Ceres

 

Jetzt aus eleïschen Fluten erhob Arethusa die Scheitel,

Und ihr triefendes Haar von der Stirne gewandt zu den Ohren,

Sagte sie: O du Mutter der rings erkundeten Jungfrau,

Mutter der nährenden Frucht, o hemme die schreckliche Drangsal!

Zürne nicht so gewaltig dem stets dir pflichtigen Lande!

Nichts hat verschuldet das Land; es trug unwillig den Räuber.

Nicht für die Heimat fleh' ich um Gnad'; als Fremdlingin kam ich.

Pisa ist Heimat mir, und den Ursprung leit' ich aus Elis.

Angesiedelt bewohn' ich Sikania; doch mir erwünschter

Ist kein Land. Hier hab' ich, benamt Arethusa, Penaten

Jetzo und häuslichen Sitz. Du, gütige Göttin, erhalt' ihn!

Aber warum ich so weit auswanderte, und durch des Meeres

Wogen hierher mich gewandt in Ortygia: dies zu erzählen,

Kommt die gelegnere Stunde, wann du, von Sorgen erleichtert,

Freundlicher trägst dein Gesicht. Mir beut durchwegsamer Meergrund

Dunkele Bahn, und gerollt durch unterirdische Klüfte,

Heb' ich allhier mein Haupt, die entwöhneten Sterne zu schauen.

Als ich unter der Erd' im stygischen Strudel einherglitt,

Sah ich deine Proserpina dort mit eigenen Augen.

Traurig zwar im Gesicht und noch unerheitert vom Schrecken,

Ist sie Königin doch, und gebeut in dem düsteren Weltraum,

Als obwaltende Gattin des unterirdischen Herrschers.

 

Staunend vernahm die Mutter, wie starrer Fels, die Erzählung;

Und, wie vom Donner gerührt, stand lange sie. Doch wie der Schmerz ihr

Heftig die heftige Wut aufregete, fuhr sie im Wagen

Hoch zur ätherischen Luft. Dort ganz in Wolken das Antlitz,

Stand sie mit bitterem Hasse vor Jupiter, fliegend das Haupthaar.

Für mein eigenes Blut und das deinige, Jupiter, komm' ich,

Sprach sie, dich anzuflehn! Wenn Gunst nicht findet die Mutter,

Rühre die Tochter dein Herz, und nicht sei weniger darum

Väterlich gegen dein Kind, weil mir im Schoße sie aufwuchs!

Ach, so lange gesucht, ward endlich das Kind mir gefunden;

Wenn ja finden du nennst, nur sicherer noch zu verlieren,

Oder zu wissen, wohin sie mir schwand! Die Entführung verzeih' ich,

Geb' er nur jene zurück! Nicht traun des vermähleten Räubers

Ist ja würdig dein Kind, sei auch das meinige würdig!

 

Jupiter drauf antwortet: Gemeinsame Lust und Beschwerd' ist

Mir die Tochter, wie dir. Doch wenn uns jetzo nach Wahrheit

Namen zu wählen gefällt, nicht scheint mir Beleidigung solches,

Sondern Lieb'; auch wird er nicht Schand' uns bringen, der Eidam;

Wolle nur du, o Göttin! Das übrige fehle; wieviel ist,

Jupiters Bruder zu sein! und was? auch das übrige fehlt nicht!

Nur am Los weicht jener mir selbst! Doch wenn mit Gewalt du

Trennung verlangst, so kehre Proserpina wieder zum Himmel:

Nur mit dem strengen Beding, wofern sie keinerlei Speise

Dort mit dem Munde berührt! So will's der Parzen Verhängnis!

 

Jupiter sprach's; doch Ceres begehrt der Tochter Zurückkunft.

Aber das Schicksal verbeut; dieweil nicht fastend die Jungfrau

Ausgedau'rt, und irrend im fruchtbaren Garten, mit Einfalt

Einen punischen Apfel vom hängenden Baume gepflücket,

Und aus gelblicher Rinde die sieben genommenen Körner

Über die Lippe gebracht. Von allen der einzige schaute

Dies Askalaphos an: den weiland, sagen sie, Orphne,

Nicht an Ruhm die geringste der avernalischen Nymphen,

Aus des Acherons Lieb' in umnachteter Grotte geboren.

Dieser schaut', und verkündend, der Grausame, raubt er die Heimkehr.

Unmutsvoll verwandelt des Erebus Fürstin den Zeugen

Zum unheiligen Vogel: mit Phlegethons Welle besprengend,

Schuf sie dem Haupt nebst Schnabel und Busch großfunkelnde Augen.

Er, sich selber entrafft, wird in gelbliche Flügel gekleidet,

Mit vorwachsendem Haupt, und krümmt langkrallige Klauen;

Doch kaum regt er zum Flug' untätiger Arme Befiedrung.

Gram zu verkündigen wird er ein mißgestalteter Vogel,

Sterblichen Graun und Entsetzen, ein träg' einsiedelnder Uhu.

 

Zwar der Plauderer hatte der frevelen Zunge Bestrafung

Wohl verdient: doch euch, acheloische Mädchen, woher euch

Vogelfüß' und Gefieder, bei menschlichem Antlitz der Jungfrau?

Etwa, weil ihr des Tags, da Proserpina Blumen des Frühlings

Las, in der Zahl der Gespielinnen wart, tonreiche Sirenen?

Als ihr umsonst nach jener im Kreis der Erde geforschet,

Stracks, daß euere Sorg' auch Meeresfluten erführen,

Wünschtet ihr über der Wog' in ruderndem Fluge zu schweben;

Und willfährige Götter erhöreten. Plötzlich gehüllet

Saht ihr euere Glieder in gelb umwachsende Federn.

Aber damit das Getön, das sanft die Ohren bezaubert,

Nicht auf der Zunge vertönt', und der Kehle melodischer Reichtum;

Blieb euch menschliche Stimm', und blieb jungfräuliches Antlitz.

 

Jupiter, zwischen den Bruder gestellt und die trauernde Schwester,

Teilete nun gleichmäßig des Jahrs umrollende Kreisung.

Jetzo verweilt die Göttin, mit Macht zwei Reiche beherrschend,

Bei dem Gemahl sechs Monden, und sechs bei der liebenden Mutter.

Andre Gestalt hat plötzlich die Seele zugleich und das Antlitz:

Denn, die eben noch traurig erschien auch selber dem Pluto,

Trägt nun heiter die Stirn, wie die Sonn', in regnende Wolken

Eben gehüllt, wann siegend hervor aus der Wolke sie strahlet.

 

Ceres fragte nunmehr, sorglos nach gefundener Tochter,

Was dich entfernt, Arethusa, warum du ein heiliger Quell seist?

Ringsum schwieg das Gewog'; und die Göttin hob aus des Quelles

Tiefe das Haupt; dann trocknend das grünliche Haar mit den Händen,

Meldete sie, wie vordem der eleïsche Strom sie geliebet.

 

Nymphe von jenem Geschlecht, das achäische Fluten bewohnet,

Sprach sie, war ich; nie streifte geschäftiger eine durch Waldhöh'n

Jagend umher, nie stellte geschäftiger eine das Garn auf.

Aber obgleich ich nie um der Schönheit Ruhm mich bekümmert,

Rüstig und stark, wie ich war, ich hieß die Schöne beständig.

Doch erfreute mich nicht mein hochgespriesenes Antlitz;

Und, was andre beglückt, das Lob des blühenden Wuchses

Machte mich Ländliche rot; und ich hielt zu gefallen für Frevel.

Aus dem stymphalischen Wald', ich erinnre mich, kam ich ermüdet.

Heiß war der Tag, und es mehrt' Arbeit die gewaltige Hitze.

Siehe, da rieselte still ein Wässerchen ohne Gewirbel,

Bis an den Grund durchsichtig, wodurch in der Tiefe mir zählbar

Jedes Kieselchen war; und kaum floß leise die Welle.

Grauliches Weidengebüsch; und die wassergenährete Pappel,

Überwölbten von selbst die hängenden Borde mit Schatten.

Und ich naht', und kühlte zuerst die Sohlen des Fußes,

Dann zu den Knieen empor; noch lüsterner löst' ich den Gürtel:

Und mein weiches Gewand der gebogenen Weide vertrauend,

Taucht' ich enthüllt in die Flut. Doch indem ich sie schlug und heranzog.

Gleitend in jeder Gestalt, und die schmeidigen Arme bewegte,

Stieg mir unter dem Strudel, ich weiß nicht, welches Geräusch auf,

Und ich Erschrockene trat an den Rand des näheren Ufers.

Nicht so geeilt! rief plötzlich aus eigenen Fluten Alpheos:

Nicht so geeilt, Arethusa! erscholl von neuem sein Ausruf.

Ohne Gewand, wie ich war, enteilet' ich; denn das Gewand hing

Drüben am anderen Bord. Noch heftiger drängt er, und glüht er;

Und weil nackend ich war, so schien ich gefälliger jenem.

Also lief ich in Hast, so drängte mich wild der Verfolger:

Wie vor dem Habicht entfliehn mit zitternder Schwinge die Tauben,

Und wie den zitternden Tauben im Sturm nachflieget der Habicht.

Weit nach Orchomenos hin, nach Psophis hin und Cyllene,

Bis zu mänalischen Höh'n und den Höh'n Crimanthos, bis Elis

Hielt ich den fliegenden Lauf, nicht säumender folgte mir jener.

Aber lange zum Lauf mich anzustrengen, gebrach's mir

Armen an Kraft; und jener war ganz unermüdet zur Arbeit.

Dennoch die Ebenen durch, und die baumumschatteten Berge,

Felsen sogar und Geklipp, unwegsame Wüsten durchlief ich.

Rückwärts schien mir die Sonn', und langhin sah ich den Schatten

Mir vor den Füßen gestreckt; wofern nicht Angst ihn allein sah.

Aber gewiß erschreckte der Füße Getön, und es hauchte

An das geschleierte Haar der gewaltige Atem des Mundes.

Matt von der müdenden Flucht: Hilf, ruft' ich, o hilf! er erhascht mich!

Hilf der Genossin, Diktynna, der deinigen! der du zu tragen

Oft den Bogen gereicht, und den pfeilumschließenden Köcher!

Gleich war die Göttin bewegt, und eine der dichtesten Wolken

Stürzte sie über mich her. Die mit Nacht Umhüllete forschet

Ängstlich der Strom, und tappt ringsher um den bergenden Nebel.

Zweimal umirrt' er die Stelle betört, wo die Göttin mich einschloß;

Zweimal erscholl: Arethusa! o komm, Arethusa! sein Ausruf.

Ach, wem pochte das Herz, wie mir Elenden? Etwa dem Lamme,

Wenn es die schnaubenden Wölfe vernahm um das hohe Gehege?

Oder dem duckenden Hasen im Busch, der die feindlichen Mäuler

Stöbernder Hund' anschaut, nicht wagend den Leib zu bewegen?

Dennoch entweicht er nicht; denn nirgendwo Spuren des Fußes

Schauet er weiter entfernt; das Gewölk und die Stelle bewacht er.

Kalter Schweiß umströmt mir Belagerten jetzo die Glieder,

Daß von dem ganzen Leibe mir bläuliche Tropfen entfallen.

Wo ich die Füße bewegt, dort wallet ein See; aus den Locken

Trieft mir der Tau; und geschwinder, als nun ich erzähle mein Schicksal

Lös' ich in Nässe mich auf. Doch selbst die geliebeten Wasser

Kennet der Strom: und er legt die genommene Mannesgestalt ab,

Und wird, mir sich zu mischen, in eigene Fluten verwandelt.

Delia spaltet die Erd'; und ich, in die Tiefe mich tauchend,

Eile durch blindes Geklüft zur Ortygia: welche, der Göttin

Als gleichnamige wert, mich zuerst an die Lüfte hervorzog.

 

Also sprach Arethusa. Da spannte die fruchtbare Göttin

Vor das Geschirr zwei Schlangen, das Maul mit Zäumen gebändigt,

Und sie durchschwebte die Luft im Mittel der Erd' und des Himmels.

Jetzt dem Triptolemus bringt sie das luftige Drachengeschirr hin

Zur tritonischen Burg, und gibt ihm Samen zu streuen,

Teils in rohes Gefild, und teils in endlich erneutes.

 

Hoch schon über Europa und Asias Lande getragen,

Fuhr der Jüngling einher, und Szythiens Küsten erreicht' er.

König allhier war Lynkos. Er geht in des Königes Wohnung.

Wie er komm', um des Wegs Ursach', um Namen und Heimat,

Ward er gefragt, und: Die edle Athen ist, sagt' er, mir Heimat,

Und Triptolemus heiß ich; mich trug kein Kiel durch die Wogen,

Noch durch die Lande der Fuß, mir öffnete Bahnen der Äther.

Gaben bring' ich von Ceres, die, weit durch Äcker gestreuet,

Fruchtbare Ernten des Korns und mildere Nahrungen tragen.

Neidisch sah der Barbar, und um selbst Urheber so großer

Milde zu sein, empfängt er den Gast; und dem Schlummerbetäubten

Naht er mit würgendem Stahl. Da die Brust zu durchstoßen er trachtet,

Wandelt ihn Ceres zum Luchs, und heißt von neuem die Luft durch

Lenken sein heiliges Drachengespann den mopsopischen Jüngling.

 


 © textlog.de 2004 • 27.12.2024 00:21:57 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
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