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Praktische Gesetze

Gesetze, praktische. Es gibt „Naturgesetze“, die nur von dem handeln, „was geschieht“, und „praktische“ oder (objektive) „Gesetze der Freiheit“, welche sagen, „was geschehen soll“, ob es gleich vielleicht nie geschieht, KrV tr. Meth. 2. H. 1. Abs. (I 664 —Rc 816). Diese Gesetze gibt die Vernunft in praktischer Freiheit (s. d.). Zu ihnen gehören die „moralischen Gesetze“, die von den „technisch-praktischen“ Gesetzen zu unterscheiden sind (s. unten). „Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln, oder einen Willen“, GMS 2. Abs. (III 34). Der Mensch ist ein freies, ebendarum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an „unbedingte Gesetze“ bindendes Wesen, Rel. Vorr. z. 1. A. (IV 1). Das „Vermögen der Vernunft, durch die bloße Idee eines Gesetzes über alle entgegenstrebenden Triebfedern Meister zu werden“, ist „schlechterdings unerklärlich“, Rel. 2. St. Von dem Kampf ... (IV 64). Wie es möglich sei, „daß die bloße Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt eine mächtigere Triebfeder für dieselbe sein könne als alle nur erdenklichen, die von Vorteilen hergenommen werden, das kann weder durch Vernunft eingesehen noch durch Beispiele der Erfahrung belegt werden, weil, was das erste betrifft, das Gesetz unbedingt gebietet, und das zweite anlangend, wenn es auch nie einen Menschen gegeben hätte, der diesem Gesetz unbedingten Gehorsam geleistet hätte, die objektive Notwendigkeit, ein solcher zu sein, doch unvermindert und für sich selbst einleuchtet“, ibid. 2. St. 1. Abs. b. (IV 68). „Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz“, GMS 1. Abs. 1. Anm. (III 19). Die „Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“ ist die Pflicht (s. d.). Das moralische Gesetz ist das für jedes vernünftige Wesen gültige objektive Prinzip, der „Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ“, ibid. 2. Abs. 6. Anm. (III 44).

Praktische Grundsätze (s. d.) sind praktische Gesetze, wenn sie als „objektiv, d. i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig“, erkannt werden. Es gibt solche Gesetze, wenn reine Vernunft einen praktisch, d. h. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich enthalten könne, KpV 1. T. 1. B. 1. H. § 1 (II 23). Gesetze müssen den „Willen als Willen“ (abgesehen von dessen Wirkungen) hinreichend bestimmen, mithin kategorisch sein, unbedingte Notwendigkeit ausdrücken. Zur Gesetzgebung der Vernunft wird erfordert, „daß sie bloß sich selbst vorauszusetzen bedürfe, weil die Regel nur alsdann objektiv und allgemein gültig ist, wenn sie ohne zufällige subjektive Bedingungen gilt, die ein vernünftiges Wesen von dem anderen unterscheiden“, ibid. Anmerk. (II 25). „Die Vernunft bestimmt in einem praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischenkommenden Gefühls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze, und nur, daß sie als reine Vernunft praktisch sein kann, macht es ihr möglich, gesetzgebend zu sein“, ibid. § 3 Anmerk. II (II 31). „Alle praktischen Prinzipien, die ein Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetzen, sind insgesamt empirisch und können keine praktischen Gesetze abgeben“, ibid. § 2 (II 26); vgl. Glückseligkeit. „Wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen als praktische allgemeine Gesetze denken soll, so kann es sich dieselben nur als solche Prinzipien denken, die nicht der Materie, sondern bloß der Form nach den Bestimmungsgrund des Willens enthalten.“ Die bloße Form der Maximen, nach der sich diese „zur allgemeinen Gesetzgebung schicken“, macht sie allein zum praktischen Gesetze, ibid. § 4 (II 34). Eine Maxime, die als Gesetz „sich selbst vernichten würde“, eignet sich nicht zur allgemeinen Gesetzgebung (z. B. daß jedermann ein Depositum ableugnen dürfe, dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann; denn es würde dann gar kein Depositum geben), ibid. Anmerk. (II 35). „Da die bloße Form des Gesetzes lediglich von der Vernunft vorgestellt werden kann und mithin kein Gegenstand der Sinne ist, folglich auch nicht unter die Erscheinungen gehört, so ist die Vorstellung derselben als Bestimmungsgrund des Willens von allen Bestimmungsgründen der Begebenheiten in der Natur nach dem Gesetze der Kausalität unterschieden, weil bei diesen die bestimmenden Gründe selbst Erscheinungen sein müssen.“ Ein so bestimmter Wille ist unabhängig von dem Gesetze der Kausalität der Erscheinungen, also frei im strengsten Sinne. Ein freier Wille ist ein solcher, „dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann“, ibid. § 5 (II 36 f.). „Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselsweise aufeinander zurück“, ibid. § 6 (II 37 f.); vgl. Freiheit. Das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ ist: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“, ibid. § 7 (II 39); vgl. Imperativ. Im Gegensatz zu den praktischen Regeln „unter einer problematischen Bedingung des Willens“ (z. B. die Postulate der Geometrie) sagt die Regel hier: „man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren“. „Die praktische Regel ist also unbedingt, mithin als kategorisch praktischer Satz a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar (durch die praktische Regel selbst, die also hier Gesetz ist), objektiv bestimmt wird. Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend. Der Wille wird als unabhängig von empirischen Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form des Gesetzes als bestimmt gedacht und dieser Bestimmungsgrund als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen.“ „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z. B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben) herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen. Anschauung gegründet ist.“ „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen.“ Ihr Prinzip erklärt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze für alle vernünftigen, wollenden Wesen, welches für die endlichen unter diesen ein Imperativ (s. d.), mit „intellektuellem Zwang“, „moralischer Nötigung“, ist, ibid. § 7 (II 40 ff.); vgl. Heiligkeit. Zum praktischen Gesetze darf nie eine praktische Vorschrift gezählt werden, die eine materiale, mithin empirische Bedingung bei sich führt; dies ergäbe Heteronomie statt Autonomie (s. d.). „Denn das Gesetz des reinen Willens, der frei ist, setzt diesen in eine ganz andere Sphäre als die empirische, und die Notwendigkeit, die es ausdrückt, da sie keine Naturnotwendigkeit sein soll, kann also bloß in formalen Bedingungen der Möglichkeit eines Gesetzes überhaupt bestehen“, ibid. § 8 Anmerk. I (II 44). Das moralische Gesetz ist das Gesetz der Autonomie der reinen praktischen Vernunft, das Gesetz der „übersinnlichen Natur“ (s. d.), der intelligiblen (s. d.) Welt, der die Menschen als Noumena (s. d.) angehören, einer Welt, von der wir nur dieses Gesetz erkennen, ibid. § 8 Von d. Deduktion.. (II 55 ff.).

„Zu aller Gesetzgebung (sie mag nun innere oder äußere Handlungen, und diese entweder a priori durch bloße Vernunft oder durch die Willkür eines anderen vorschreiben) gehören zwei Stücke: erstlich ein Gesetz, welches die Handlung, die geschehen soll, objektiv als notwendig vorstellt, d. i. welches die Handlung zur Pflicht macht; zweitens eine Triebfeder, welche den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjektiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft; mithin ist das zweite Stück dieses: daß das Gesetz die Pflicht zur Triebfeder macht. Durch das erstere wird die Handlung als Pflicht vorgestellt, welches eine bloße theoretische Erkenntnis der möglichen Bestimmung der Willkür, d. i. praktischer Regeln, ist; durch das zweite wird die Verbindlichkeit, so zu handeln, mit einem Bestimmungsgrunde der Willkür überhaupt im Subjekte verbunden.“ Betreffs der Triebfedern ist die Gesetzgebung „ethisch“ oder „juridisch“, MS Einl. III (III 20). „Der Grundsatz, welcher gewisse Handlungen zur Pflicht macht, ist ein praktisches Gesetz“ Die verbindenden Gesetze, für die eine äußere Gesetzgebung möglich ist, heißen „äußere Gesetze“. „Unter diesen sind diejenigen, zu denen die Verbindlichkeit auch ohne äußere Gesetzgebung a priori durch die Vernunft erkannt werden kann, zwar äußere, aber natürliche Gesetze; diejenigen dagegen, die ohne wirkliche äußere Gesetzgebung gar nicht verbinden, also ohne die letztere nicht Gesetze sein würden, heißen positive Gesetze. Es kann also eine äußere Gesetzgebung gedacht werden, die lauter positive Gesetze enthielte; alsdann aber müßte doch ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers (d. i. die Befugnis, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründet“, ibid. Einl. IV (III 28). „Gesetz (ein moralisch-praktisches) ist ein Satz, der einen kategorischen Imperativ (Gebot) enthält. Der Gebietende (imperans) durch ein Gesetz ist der Gesetzgeber (legislator). Er ist Urheber (auctor) der Verbindlichkeit nach dem Gesetze, aber nicht immer Urheber des Gesetzes. Im letzteren Falle würde das Gesetz positiv (zufällig) und willkürlich sein. Das Gesetz, was uns a priori und unbedingt durch unsere eigene Vernunft verbindet, kann auch als aus dem Willen eines höchsten Gesetzgebers, d. i. eines solchen, der lauter Rechte und keine Pflichten hat (mithin dem göttlichen Willen), hervorgehend ausgedrückt werden, welches aber nur die Idee von einem moralischen Wesen bedeutet, dessen Wille für alle Gesetz ist, ohne ihn doch als Urheber desselben zu denken“, ibid. (III 31). Die Brücke zwischen der Gesetzgebung des Verstandes und der der Vernunft schlägt die Urteilskraft (s. Gesetz). Vgl. Autonomie, Pflicht, Imperativ, Sollen, Sittlichkeit, Freiheit, Reich der Zwecke, Recht, Publizität, Erlaubt.