie alle Fragen der „Metaphysik“ (s. d.) beantwortet werden. Denn man hat es hierbei „lediglich mit der Vernunft und ihrem reinen Denken“ zu tun, „nach deren ausführlicher Kenntnis ich nicht weit um mich suchen darf, weil ich sie in mir selbst antreffe und wovon mir auch schon die gemeine Logik ein Beispiel gibt, daß sich alle ihre einfachen Handlungen völlig und systematisch aufzählen lassen“. Was die Gewißheit dieser kritischen Untersuchung betrifft, so darf es hier kein Meinen, keine „Hypothese“ geben. „Denn das kündigt eine jede Erkenntnis, die a priori feststehen soll, selbst an: daß sie für schlechthin notwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch viel mehr, die das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewißheit sein soll“, ibid. (I 16 f.—Rc 9 f.); vgl. Deduktion. In dem Versuche, das bisherige Verfahren der Metaphysik (s. d.) umzuändern, besteht das Geschäft der „Kritik der reinen spekulativen Vernunft“. „Sie ist ein Traktat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umriß derselben sowohl, in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben. Denn das hat die reine spekulative Vernunft Eigentümliches an sich, daß sie ihr eigen Vermögen, nach Verschiedenheit der Art, wie sie sich Objekte zum Denken wählt, ausmessen, und auch selbst die mancherlei Arten, sich Aufgaben vorzulegen, vollständig vorzählen, und so den ganzen Vorriß zu einem System der Metaphysik verzeichnen kann und soll; weil, was das erste betrifft, in der Erkenntnis a priori den Objekten nichts beigelegt werden kann, als was das denkende Subjekt aus sich selbst hernimmt, und, was das zweite anlangt, sie in Ansehung der Erkenntnisprinzipien eine ganz abgesonderte, für sich bestehende Einheit ist, in welcher ein jedes Glied, wie in einem organisierten Körper, um aller anderen und alle um eines willen da sind, und kein Prinzip mit Sicherheit in einer Beziehung genommen werden kann, ohne es zugleich in der durchgängigen Beziehung zum ganzen reinen Vernunftgebrauch untersucht zu haben“, ibid. Vorr. z. 2. A. (I 32 f.—Rc 26 f.). Der Nutzen der Kritik ist zunächst ein negativer, „uns nämlich mit der spekulativen Vernunft niemals über die Erfahrungsgrenze hinaus zu wagen“. Positiv wird der Nutzen, sowie man einsieht, „daß die Grundsätze, mit denen sich spekulative Vernunft über ihre Grenze hinauswagt, in der Tat nicht Erweiterung, sondern, wenn man sie näher betrachtet, Verengung unseres Vernunftgebrauchs zum unausbleiblichen Erfolg haben, indem sie wirklich die Grenzen der Sinnlichkeit, zu der sie eigentlich gehören, über alles zu erweitern und so den reinen (praktischen) Vernunftgebrauch gar zu verdrängen drohen“. Der Nutzen der Kritik wird also positiv, sobald man überzeugt wird, „daß es einen schlechterdings notwendigen praktischen Gebrauch der reinen Vernunft (den moralischen) gebe, in welchem sie sich unvermeidlich über die Grenzen der Sinnlichkeit erweitert, dazu sie zwar von der spekulativen keiner Beihilfe bedarf, dennoch aber wider ihre Gegenwirkung gesichert sein muß, um nicht in Widerspruch mit sich selbst zu geraten“. Die Einsicht, daß alle theoretische Erkenntnis sich nur auf Erscheinungen bezieht und daß das Übersinnliche (s. d.) nicht erkennbar, aber wohl denkbar ist, erlaubt es, in rein praktischer (moralischer) Absicht den Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit eine (praktische) Realität zuzuschreiben, ohne daß seitens der theoretischen Erkenntnis etwas dagegen sich einwenden läßt. „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen, und der Dogmatismus der Metaphysik, d. i. das Vorurteil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist“, ibid. (I 33 ff.—Rc 38 ff.). Durch die Kritik allein kann dem Materialismus, Fatalismus, Atheismus, dem freigeistigen Unglauben, der Schwärmerei, dem Aberglauben, dem Idealismus und Skeptizismus die Wurzel abgeschnitten werden, ibid. (I 39—Rc 35). Die Kritik ist nicht dem „dogmatischen Verfahren“ der Vernunft in ihrer reinen Erkenntnis als Wissenschaft entgegengesetzt, „denn diese muß jederzeit dogmatisch, d. i. aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend sein“, sondern dem „Dogmatismus“ (s. d.). Die Kritik dient nicht dem Skeptizismus (s. d.), sondern sie ist „die notwendige vorläufige Veranstaltung zur Beförderung einer gründlichen Metaphysik als Wissenschaft, die notwendig dogmatisch und nach der strengsten Forderung systematisch, mithin schulgerecht (nicht populär) ausgeführt werden muß“, ibid. (I 40—Rc 35 f.). „Die Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen und kann der Freiheit derselben durch kein Verbot Abbruch tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht auf sich zu ziehen.“ Auf dieser Freiheit der Kritik „beruht sogar die Existenz der Vernunft, die kein diktatorisches Ansehen hat“. Die reine Vernunft in ihrem dogmatischem Gebrauche muß „mit gänzlicher Ablegung alles angemaßten dogmatischen Ansehens vor dem kritischen Auge einer höheren und richterlichen Vernunft“ erscheinen, KrV tr. Meth. 1. H. 2. Abs. (I 618—Rc 764 f.). Das Interesse der Vernunft wird ebensowohl dadurch gefördert, daß sie „ihren Einsichten Schranken setzt“, als daß sie solche erweitert; es kann dann immer noch an Stelle des aufgegebenen „Wissens“ die „vor der schärfsten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines festen Glaubens“ treten, ibid. (I 622 f.—Rc 769). Vgl. Polemik, Aufklärung.

Die Kritik der reinen Vernunft ist der „wahre Gerichtshof“ für alle Streitigkeiten derselben, denn sie dient dazu, „die Rechtsame der Vernunft überhaupt nach den Grundsätzen ihrer ersten Institution zu bestimmen und zu beurteilen“. „Ohne dieselbe ist die Vernunft gleichsam im Stande der Natur, und kann ihre Behauptungen und Ansprüche nicht anders geltend machen oder sichern als durch Krieg. Die Kritik dagegen, welche alle Entscheidungen aus den Grundregeln ihrer eigenen Einsetzung hernimmt, deren Ansehen keiner bezweifeln kann, verschafft uns die Ruhe eines gesetzüchen Zustandes, in welchem wir unsere Streitigkeit nicht anders führen sollen als durch Prozeß.“ Hier stiftet die „Sentenz“ einen „ewigen Frieden“. Vermöge ihres ursprünglichen Rechtes erkennt die Vernunft keinen anderen Richter als die „allgemeine Menschenvernunft“. ibid. (I 627 f.—Rc 774 f.). Im Unterschiede von der „Zensur“ der Vernunft durch skeptische (s. d.) Prüfung ist das Verfahren der „gereiften und männlichen Urteilskraft“ die Kritik der Vernunft, „nämlich nicht die Fakta der Vernunft, sondern die Vernunft selbst nach ihrem ganzen Vermögen und Tauglichkeit zu reinen Erkenntnissen a priori, der Schätzung zu unterwerfen“. Alle Fragen und Begriffe der reinen Vernunft liegen in ihr selbst, müssen daher „aufgelöst und ihrer Gültigkeit oder Nichtigkeit nach begriffen werden“, ibid. Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung (I 634 ff.—Rc 782 ff.).

„Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab.“ „Ich versuchte ... zuerst, ob sich nicht Humes Einwurf allgemein vorstellen ließe, und fand bald: daß der Begriff der Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei weitem nicht der einzige sei, durch den der Verstand a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt, vielmehr, daß Metaphysik ganz und gar daraus bestehe. Ich suchte mich ihrer Zahl zu versichern, und da dieses mir nach Wunsch, nämlich aus einem einzigen Prinzip, gelungen war, so ging ich an die Deduktion dieser Begriffe, von denen ich nunmehr versichert war, daß sie nicht, wie Hume besorgt hatte, von der Erfahrung abgeleitet, sondern aus dem reinen Verstande entsprungen seien“, Prol. Vorr. (III 7 f.). In den „Prolegomena“ erfolgt die Kritik der reinen Vernunft nach „analytischer (regressiver) Methode“, während sie in der „Kritik“ nach „synthetischer Lehrart“ abgefaßt ist, ibid. (III 11 f.). Im letzteren Werk wurde „in der reinen Vernunft selbst“ geforscht und in dieser Quelle selbst die Elemente und „Gesetze ihres reinen Gebrauchs“ „nach Prinzipien“ zu bestimmen gesucht; es wurde, „ohne sich auf irgendein Faktum zu stützen“, die Erkenntnis „aus ihren ursprünglichen Keimen zu entwickeln“ unternommen. Die „Prolegomena“ hingegen stützen sich auf etwas, was man schon als zuverlässig kennt; von da steigt man zu den „Quellen“ auf, die man nicht kennt, deren Entdeckung uns nicht allein das, was man wußte, erklärt, sondern zugleich einen Umfang vieler Erkenntnisse, die insgesamt aus den nämlichen Quellen entspringen, darstellt, ibid. § 4 (III 24 f.). Synthetische Urteile a priori sind (in der reinen Mathematik und Naturwissenschaft zunächst) „mit unstreitiger Gewißheit gegeben“. Es ist nur zu untersuchen, wie (nicht ob) sie möglich sind, welches der Grund der Möglichkeit einer „Erkenntnis aus reiner V ernunft“ ist, „damit wir aus den Prinzipien ihrer Möglichkeit die Bedingungen ihres Gebrauchs, den Umfang und die Grenzen desselben zu bestimmen instand gesetzt werden“ Von dem Gegebenen ist zu den Bedingungen aufzusteigen, unter denen es allein möglich ist; diese analytische Methode kann als „regressive Lehrart“ bezeichnet werden, ibid. § 5 (III 26 f.). Aller Metaphysik muß die „Transzendentalphilosophie“ (s. d.) vorangehen. Die „transzendentale Hauptfrage“ gliedert sich in die vier Fragen nach der Möglichkeit der reinen Mathematik, der reinen Naturwissenschaft, der Metaphysik überhaupt und der Metaphysik als Wissenschaft. Zu diesen Wissenschaften sind „die Quellen in der Vernunft selbst“ zu suchen, „um dadurch dieser ihr Vermögen, etwas a priori zu erkennen, vermittelst der Tat selbst zu erforschen und auszumessen“, wodurch diese Wissenschaften zwar nicht betreffs ihres Inhaltes, wohl aber ihres richtigen Gebrauchs gewinnen, ibid. (III 31 f.). Es ist in der Kritik nicht vom „Entstehen der Erfahrung“ die Rede, sondern von dem, „was in ihr liegt“. „Das erstere gehört zur empirischen Psychologie und würde selbst auch da ohne das zweite, welches zur Kritik der Erkenntnis und besonders des Verstandes gehört, niemals gehörig entwickelt werden können“, ibid § 21 a (III 62). Die eitlen Bestrebungen dogmatischer Metaphysik werden nicht völlig abgestellt werden, „wenn die Unmöglichkeit derselben nicht deutlich dargetan worden, und die Selbsterkenntnis der Vernunft nicht wahre Wissenschaft wird, worin das Feld ihres richtigen von dem ihres nichtigen und fruchtlosen Gebrauchs sozusagen mit geometrischer Gewißheit unterschieden wird“, ibid. § 35 (III 79). „Es ist jederzeit in der Kritik mein größtes Augenmerk gewesen, wie ich nicht allein die Erkenntnisarten sorgfältig unterscheiden, sondern auch alle zu jeder derselben gehörigen Begriffe aus ihrem gemeinschaftlichen Quell ableiten könnte, damit ich nicht allein dadurch, daß ich unterrichtet wäre, woher sie abstammen, ihren Gebrauch mit Sicherheit bestimmen könnte, sondern auch den noch nie vermuteten, aber unschätzbaren Vorteil hätte, die Vollständigkeit in der Aufzählung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe a priori, mithin nach Prinzipien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles lauter Rhapsodie“, ibid. § 43 (III 94). Damit Metaphysik zur Wissenschaft wird, „muß eine Kritik der Vernunft selbst den ganzen Vorrat der Begriffe a priori, die Einteilung derselben nach den verschiedenen Quellen: der Sinnlichkeit, dem Verstande und der Vernunft, ferner eine vollständige Tafel derselben und die Zergliederung aller dieser Begriffe mit allem, was daraus gefolgert werden kann, darauf aber vornehmlich die Möglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori vermittelst der Deduktion dieser Begriffe, die Grundsätze ihres Gebrauchs, endlich auch die Grenzen desselben, alles aber in einem vollständigen System darlegen“, ibid. 3. T. Auflösung der Frage (III 140). Kritik der Vernunft bezeichnet hinsichtlich des außer der Erfahrung Liegenden (Übersinnlichen) „den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus, den Hume bekämpfte, und dem Skeptizismus, den er dagegen einführen wollte“, ibid. § 58 (III 133). Durch Kritik wird ein Maßstab gewonnen, durch den Wissen und Scheinwissen mit Sicherheit unterschieden werden kann, nicht bloß in der Metaphysik, sondern in jeder Wissenschaft. Auch macht die Kritik die Theologie von dem „Urteil dogmatischer Spekulation“ unabhängig und sichert sie wider alle Angriffe solcher Gegner. „Schwärmerei, die in einem aufgeklärten Zeitalter nicht aufkommen kann, als nur wenn sie sich hinter einer Schulmetaphysik verbirgt, unter deren Schutz sie es wagen darf, gleichsam mit Vernunft zu rasen, wird durch kritische Philosophie aus diesem ihren letzten Schlupfwinkel vertrieben“, ibid. Anh. Vorschlag zu einer Untersuchung (III 163); vgl. Beilage I (III 171); vgl. Was heißt: s. i. D. or.? 3. Anm. (V 2, 153).

Der dritte Schritt der Metaphysik (s. d.) nach ihrem dogmatischen Zeitalter und dem darauf folgenden Skeptizismus (s. d.) ist die „Kritik der reinen Vernunft selbst in Ansehung ihres Vermögens, die menschliche Erkenntnis überhaupt es sei in Ansehung des Sinnlichen oder Übersinnlichen a priori zu erweitern“, Fortschr. d. Metaph. Vorr. (V 3, 88 f.). Die Kritik ist „Transzendentalphilosophie“ (s. d.). Drei Schritte sind in dieser „Vernunftforschung“ geschehen: 1. Die Unterscheidung der analytischen von den [synthetischen Urteilen](synthetischen urteilen) (s. d.). 2. Die Frage Stellung: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ 3. Die Aufgabe: „Wie ist aus synthetischen Urteilen eine Erkenntnis a priori möglich?“, ibid. 1. Abs. Geschichte der Transzendentalphilosophie (V 3, 90 f.). Gegen den unbegrenzten Skeptizismus gibt es kein Mittel, „als daß die reine Vernunft selbst, d. i. das Vermögen, überhaupt a priori etwas zu erkennen, einer genauen und ausführlichen Kritik unterworfen werde, und zwar so, daß die Möglichkeit einer reellen Erweiterung der Erkenntnis durch dieselbe in Ansehung des Sinnlichen und ebendieselbe oder auch, wenn sie hier nicht möglich sein sollte, die Begrenzung derselben in Ansehung des Übersinnlichen eingesehen wird, was das letztere als den Zweck der Metaphysik betrifft, dieser der Besitz, dessen sie fähig ist, nicht durch gerade Beweise die so oft trüglich befunden werden, sondern durch Deduktion der Rechtsame der Vernunft zu Bestimmungen a priori gesichert werde“. Mathematik und Naturwissenschaft, sofern sie reine Erkenntnis der Vernunft enthalten, „bedürfen keiner Kritik der menschlichen Vernunft überhaupt. Denn der Probierstein der Wahrheit ihrer Sätze liegt in ihnen selbst, weil ihre Begriffe nur so weit gehen, als die ihnen korrespondierenden Gegenstände gegeben werden können“, ibid. Beilage I, Einl. (V 3, 151); vgl. Metaphysik. Die Möglichkeit der Metaphysik setzt voraus eine „Kritik des ganzen Vernunftvermögens“, „wo, was dieses a priori in Ansehung der Gegenstände möglicher Erfahrung oder, welches ... einerlei ist, was es in Ansehung der Prinzipien a priori der Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt, mithin zur Erkenntnis des Sinnlichen zu leisten vermag, völlig erschöpft werden kann: was sie aber in Ansehung des Übersinnlichen, bloß durch die Natur der reinen Vernunft genötigt, vielleicht nur fragt, vielleicht aber auch erkennen mag, eben durch die Beschaffenheit und Einheit dieses reinen Erkenntnisvermögens genau angegeben werden kann und soll“, ibid. Abhandlung (V 3, 152). Die Kritik der reinen Vernunft beginnt mit der „Nachforschung der Elemente unserer Erkenntnis a priori und des Grundes ihrer Gültigkeit in Ansehung der Objekte vor aller Erfahrung, mithin der Deduktion ihrer objektiven Realität“. Diese Untersuchung hat zum Zweck die Auflösung der Frage: „Wie sind synthetische Sätze a priori möglich?“, Üb. e. Entdeck. Einl. (V 3, 5). „Die Kritik der Erkenntnisvermögen in Ansehung dessen, was sie a priori leisten können, hat eigentlich kein Gebiet in Ansehung der Objekte: weil sie keine Doktrin ist, sondern nur, ob und wie, nach der Bewandtnis, die es mit unseren Vermögen hat, eine Doktrin durch sie möglich sei, zu untersuchen hat. Ihr Feld erstreckt sich auf alle Anmaßungen derselben, um sie in die Grenzen ihrer Rechtmäßigkeit zu setzen.“ Die Kritik der reinen Vernunft besteht aus drei Teilen: der Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urteilskraft und der reinen Vernunft, „welche Vermögen darum rein genannt werden, weil sie a priori gesetzgebend sind“, KU Einl. III (II 12 ff.).

Die „Transzendentalphilosophie“ ist „Kritik der reinen Vernunft“, N 4455. „Es ist die Frage, was die Vernunft ohne alle Erfahrung erkennen kann (in der Mathematik viel), welches die Bedingungen, die Objekte und die Grenzen sind.“ Die Metaphysik (s. d.) ist eine „Philosophie der reinen Vernunft“, N 4362. Die Kritik der reinen Vernunft ist die Kritik „von den Konditionen, unter welchen allein die menschliche reine Vernunft urteilen kann“, N 4146 „Transzendentalphilosophie hat zwei Teile: Kritik der reinen Vernunft und Ontologie“, N 5130. Letztere ist „die Wissenschaft von den ersten Erkenntnissen des reinen Verstandes“, N 5131. Wichtig ist „die Selbsterkenntnis des Verstandes und der Vernunft: Anthropologia transcendentalis“, N 903. „Tetens untersucht die Begriffe der reinen Vernunft bloß subjektiv (menschliche Natur); ich objektiv. Jene Analysis ist empirisch, diese transzendental“. N 4901. „Ich beschäftige mich nicht mit der Evolution der Begriffe wie Tetens (alle Handlungen, dadurch Begriffe erzeugt werden), nicht mit der Analysis wie Lambert, sondern bloß mit der objektiven Gültigkeit derselben. Ich stehe in keiner Mitbewerbung mit diesen Männern“, N 4900. „Die vornehmste Untersuchung ist die: wie kommen wir zu den Erkenntnissen überhaupt, und vornehmlich denen a priori? Was ist der Grund der Richtigkeit derselben und ihrer Zuverlässigkeit?“, N 5046. „Die erste Frage ist, wie in uns Begriffe entstehen können, die uns durch keine Erscheinung der Dinge selbst bekannt geworden oder Sätze, die uns keine Erfahrung gelehrt hat“, N 4470. Vgl. Kritizismus, Metaphysik, Erfahrung, Erkenntnis, Grenze, Übersinnlich, Transzendental, Transzendental-Philosophie, A priori, Urteile (analytische u. synthetische), Kategorie, Idee, Gebrauch, Antinomie, Idealismus, Ding an sich, Erscheinung.