Dädalus


Schon war erwachsen die Schmach des minoïschen Hauses, und schandbar

Zeigtest der Königin Lust, zweileibige Wundergeburt du.

Minos bestimmt, zu entfernen der ehlichen Kammer Beschimpfung,

Mit vielgängigem Haus und blindem Verschloß sie umhegend.

 

Dädalus, hochgepriesen in schaffender Kunst und Erfindung,

Gründet das Werk, und verwirret die Merkmal', und in des Irrtums

Windungen führt er die Schwelle durch vielfach schlängelnden Umschweif

So wie in phrygischen Auen der lautere Strom des Mäandros

Scherzt, und in zweifelndem Laufe gekrümmt abfleußt und zurückfleußt;

Selbst begegnend sich selbst, erblickt er die kommenden Wasser;

Und nun gegen den Quell, nun gegen das offene Meer hin,

Treibt er die unentschiedene Flut: so drehet der Künstler

Zahllos irrender Gänge Gemisch. Kaum findet er selber

Sich zu der Schwelle zurück; so täuschet der Trug des Verschlosses.

 

Als er die Doppelgestalt des Stiers und des Jünglings einschloß,

Und das Gezücht, das zweimal mit attischem Blut sich gesättigt,

Sank dem dritten der Lose nach neun umrollenden Jahren;

Als zu der schwierigen Pforte, die kein Vorgänger gewonnen,

Durch jungfräulichen Rat der verschlungene Faden zurückwies:

Stracks nun lenkt der Ägide das schwellende Segel gen Dia,

Samt der entführeten Braut. Doch der Grausame ließ Ariadne

Dort am Gestade zurück. Der verlassenen, klagenden Fürstin

Nahete Liber mit Schutz und Umarmungen; und, daß ihr ewig

Strahle der Ruhm im Gestirn, die dem Haupt enthobene Krone

Sandt' er zum Himmel empor, sie durchfliegt sanftatmende Lüfte;

Und wie sie fliegt, sind die Stein' in plötzliche Funken verwandelt;

Und sie behaupten den Ort mit bleibendem Glanze der Krone,

Zwischen dem knieenden Bild' und dem schlangehaltenden schwebend.

 

Dädalus haßt indessen die kerkernde Kreta, wohin ihn

Lange verbannt das Geschick, und, gelockt von der Liebe der Heimat,

War er umschlossen vom Meer. So werde denn Land und Gewässer,

Rief er, gesperrt; doch öffnet der Himmel sich: dort sei die Laufbahn!

Alles beherrsch' auch Minos, die Luft beherrschet er doch nicht!

 

Sprach's: und wendet den Geist auf unerspähete Künste,

Und schafft neue Natur. Denn in Ordnung leget er Federn,

Wo zu der kleinsten hinab die kürzere folget der längern;

Daß ein wachsender Flügel erscheint. So hebt sich dem Landmann

Eine Syring' allmählich mit sanft aufstufenden Röhren.

Lein nun bindet sie mitten, und Wachs an der unteren Spule.

Also gefügt, empfahn sie die leise gebogene Krümmung,

Daß sie genau nachahmen die Fittiche. Aber der Knabe

Ikarus stand, und fühlt' unwissend die eigne Gefahr an;

Bald, mit lächelndem Antlitz, erhascht er die hüpfende Flaume,

Welche das Lüftchen bewegt; bald knetet' er weich mit den Fingern

Gelbliches Wachs, und störte mit kindlichem Spiele des Vaters

Wundergeschäft. Nachdem er die letzte Hand der Erfindung

Angelegt, da erhob auf wägende Schwingen der Künstler

Selbst den eigenen Leib, und schwebt in bewegeten Lüften.

 

Dann wird gerüstet der Sohn: Ich warne dich, Ikarus, sprach er,

Flieg' auf der mittelsten Bahn; daß nicht, wenn gesenkter du hinfährst,

Wasser die Fittiche laste; wenn steigender, Glut dich versenge.

Schwebe von beiden entfernt. Nicht Helice, oder Bootes

Schaue mir rechts, noch links das gezogene Schwert des Orion.

Hinter mir eile den Weg. - Zugleich die Gebote des Fluges

Lehrt er, und fügt an die Schultern die ungewohnte Beschwingung.

 

Während er schafft und ermahnt, wird naß die Wange des Greises;

Und es erbebt dem Vater die Hand. Noch küßt er das Söhnlein,

Das nie wieder dem Kusse sich beut; und mit Schwingen sich hebend,

Fliegt er voran, voll Angst um den Folgenden: so wie ein Vogel

Hoch aus dem Nest entführet die schwächliche Brut in die Lüfte.

Und er ermahnt den Begleiter und lehrt ihm schädliche Künste;

Selbst die seinigen regt er und schaut auf die Flügel des Sohnes.

Mancher, indem er Fische mit schwankendem Rohre sich angelt,

Oder gelehnt auf den Stecken ein Hirt, auf die Sterze der Pflüger,

Sahe die beiden erstaunt, und wähnete, Himmlische wären's,

Welche die Luft durcheilten. Und schon die junonische Samos

War zur Linken vorbei, auch Delos geflohen, und Paros;

Rechts Lebynthos vorbei und die honigreiche Kalymne:

Als sich der Knabe begann des verwegenen Fluges zu freuen,

Und den Führer verließ, und, gereizt von Begierde des Himmels,

Höhere Bahn sich erkor. Die Gewalt der näheren Sonne

Weichte das duftende Wachs, das der Fittiche Spulen gefüget:

Bald war geschmolzen das Wachs; und er schwingt die nackenden Arme;

Auch nicht fängt er ein Lüftchen, entblößt der rudernden Flügel;

Und sein Gesicht, wie umsonst des Vaters Namen er ausrief,

Taucht in die bläuliche Flut, die hinfort von jenem genannt wird.

Aber der Vater voll Grams, nicht Vater noch: Ikarus, ruft er;

Ikarus, ruft er, wo bist du? wo soll ich dich suchen, du trauter

Ikarus? ruft er laut, und erblickt in den Wogen die Federn.

Und er verwünscht die eignen Erfindungen; dann in das Grabmal

Bringt er den Leib: und es trägt des Bestatteten Namen das Eiland.

 

Als er die Leiche begrub des erbarmungswürdigen Sohnes,

Schaut aus der ästigen Eiche hervor ein geschwätziges Rebhuhn.

Fröhlich schlug es die Schwingen und äußerte Freud' im Gesange.

Noch ein einzelner Vogel und fremd den vorigen Jahren,

Jüngst in Gefieder gehüllt, dir, Dädalus, ewig ein Vorwurf.

Denn ihm hatte vertraut, der Geschick' unkundig, die Schwester,

Daß er es lehrt', ihr Kind, dem zwölfmal zurück der Geburtstag

Kehrte, den feurigen Perdix, von raffendem Sinn für die Weisheit.

 

Dieser, nachdem er im Fische die zackigen Gräten bemerket,

Nahm ein Muster daran und schnitt in die Schärfe des Eisens

Fortgereihete Zähn' und erfand die Säge zum Werkzeug,

Auch vereint' er zuerst zween eiserne Arm' in dem Knoten

Eingefugt; und indem gleichmäßiger Raum sie gesondert,

Stand der andere Stift, und der andere kreist' in die Runde.

 

Dädalus sah es mit Neid; von der heiligen Burg der Minerva

Stürzt er ihn häuptlings hinab, und heuchelte, daß er gestrauchelt.

Aber hold dem Verstand', empfing ihn Pallas, und schuf ihm

Vogelgestalt und verhüllt' ihn mitten im Fall mit Gefieder.

Siehe, der raschen Natur Lebendigkeit ging in die Flügel,

Ging in die Füße hinein; es blieb der Name, wie vormals.

Doch nicht pflegt der Vogel den Leib in die Höhe zu schwiegen;

Auch nicht baut er im Ast und erhabenen Gipfel die Nester;

Sondern er fliegt an der Erd', und legt in den Hecken die Eier.

Stets noch scheut er das Hohe, des vorigen Falles gedenkend.

 

Matt nunmehr des Fluges, gewann das ätnäische Eiland

Dädalus, wo ihn in Schutz der freundliche Kokalus aufnahm.


 © textlog.de 2004 • 07.11.2024 07:29:45 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright