Zum Hauptinhalt springen

Gewissen

Gewissen. Das Gewissen ist „ein Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist“. Ein keines Beweises bedürftiger Grundsatz ist: „man soll nichts auf die Gefahr wagen, daß es unrecht sei (quod dubitas, ne feceris! Plin.)“. „Das Bewußtsein also, daß eine Handlung, die ich unternehmen will, recht sei, ist unbedingte Pflicht. Ob eine Handlung überhaupt recht oder unrecht sei, darüber urteilt der Verstand, nicht das Gewissen. Es ist auch nicht schlechthin notwendig, von allen möglichen Handlungen zu wissen, ob sie recht oder unrecht sind. Aber von der, die ich unternehmen will, muß ich nicht allein urteilen und meinen, sondern auch gewiß sein, daß sie nicht unrecht sei, und diese Forderung ist ein Postulat des Gewissens, welchem der Probabilismus, d. i. der Grundsatz entgegengesetzt ist, daß die bloße Meinung, eine Handlung könne wohl recht sein, schon hinreichend sei, sie zu unternehmen.“ Das Gewissen ist „die sich selbst richtende moralische Urteilskraft“. „Das Gewissen richtet nicht die Handlungen als Kasus, die unter dem Gesetz stehen; denn das tut die Vernunft, sofern sie subjektiv-praktisch ist (daher die casus conscientiae und die Kasuistik als eine Art von Dialektik des Gewissens); sondern hier richtet die Vernunft sich selbst, ob sie auch wirklich jene Beurteilung der Handlungen mit aller Behutsamkeit (ob sie recht oder unrecht sind) übernommen habe, und stellt den Menschen wider oder für sich selbst zum Zeugen auf, daß dieses geschehen oder nicht geschehen sei“, Rel. 4. St. 2. T. § 4 (IV 217 f.). Das Gewissen ist nichts Erwerbliches, und es gibt keine Pflicht, sich ein solches anzuschaffen; jeder Mensch hat es ursprünglich in sich. Denn das Gewissen ist „die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurteilen vorhaltende praktische Vernunft“. Wenn man sagt: dieser Mensch hat „kein Gewissen“, so meint man damit: der kehrt sich nicht an den Ausspruch desselben. Ein „irrendes“ Gewissen ist ein Unding; nur „in dem objektiven Urteile, ob etwas Pflicht sei oder nicht“, kann man irren. Ist jemand sich bewußt, nach Gewissen gehandelt zu haben, so liegt ihm nur noch ob, seinen Verstand über das, was Pflicht ist oder nicht, aufzuklären; wenn es aber zur Tat kommt, gekommen ist, so spricht das Gewissen unwillkürlich und unvermeidlich. Die Pflicht ist hier nur, „sein Gewissen zu kultivieren“, die Aufmerksamkeit auf die „Stimme des inneren Richters“ zu schärfen und alle Mittel anzuwenden ... um ihm Gehör zu verschaffen, MST Einl. XII b (III 242 f.). Die innere Zurechnung einer Tat als eines unter dem Gesetz stehenden Falles gehört zur Urteilskraft, welche rechtskräftig urteilt, worauf dann der Schluß der Vernunft (die Sentenz), die Verurteilung oder Lossprechung folgt — alles vor dem Gerichtshof als moralischer Person. „Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen“ ist das Gewissen „Jeder Mensch hat Gewissen und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt im Respekt (mit Furcht verbundener Achtung) gehalten, und diese über die Gesetze in ihm wachende Gewalt ist nicht etwas, was er sich selbst (willkürlich) macht, sondern es ist seinem Wesen einverleibt.“ Diese „ursprüngliche intellektuelle und ... moralische Anlage“ wird vom Menschen auf eine andere, „wirkliche oder bloß idealische“ Person (auf den homo noumenon) bezogen, ibid. § 13 (III 289 f.). Im Gewissen äußert sich eine „zweifache Persönlichkeit“, ein „doppeltes Selbst“, ibid. Anm. (III 290). Die „idealische Person“, welche die Vernunft sich selbst schafft, der „autorisierte Gewissensrichter“ muß ein „Herzenskündiger“ und „allverpflichtend“ sein; das Gewissen wird als „subjektives Prinzip einer vor Gott seiner Taten wegen zu leistenden Verantwortimg“ gedacht. Der Mensch nimmt hier nicht ein solches göttliches Wesen als wirklich an, sondern ist nur verpflichtet, der Idee eines solchen angemessen zu handeln; er erhält so, „nach der Analogie mit einem Gesetzgeber aller vernünftigen Weltwesen“, eine bloße Leitung, die Gewissenhaftigkeit (religio) „als Verantwortlichkeit von einem von uns selbst unterschiedenen, aber uns doch innigst gegenwärtigen heiligen Wesen (der moralisch-gesetzgebenden Vernunft) sich vorzustellen, und dessen Willen den Regeln der Gerechtigkeit zu unterwerfen“, ibid. (III 291 f.). „Das Gesetz in uns heißt Gewissen. Das Gewissen ist eigentlich die Applikation unserer Handlungen auf dieses Gesetz. Die Vorwürfe desselben werden ohne Effekt sein, wenn man es sich nicht als den Repräsentanten Gottes denkt, der seinen erhabenen Stuhl über uns, aber auch in uns einen Richterstuhl aufgeschlagen hat“, Über Pädagogik, Von d. prakt. Erziehung (VIII 247). Vgl. Imperativ, Person, Sollen.