Fünfzehntes Buch.
Pythagoras
In der Stadt, die liegt an Italiens Ende,
Wohnte ein Mann aus Samos, aber von Samos
War er geflohn vor dem Herrn und blieb freiwillig im Banne,
Hassend Tyrannengewalt. Der stieg, ob fern von dem Himmel,
Doch zu den Göttern im Geist und ersah, was ewige Ordnung
Menschlichen Blicken entzog, mit dem Auge der denkenden Seele.
Dann, wie er alles erspäht mit Gedanken und wachender Sorge,
Trug er es vor im versammelten Kreis, und den schweigende Schülern,
Die zuhörten dem Wort mit Verwunderung, lehrt' er des Weltalls
Uranfang und der Ding' Ursachen, und was die Natur sei,
Auch was Gott, von wannen der Schnee, wie Blitz sich erzeuge,
Ob in zerteiltem Gewölk Sturmwind, ob Jupiter donnre,
Was aufschüttre das Land, nach welchem Gesetz die Gestirne
Wandeln, und was sonst dunkel verbleibt. Er rügte die Sitte
Tiere zu speisen zuerst und erschloß zu folgender Rede
Weisheit kündenden Mund, der nicht auch Glauben gefunden:
»Laßt, ihr Sterblichen, ab durch frevlige Speise die Leiber
Euch zu entweihn. Feldfrucht ja ist und die tragenden Äste
Abwärts ziehendes Obst und am Weinstock schwellende Trauben,
Zarte Gewächs' auch sind und andere, welche das Feuer
Mild kann machen und weich; und wird euch nimmer benommen
Labende Milch, noch Seim nach Thymian duftenden Honigs.
Gaben in Fülle beschert die verschwendende Erde zu milder
Nahrung und beut euch Kost, die Blut nicht heischet und Tötung.
Tiere nur sättigen sich mit Fleisch, doch alle mitnichten;
Denn Gras nähret das Roß und das wollige Vieh und die Rinder;
Denen jedoch inwohnt unbändiges Wesen und Wildheit,
Löwen, die zornige Brut, armenische Tiger, mit Bären
Gieriger Wölfe Geschlecht, die freuen sich blutigen Fraßes.
Welch ein vermessenes Tun, im Fleische das Fleisch zu versenken
Und den begehrliche Leib mit verschlungenem Leibe zu mästen
Und mit des Lebenden Tod ein Lebender sich zu erhalten!
Bei so reichlichem Gut, das die Erde, die beste der Mütter,
Zeuget, behagt dir nichts als traurige Stücke zu kauen
Mit unseligem Zahn und zu tun nach Art der Zyklopen?
Weißt du nimmer die Gier des gefräßigen Bauches zu stillen,
Der zum Schlimmen gewöhnt, als wenn du vernichtest den Andern?
Jene verwichene Zeit, die golden wir pflegen zu nennen,
War mit Baumesertrag und dem Boden entsprossenen Pflanzen
Reichlich beglückt und befleckte noch nicht mit Blute die Lippen.
Damals schlugen die Luft mit sicheren Schwingen die Vögel;
Furchtlos irrt' umher im freien Gefilde der Hase;
Nie auch hängte den Fisch leichtgläubiger Wahn an die Angel.
Ohn' auflauernden Trug und nichts argwöhnend von Tücke
War voll Frieden die Welt. Als aber ein Stifter des Unheils,
Wer auch immer es war, hinblickte mit Neid auf die Rachen
Und in den gierigen Bauch sich leibliche Speisen versenkte,
Bahnt' er dem Frevel den Weg. Vielleicht von des Wildes Erlegung
Wurde am ersten gewärmt mit Blute besudeltes Eisen,
Und das hätte genügt; denn was uns steht nach dem Leben,
Dürfen wir, ohne die Pflicht zu verletzen, vom Boden vertilgen.
Aber zu töten die Brut war recht, nicht auch sie zu essen.
Dann ging weiter der Gräul, und zu fallen als frühestes Opfer,
Glaubt man, verdiente das Schwein, weil das mit gebogenem Rüssel
Saaten im Feld umwühlt und vereitelt die heurige Hoffnung.
Weil er die Reben benagt, wird an dem Altare des Rächers
Bacchus geschlachtet der Bock. Schuld brachte den beiden Verderben.
Was für Schuld habt ihr, friedfertige Schafe, den Menschen
Zur Fürsorge bestimmt, die ihr im gefülleten Euter
Nektar tragt und zum weichen Gewand uns euere Wolle
Gebet und mehr, denn im Tod, uns Nutzen gewähret im Leben?
Was tat Böses der Stier, der Falsch nicht kennet und Tücke,
So unschädlich und schlicht und geschaffen zum Dulden der Arbeit?
Undank hegt im Gemüt und der Gaben des Feldes ist unwert,
Wer, da eben die Last des gebogenen Pflugs ihm benommen,
Seinen Besteller der Flur zu schlachten vermocht' und den Nacken,
Der von der Arbeit wund so vielmal hartes Gefilde
Hatte bereitet für ihn und Ernten beschafft, mit dem Beil schlug.
Doch es geschieht nicht bloß die Verruchtheit, selber den Göttern
Bürden den Frevel sie auf und vermeinen, das höchste der Wesen
Finde Gefallen am Morde des Mühen ertragenden Rindes.
Schön vor allen an Wuchs und jeglichen Makels entbehrend, -
Grade der Wert ist Verderb - mit Goldschmuck prangend und Bändern,
Stehet das Opfer am Herd und vernimmt arglos die Gebete,
Sieht dann, wie auf die Stirn ihm zwischen die Hörner gelegt wird
Feldfrucht, die es gebaut, und färbt beim Streiche das Messer,
Das es in spiegelnder Flut vielleicht schon sah, mit dem Blute.
Aus noch lebender Brust gleich reißend die edelen Teile,
Halten sie Schau und erforschen darin die Gesinnung der Götter.
Warum hungert denn so nach verbotener Speise den Menschen?
Sterblich Geschlecht, sie zu essen vermeßt ihr euch? Von dem Frevel
Stehet, ich bitt' euch, ab und höret auf unsere Warnung!
Wenn ihr den Gaumen euch letzt mit den Gliedern geschlachteter Stiere,
O so wißt und bedenkt, daß euere Pflüger ihr kautet!
Weil zu reden ein Gott mich treibt, so leist' ich geziemend
Folge dem treibenden Gott. Mein Delphi und droben den Äther
Schließe ich auf und eröffne den Spruch hochheiligen Geistes.
Großes enthüllt mein Mund, was noch kein Denker ersparte,
Was lang Dunkel umzog. Durch hohe Gestirne zu wandeln
Freuet, es freut auf Wolken der Erd' unrührigem Sitze
Ferne zu schweben, zu stehn auf der Schulter des kräftigen Atlas
Und von der Höhe zu schau'n auf die unstet irrenden Menschen,
Die der Erkenntnis bar, und den Zagenden, welche der Tod schreckt,
Also zu heben den Mut und zu künden die Reihe des Weltlaufs.