Prokne und Philomela
Also erregt Philomela den Zorn des grausen Tyrannen,
Und nicht minder die Furcht. Von der doppelten Regung gestachelt,
Reißt er hervor aus der Scheide den umgegürteten Säbel;
Dann sie ergreifend am Haar, und zurück ihr drehend die Arme,
Zwängt er in Bande sie ein. Da reichte den Hals Philomela,
Freudig den Tod erwartend vom Streich des gesehenen Schwertes.
Aber indem unwillig des Vaters Namen sie ausruft,
Ringt, und zu reden sich müht, mit der Zang' ihr faßt er, und schneidet
Weg mit dem Stahle die Zung'; es zuckt inwendig die Wurzel;
Zitternd liegt sie, und lallt im dunkelen Staube, die Zunge;
Und wie getrennt aufhüpfet der Schwanz der verstümmelten Natter,
Zappelt sie, als ob sterbend der Eignerin Spuren sie suche.
Auch nach der schrecklichen Tat (kaum möcht' ich's glauben), erzählt man,
Daß dem zerrissenen Leib er sich oft genahet mit Wollust.
Kalt nun kehrt er zurück, der Missetäter, zu Prokne.
Diese fragt den Gemahl, wo die Schwester bleibe. Doch Tereus
Seufzet verstellt, und erzählt ein gefabeltes Leichenbegängnis.
Glauben gewann durch Tränen das Wort. Schnell reißt von den Schultern
Prokne die Kleider herab mit breit umfunkelndem Golde,
Hüllet den Leib in schwarze Gewand', und ein lediges Grabmal
Baut sie, und bringt Sühnopfer dem unverstorbenen Geiste;
Ach, und betrau'rt dein Geschick, nicht so zu betrauernde Schwester.
Schon zwölf Zeichen durchlief der leuchtende Gott in dem Jahrkreis.
Was soll tun Philomela? Die Flucht ist durch Wache gesperret;
Mächtig starrt des Gehegs aus Felsen erhöhete Mauer;
Stumm verweigert der Mund ihr der Tat Anzeige: doch sinnreich
Ist im Schmerz der Verstand, und Erfindungen lehret das Elend.
Aufzug spannte die Schlaue herab am barbarischen Webstuhl,
Und dem weißen Gespinst durchwebte sie purpurne Zeichen,
Rüge des schnöden Verrats. Das Vollendete reichte sie einem,
Flehend mit Wink, es zu bringen der Herrscherin. Jener bestellet,
Was sie gefleht, an Prokne; und weiß nicht, was er ihr bringe.
Jetzo entrollt das Gewand des grausamen Königes Gattin,
Wo sie die Schrift der Schwester, die jammernswürdige, lieset;
Und (wie war's doch möglich?) sie schweigt. Schmerz hemmte den Mund ihr;
Und es gebrach der Zung' an genug unwilligen Worten.
Nicht auch zu weinen ist Raum; nein, Recht zu verwirren und Unrecht,
Stürmt sie einher; und Gedanken der Rachsucht füllen sie gänzlich.
Zeit nun war's, da gewöhnlich das Dreijahrfest des Lyäus
Feiern sithonische Frau'n; die Nacht ist dem Feste gewidmet.
Nachts tönt Rhodope rings vom Geklirr hellklingenden Erzes.
Nachts auch geht aus dem Hause die Königin, lernet des Gottes
Dienst und Gebrauch, und empfäht die geweihete Taumelgerätschaft.
Rebe beschattet das Haupt, links hängt an der Seite der Hindin
Balg ihr herab, und es liegt der umwundene Stab auf der Schulter.
Durch Bergwaldungen rennt im Gewühl der begleitenden Weiber
Fürchterlich Prokne daher, und von Wut des Schmerzes getrieben,
Heuchelt sie bacchische Wut. Zu dem einsamen Hirtengehege
Kommt sie zuletzt mit Geheul, ruft Evoe, bricht durch die Pforten,
Raubt die Schwester hinweg, und umhüllt die Geraubte mit Bacchus'
Feierschmuck, und das Antlitz mit Efeuranken ihr bergend,
Führt sie die Staunende fort in die Schwelle der eigenen Wohnung.
So wie gemerkt, sie berühre das gräßliche Haus, Philomela,
Starrte die Arme vor Graun, und erblaßt' im ganzen Gesichte.
Prokne, zum Orte gelangt, nimmt ab den festlichen Anzug,
Und enthüllt das verschämte Gesicht der bekümmerten Schwester,
Beut dann Kuß und Umarmung. Doch nicht zu erheben ihr Auge
Wagt sie dort, die sich selbst Mitbuhlerin dünket der Schwester.
Niedergesenkt zur Erde den Blick, da zu schwören sie trachtet,
Und zu bezeugen die Götter, Gewalt sei's, welche mit Schmach sie
Zeichnete, war für die Stimme die Hand. Es entbrennet, und faßt nicht
Prokne selbst den inneren Zorn; abbrechend der Schwester
Weinenden Gram: Nicht, sprach sie, ist hier mit Tränen zu handeln,
Sondern mit Stahl, und kennest du was, das über den Stahl noch
Reicht! Zu jeglichem Greuel bin ich, o Schwester, gerüstet,
Dem arglistigen Manne Vergelt zu geben der Schandtat!
Winke du, was es auch sei; nichts scheuen wir: Glut und Verstümmlung,
Oder den gräßlichsten Tod! - Indem noch redet die Mutter,
Naht ihr Itys, der Sohn, ein Erinnerer, was sie vermöge.
Mit unfreundlichen Augen ihn wild anstarrend: Wie gleich du,
Ha, wie dem Vater so gleich! Sie sprach's, und plötzlich verstummend,
Denkt sie auf traurige Tat; ihr wogt in dem Busen der Ingrimm.
Doch als näher der Sohn anwandelte, als er die Mutter
Freundlich grüßt', und den Hals mit kleinen Armen herabzog,
Und zum holden Geschmeichel der Kindlichkeit Küsse gesellte;
Stand zwar etwas die Mutter bewegt, und es stockte der Zorn ihr,
Feucht auch wurden die Augen von unwillkürlichen Tränen;
Aber sobald sie merkte, von Zärtlichkeit wankt' ihr betäubtes
Mutterherz; schnell kehrt sie von ihm zu der Schwester das Antlitz;
Drauf mit wechselndem Blicke sie beid' anschauend: Warum doch,
Sagte sie, schmeichelt der ein', und verstummt die andere sprachlos?
Mutter nennt mich der; was nennt nicht jene mich Schwester?
Denke doch, welchem Gemahl du dich schleiertest, Tochter Pandions!
Frevel, Entartete, ist's, den Gemahl zu lieben in Tereus!
Rasch nun schleppt' sie den Itys hinweg: wie am Ganges der Hindin
Saugendes Kind die Tigerin schleppt durch finstere Wälder.
Und da im inneren Raum des erhabenen Hauses sie weilten;
Wie er die Händ' ausstreckt', und schon sein Schicksal erkennet,
Schon: Ach Mütterchen! ruft mit Geschrei, und den Hals ihr umwindet,
Sticht mit dem Schwert ihn Prokne, wo Brust und Seite sich fügen,
Ohne zu wenden den Blick. Ihm war zum Tod' auch die eine
Wunde genug; doch öffnet die Kehle mit Stahl Philomela.
Siehe, die noch seelvollen und schwach aufatmenden Glieder
Werden zerfleischt. Bald hüpfet ein Teil im gehöhleten Kessel,
Anderes zischt um den Spieß; rings strömen in Blut die Gemächer.
Prokne ruft zu dem Schmause den nichts argwöhnenden Tereus;
Und den Gebrauch vorschützend des vaterländischen Opfers,
Daß ein Mann es vollend', entfernt sie Gefährten und Diener.
Tereus, hoch dasitzend auf stattlichem Throne des Ahnherrn,
Schmaust, und häufet sich selbst sein eigenes Fleisch in den Magen.
Und, so nachtet der Sinn! ruft, saget er, ruft mir den Itys.
Nicht zu hehlen vermag die grausamen Freuden die Gattin;
Gierig, vom eigenen Wehe zu sein die Verkünderin, sprach sie:
Drinnen hast ja, was du verlangst! Umschauet sich Tereus,
Fragend, wo jener denn sei. Da der Fragende wieder verlanget;
So wie sie war, bluttriefend vom gräßlichen Morde die Haare,
Springet hervor Philomela, und wirft dem Vater des Itys
Blutiges Haupt ins Gesicht; und niemals hätte sie lieber
Reden gemocht, und die Freude durch würdige Worte bezeugen.
Tereus mit grassem Geschrei, da den schrecklichen Tisch er zurückstößt,
Regt aus dem stygischen Tale die schlangenumringelten Schwestern.
Und bald ringt er, wo möglich, herauszuwürgen des Jammers
Mahl aus geöffneter Kehl', und die halbverzehreten Glieder;
Bald dann weint er, und nennt sich das klägliche Grab des Erzeugten.
Jetzo mit blinkendem Schwert verfolgt er die Töchter Pandions.
Fittiche scheinen den Lauf der cekropischen Weiber zu heben;
Fittiche hoben den Flug. Die flieht in die Wälder; die andre
Schwingt sich unter das Dach: noch unerloschen am Busen
Haftet vom Morde die Spur, und Blut befleckt das Gefieder.
Jener, von eigenem Schmerz und Begier der Strafe beschleunigt,
Wandelt zum Vogel sich um: dem ein Busch auf dem Scheitel emporsteht,
Und unmäßig entragt mit langer Spitze der Schnabel.
Wiedehopf ist der Nam'; es erscheint wie gewaffnet das Antlitz.