Prokne und Philomela

 

Barbarn schreckten gelandet Athens mopsopische Mauern.

Aber es kam hilfreich der gerüstete Thrazier, Tereus,

Scheuchte den Feind, und gewann den glänzenden Namen des Siegers.

Diesem, der weit vorherrscht' an der Lande Gebiet und der Männer,

Und sein tapfres Geschlecht ableitete selbst von Gradivus,

Gab Pandion die Prokne zur Braut. Doch nicht Hymenäus,

Juno die eh'liche nicht, noch die Grazie, nahte dem Lager.

Furien hielten empor die geraubeten Leichenfackeln;

Furien breiteten ihnen das Bett; der entweihende Uhu

Brütet' im Dach, und saß auf dem Giebel des Ehegemaches.

Solch ein Vogel verband mit Tereus Prokne; zu Eltern

Segnete solcher sie ein. Glückwünschungen jubelte freilich

Thracia; selbst auch brachten sie Dank den unsterblichen Göttern;

Und wie den Tag, der dem Herrscher Pandions Tochter vermählet,

So der ihm Itys geschenkt, verordneten alle zum Festtag.

 

O wie tief ist verborgen, was frommt! Schon führete Titan

Durch fünf Herbste den Lauf des wiederkehrenden Jahres,

Als so Prokne den Mann liebkosete: Find' ich noch etwas

Freundlichkeit, send' entweder mich selbst zum Besuche der Schwester,

Oder sie komme zu mir. Verheiß' dem Schwäher, in kurzem

Kehre sie wieder zurück. Ein Geschenk, wie der segnenden Götter,

Wird mir's sein, die Schwester zu schaun! Er ordnet, die Barken

Niederzuziehn in die Flut, und geht mit Ruder und Segel

In den cekropischen Port, und berührt die piräischen Ufer.

 

Gleich wie zuerst der Schwäher sich darbeut, und ihn bewillkommt,

Hand in Hand, fängt wechselnd das unheilschwangre Gespräch an.

Kaum noch war des Besuchs Ursach', und die Bitte der Gattin

Angesagt, und gelobt der Gesendeten baldige Heimkehr;

Siehe, da kommt glanzreich in fürstlicher Pracht Philomela,

Glänzender noch an Gestalt: so anmutsvoll, wie wir hören,

Daß Najad' und Dryad' umgehn durch grünende Wälder;

Wenn man ähnlichen Schmuck und ähnliche Pracht sich hinzudenkt.

Anders nicht wird entflammt von der Jungfrau Blicke der Thraker,

Als wenn in falbere Ähren den Brand einleget der Wandrer,

Oder geschobertes Heu und dorrende Sprossen entzündet.

Würdig ist zwar ihr holdes Gesicht; doch ihn selber auch stachelt

Angebotene Lust: denn es glühn unmäßig die Herzen

Jenes Bezirks; er entbrannt durch eigene Schuld und des Volkes.

Rasch ist gefaßt der Entschluß, zu verführen die Hut der Begleiter

Und der redlichen Amme; zugleich zu versuchen die Jungfrau

Mit unendlicher Gab', und aufzuwenden sein Erbreich;

Oder mit Zwang sie zu rauben, bereit zu erbitterter Abwehr.

Nichts ist, was nicht wage, von zügelloser Begierde

Tobend, der Mann; kaum faßt die verschlossenen Flammen das Herz noch.

Mühsam schon erträgt er Verzug; zu den Wünschen der Prokne

Kehrt er mit gierigem Munde, die eigenen Wünsche betreibend.

Liebe macht ihn beredt; und so oft sein dringendes Fordern

Über die Billigkeit geht, so saget er, Prokne verlang' es.

Tränen auch fügt er hinzu, als heischt auch diese der Auftrag.

O ihr himmlischen Mächte, wie hüllt die sterblichen Herzen

Blinde Nacht! In dem Eifer, da Schandtat brütet der Unhold,

Scheint er ein zärtlicher Mann, und gewinnt sich Lob aus dem Frevel.

 

Ja, auch selbst Philomela begehrt's; um den Nacken des Vaters

Schlingt sie kosend die Arm', und besuchen zu dürfen die Schwester,

Fleht sie bei ihrem Heil, und gegen ihr Heil, unermüdet.

Tereus schauet sie an, und herzet voraus mit dem Anblick.

Sehend die hold umwindenden Arm' und das kußliche Mündlein,

Fühlt er alles wie Stacheln, wie Feuerbränd', und wie Nahrung

Rasender Wut; und so oft sie den liebenden Vater umarmet,

Wünscht er sich Vater zu sein; auch wär' er nicht weniger Frevler.

 

Endlich besiegt wird der Vater durch beider Flehn; mit Entzückung

Sagt die Tochter ihm Dank: daß gelungen sie zweien Geschwistern,

Denkt die Arme bei sich, was bald Weh bringet den zweien.

 

Schon war wenig Beschwerde dem Phöbus übrig; und sehnend

Stampften die Sonnenrosse die Bahn des gesenkten Olympus.

Fürstlicher Schmaus belastet die Tisch', und es blinket in Golde

Bacchischer Wein; dann gibt man dem ruhigen Schlafe die Glieder.

Doch wie einsam er sei, der odrysische König, für jene

Woget sein Herz; und denkend Gesicht und Bewegung und Hände,

Bildet er sich, wie er will, die verborgene Schönheit; und selber

Nährt er die eigene Glut, da die Sorg' abweiset den Schlummer.

Morgen war's. Pandion, die Hand des gehenden Eidams

Drückend, empfiehlt ihm also mit Tränenerguß die Gefährtin:

 

Diese, mein teuerster Sohn, weil zärtliche Liebe mich nötigt,

Und sie beid' es verlangen, auch du es verlangest, o Tereus,

Geb' ich dir; und beschwörend bei Redlichkeit, und bei Verwandtschaft,

Bei den Unsterblichen fleh' ich, beschütz' als Vater sie liebreich!

Und den holdesten Trost des vielfach leidenden Alters,

Bald (doch jeder Verzug wird lang sein!) send' ihn zurück mir!

Du auch, sobald als möglich, (genug, daß die Schwester entfernt ist!)

Wenn du den Vater noch liebst, komm bald mir zurück, Philomela!

 

Während des Auftrags küßt' er die trauteste Tochter mit Inbrunst,

Und mildrinnende Tränen entrolleten unter den Worten.

Drauf, wie zum Pfande der Treu' er die Hand von beiden gefordert,

Fügt er sie fest ineinander, und hieß sie Tochter und Enkel

Herzlich von sich in der Ferne mit Worten der Innigkeit grüßen.

Lebe wohl! kaum lallt' er mit schluchzendem Munde den Abschied:

Lebe wohl! und erschrak vor der düsteren Ahnung des Geistes.

 

Aber sobald einstieg an den farbigen Bord Philomela,

Und vom Ruder die Wog' aufrauscht', und die Küste zurückflog:

Unser ist, ruft er, der Sieg! mit fährt die Ersehnte des Herzens!

So frohlockt der Barbar, und kaum die lüsterne Seele

Bändigend, wendet er nie die funkelnden Blicke von jener:

Wie wenn Jupiters Vogel, der krummgeklauete Räuber,

Nieder den Hasen gesetzt in das Nest des erhabenen Felsens,

Nirgend ist Flucht dem Gefang'nen, den wild der Eroberer angiert.

 

Schon war die Reise vollbracht, schon trat aus ermüdeten Barken

Jeder an heimisches Land; da Pandions Tochter der König

Schleppt zu dem Hirtengeheg' in die Nacht des altenden Bergwalds.

Dort die Erblassende nun, wie sie bebt und erschrocken umherblickt,

Und, mit Tränen bereits, nach der Schwester fraget, verschließt er;

Und, ein Bekenner der Schand', an der Jungfrau, und die allein war,

Übt er Gewalt; nachdem sie umsonst oft jammernd den Vater,

Oft die Schwester genannt, und zumeist die unsterblichen Götter.

Ach, sie erbebt, wie ein zagendes Lamm, das verwundet des Wolfes

Blutigem Rachen entrafft, noch nicht ganz sicher sich scheinet;

Und wie die Taube, genetzt von eigenem Blut am Gefieder,

Immer noch starrt, und die gierigen Klaun, wo sie hafteten, scheuet.

 

Bald, da der Geist ihr kehrte, zerrauft sie das fliegende Haupthaar,

Und, wie in Todestrauer, mit Heftigkeit schlägt sie die Arme,

Streckt dann die Händ' aufwärts, und: Ha, Mißhandeler! ruft sie,

Ha, grausamer Barbar! den nicht die Empfehlung des Vaters,

Samt den zärtlichen Tränen gerührt, noch die Sorge der Schwester,

Auch nicht ehliches Bündnis, und nicht jungfräuliche Unschuld!

Alles zerrüttetest du! Mitbuhlerin ward ich der Schwester!

Du zwiefacher Gemahl! Nicht solcherlei Strafe verdient' ich!

Nimm auch, damit kein Frevel dir überig bleibe, Verbrecher!

Nimm dies Leben hinweg! O hättest du vor der Entehrung

Schon es getan! dann schwebte doch schuldlos nieder mein Schatten!

Doch wenn die Oberen dies anschaun, wenn Mächte der Götter

Etwas noch sind, wenn nicht in das Unding alles mit mir sank,

Wann es auch sei, du bezahlest die Buße mir! Selber verkünd' ich's,

Ohne zu achten der Scham, wie du freveltest! Wenn es vergönnt wird,

Tret' ich unter das Volk; wenn schließende Wälder mich halten,

Füll' ich die Wälder mit Ruf, und kundige Felsen beweg' ich!

Höre der Äther die Tat, und wenn dort irgendein Gott ist!

 


 © textlog.de 2004 • 03.12.2024 19:07:05 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright