Grund
Grund. „Bestimmen ist das Setzen eines Prädikats mit Ausschluß des Gegenteils.“ „Was ein Subjekt in Beziehung auf ein Prädikat bestimmt, heißt der Grund. Man unterscheidet den Grund, welcher im voraus, von dem, welcher nur folgeweise bestimmt. Im voraus bestimmend ist der, dessen Begriff dem zu Bestimmenden vorhergeht, d. h. ohne dessen Voraussetzung das Bestimmende nicht einzusehen ist.“ Dazu gehört auch der „identische“ Grund, „wo der Begriff des Subjekts wegen seiner völligen Identität mit dem Prädikat dieses bestimmt“ (z. B. ein Dreieck hat drei Seiten). „Folgeweise bestimmend ist der Grund, welcher nicht gesetzt werden würde, wenn nicht schon von anderswoher der Begriff gesetzt wäre, der von ihm bestimmt wird. Den ersten Grund kann man auch den Grund des Warum oder den Grund des Seins oder Werdens nennen, den letzteren den Grund des Was oder des Er-kennens“, N. diluc. Propos. 4 u. Anm. (V 1, 11 f.). Der Grund macht das Unbestimmte zum Bestimmten. „Und da ja alle Wahrheit aus der Bestimmung eines Subjekts durch ein Prädikat hervorgeht, so ist der bestimmende Grund nicht bloß das Kennzeichen der Wahrheit, sondern auch deren Quelle, ohne die man zwar sehr viel Mögliches, aber gar nichts Wahres finden kann.“ Der Ausdruck „zureichender Grund“ ist zweideutig, da es nicht sogleich ersichtlich ist. wieweit er zureicht. „Bestimmenaber ist einSetzen, welches jedes Gegenteil ausschließt, und bezeichnet so das, was sicherlich zureicht, um die Sache so und nicht anders aufzufassen“, ibid.(VI, 12 ff.), „Nichts ist wahr ohne bestimmenden Grund.“ In jedem Satz ist etwas enthalten, „was durch die Ausschließung des entgegengesetzten Prädikats die Wahrheit des Satzes bestimmt“, ibid. Propos. 5 (V 1, 14 f.). „Es ist ungereimt, daß etwas den Grund seines Daseins in sich selbst haben solle.“ „Alles nämlich, was den Grund des Daseins einer Sache in sich enthält, ist dessen Ursache; nimmt man also an, daß etwas den Grund seines eigenen Daseins in sich habe, so wäre es die Ursache seiner selbst; allein der Begriff der Ursache existiert naturgemäß vor dem Begriffe des Verursachten und dieses nach jener; deshalb wäre die Sache zugleich vor und nach ihr selbst, was widersinnig ist“, ibid. Propos. 6 (V 1, 15 f.). „Kein zufälliges Ding kann eines Grundes entbehren, welcher voraufgehend sein Dasein bestimmt.“ Das einzige unbedingt Notwendige ist von diesem Gesetze befreit, ibid. Propos. 8 (V 1, 18 f.). Folgerungen aus dem Prinzip des bestimmenden Grundes: „1. In dem Begründeten ist nichts, was nicht in dem Grunde gewesen ist.“ „2. Von Dingen, die nichts gemein haben, kann das eine nicht der Grund des anderen sein.“ „3. In dem Begründeten ist nichts weiteres als in dem Grunde“, ibid. Propos. 10 (V 1, 36).
„Grund ist (im allgemeinen) das, wodurch etwas anderes (Verschiedenes) bestimmt gesetzt wird.“ Er muß also immer etwas anderes als die Folge sein. Die Folge ist auch „etwas, wodurch, wenn ich es setze, ich zugleich etwas anderes als gesetzt denken muß, nämlich sie gehört immer zu irgend etwas als einem Grunde“. Aber nur irgendein, nicht ein bestimmter Grund ist hier gesetzt. Die Verschiedenheit von Grund und Folge ist entweder „bloß logisch (in der Vorstellungsart) oder real, dem Objekte selbst“. Der Realgrund ist entweder der „formale (der Anschauung der Objekte)“, oder der „materiale (der Existenz der Dinge)“, welch letzterer macht, daß „das, was ihn enthält“, „Ursache“ heißt, An Reinhold, 12. Mai 1789. „Ein jeder Satz muß einen Grund haben, ist das logische (formale) Prinzip der Erkenntnis, welches dem Satze des Widerspruchs nicht beigesellt, sondern untergeordnet ist. Ein jedes Ding muß seinen Grund haben, ist das transzendentale (materielle) Prinzip, welches kein Mensch aus dem Satze des Widerspruchs (und überhaupt aus bloßen Begriffen, ohne Beziehung auf sinnliche Anschauung) jemals bewiesen hat, noch beweisen wird. Es ist ja offenbar genug und in der Kritik unzähligemal gesagt worden, daß ein transzendentales Prinzip über die Objekte und ihre Möglichkeit etwas a priori bestimmen müsse, mithin nicht, wie die logischen Prinzipien tun (indem sie von allem, was die Möglichkeit des Objekts betrifft, gänzlich abstrahieren), bloß die formalen Bedingungen der Urteile betreffe“, Üb. e. Entdeck. 1. Abs. A. (V 3, 11 f.). Das allgemein logische Prinzip der Sätze lautet: „ein jeder Satz muß gegründet (nicht ein bloß mögliches Urteil) sein, welches aus dem Satze des Widerspruchs folgt, weil jener sonst kein Satz sein würde“, ibid. A, 1. Anm. (V 3, 12). Das transzendentale Prinzip des zureichenden Grundes hingegen ist nicht als gültig darzutun, ohne auf Gegenstände der Sinne eingeschränkt zu werden (s. Kausalität). Der formale Begriff des Grundes aber hat bloß logische Bedeutung und befaßt nicht die „Realgründe“ unter sich, ibid. (V 3,13). „Der Satz: Alle Dinge haben ihren Grund, oder mit anderen Worten: Alles existiert nur als Folge, d. i. abhängig seiner Bestimmung nach, von etwas anderem, gilt ohne Ausnahme von allen Dingen als Erscheinungen im Raume und Zeit, aber keineswegs von Dingen an sich selbst.“ Der Satz des zureichenden Grundes kann nicht als „Brücke“ zur Erkenntnis des Übersinnlichen dienen. „Denn am jenseitigen Ufer kann man mit keinen Materialien der Sinnesvorstellung bauen“, ibid. C u. 3. Anm. (V 3, 33 f.).
Die „Regel, etwas der Zeitfolge nach zu bestimmen“, ist: „daß in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen sei, unter welcher die Begebenheit jederzeit (d. i. notwendiger Weise) folgt“. Also ist der Satz vom zureichenden Grunde „der Grund möglicher Erfahrung, nämlich der objektiven Erkenntnis der Erscheinungen, in Ansehung des Verhältnisses derselben in Reihenfolge der Zeit“, KrV tr. Anal. 2. B. 2. H. 3. Abs. 2. Analogie (I 235—Rc 293 f.); vgl. Kausalitaet. Über den Satz vom zureichenden Grunde als Beispiel eines synthetischen Satzes, vgl. Prol. § 4 (III 23).
Der Satz des zureichenden Grundes gehört zu den formalen oder logischen Kriterien der Wahrheit. Auf ihm beruht die (logische) Wirklichkeit einer Erkenntnis, „daß sie begründet sei, Stoff zu assertorischen Urteilen“, Log. Einl. VII (IV 58).
„Alles in der Welt hat einen Grund, heißt ebenso viel als: es kann a priori erkannt werden und steht unter einer Regel der Ordnung.“ „Erster synthetischer Satz a priori: Alles hat einen Erkenntnisgrund“, N 5193. Daß „alles in einer Reihe gleichsam sei, und zwar, wo ein jedes nach einer allgemeinen Regel der Ordnung mit einem antecedens verbunden ist“, das ist der Grund, N 5207. „Der Begriff des Grundes (der Folge) enthält nicht allein, daß etwas, was da ist, mit etwas anderem begleitet sei, sondern überdem, daß diese Beziehung allgemein und notwendig sei.“ Der Begriff „Grund“ ist subjektiv, nicht objektiv, denn alle Realgründe zeigen wohl eine beständige Begleitung, aber keine Allgemeinheit der Verknüpfung, N 3972. „Das principium rationis, imgleichen das principium rationati ist eine Regel der gesunden Vernunft, wird also auf die Gegenstände der Erfahrung restringiert. Die Grenzen der Sinnenwelt sind also auch die Grenzen ihres Gebrauchs“, N 4012. „Daß alles Zufällige, oder was entsteht, seinen Grund habe, fließt daraus, weil ohne prius keine Kontinuität der phaenomenorum, und ohne Regel keine Identität derselben sein würde“, N 6379. Das principium rationis ist „eine notwendige Hypothesis der gesunden Vernunft, gilt also nur in der Welt und ist auch der Grundsatz des Gebrauchs derselben in ihr“, N 4011. „Das, wodurch etwas anderes bestimmt gesetzt wird, ist Grund; durch die Folge wird ein Grund unbestimmt gesetzt“, N 5195. Vgl. Sollen, Kausalitaet, Ding an sich, Freiheit, Vernunft, Erfahrung, Wahrheit, Kritik d. rein. Vern., Transzendental, A priori.