Meleagros

 

Innige Freud' ist jener zugleich mit der Gabe der Geber.

Neidvoll sahn es die andern, und rings lief dumpfes Gemurmel.

Aber mit lauterer Stimme die Arm' ausstreckend im Haufen:

Niedergelegt! und erschleiche du Weib nicht unseren Anspruch!

Schrein des Thestius Söhne; daß nicht das Vertrauen der Schönheit

Täuschend dir sei, und entfernt dein zärtlicher Gönner sich halte!

Dann entwenden sie ihr das Geschenk, und das Recht des Geschenks ihm.

 

Nicht ertrug's der mavortische Held; aufbrausend von Unmut:

Lernet, wie weit, so rief er, o Schmälerer fremden Verdienstes,

Taten von Drohungen stehn! und die Brust Plexippus', des Oheims,

Der nichts dessen besorgte, durchgrub er mit frevelem Eisen.

Toxeus, der den Entschluß noch abwägt, und, wie des Bruders

Rache verlangt, so zugleich des Bruders Schicksal befürchtet,

Läßt er nicht lang abwägen; den Stahl, den der vorige Mord noch

Wärmte, wärmt er von neuem mit gleichentsprungenem Blute.

 

Dank den Unsterblichen trug für den siegenden Sohn in die Tempel,

Als man zurück ihr brachte die Bruderleichen, Althäa.

Heftig zerschlägt sie den Leib, und erfüllt mit Geheule des Jammers

Rings die Stadt; und das goldne Gewand vertauscht sie mit schwarzem.

Aber sobald kund wurde des Mords Urheber, entsank ihr

Aller Gram, von den Tränen zur Lust der Strafe sich wendend.

 

Dort war ein Scheit, den, als der Geburt entladen Althäa

Ruht', in die Flamme gelegt die dreifach waltenden Schwestern.

Dann mit geschäftigem Daum das Gespinst der Schicksale spinnend,

Sagten sie: Einerlei Zeit sei dem Holze beschert und dir selber,

Neugeborenes Kind. Nach so gesprochenem Segen

Schieden die Göttinnen weg. Den lodernden Brand aus dem Feuer

Raffte die Mutter hervor, und sprengt' ihn mit lauteren Fluten.

Lange bereits lag dieser verwahrt in den innersten Kammern,

Wo der erhaltene dir dein Leben erhielt, o du Jüngling.

Jetzo enttrug ihn die Mutter, und hieß Kienstäbe mit Reisig

Häufen, und sandt' in den Haufen die Macht des verheerenden Feuers.

Viermal strebt sie nunmehr, den Ast in die Flamme zu legen,

Viermal zuckt sie zurück: es streiten sich Mutter und Schwester,

Und zu Verschiedenem ziehn ein Herz zween kämpfende Namen.

Oft erblaßte vor Angst der nahenden Sünde das Antlitz;

Oft durchglühte die Augen der Zorn mit eigener Röte.

Bald dann, ich weiß nicht welcher, entsetzlichen Drohungen Abbild

War ihr Gesicht; bald wieder von Mitleid sprach's und Erbarmung.

Und wann die Tränen versiegt in der dörrenden Flamme des Herzens,

Quollen doch andere Tränen und andere. So wie ein Nachen,

Welchen der Wind, und dem Wind' ankämpfende Strömung dahinrafft,

Doppelte Macht empfindet und schwankt in geteiltem Gehorsam:

Also Thestius' Tochter; durch streitige Regungen irrend,

Legt sie den Zorn umeinander, und weckt den gelegten wieder.

 

Dennoch beginnt die Schwester das Mutterherz zu besiegen;

Und blutsfreundliche Schatten mit Blut zu besänftigen, übt sie

Grausame Zärtlichkeit aus. Denn sobald das vertilgende Feuer

Loderte: Brenne denn, rief sie, mein Fleisch in den Gluten des Todes!

Und wie in schrecklicher Hand sie das Holz des Jammergeschicks hielt,

Wankte sie unglückselig hinan zu dem Leichenaltare.

 

Ihr, des grausen Vergelts drei Göttinnen, sprach sie, o wendet,

Eumeniden, den Blick zu unserem Furienopfer!

Untat straf' ich und tu' ich! Der Tod sei mit Tode gesühnet!

Frevel werde zu Frevel gefügt, zu den Leichen die Leiche!

Durch anwachsende Trauer vergehe das Haus des Verbrechens!

Öneus soll, ein Beglückter, des siegenden Sohnes sich freuen?

Kindlos Thestius sein? Anständiger grämet euch beide!

Ihr, o Bruderseelen, der Tief' Ankömmlinge, fühlt nur,

Was ich tue für euch, und empfaht das teuer gekaufte

Totengeschenk, die entartete Frucht des eigenen Schoßes!

Wehe! wo taumel' ich hin? O verzeiht, ihr Brüder, der Mutter!

Mir versagt zum Beginnen die Hand! Wohl hat, ich bekenn' es,

Jener zu sterben verdient; nur des Tods Urheber mißfällt mir!

Ungestraft denn soll er entgehn? und lebend, und Sieger,

Und vom Erfolg' aufschwellend, behauptet er Kalydons Herrschaft?

Weil als winziger Staub ihr liegt, und erkältete Schatten?

Nimmer duld' ich es, nimmer! Der Freveler sterb'; und des Vaters

Hoffnung zerfalle mit ihm, und das Reich, und die Heimat in Trümmer!

Herz der Mutter, wohin? wo zärtliche Bande der Eltern?

Und, die ich ringend ertrug, ihr zehn mühseligen Monden?

Wärest du doch als Kind in der Erstlingsflamme verlodert!

Hätt' ich es nimmer gestört! Ich schuf dir Leben: du selber

Schufst dir den Tod! Nimm jetzo den Lohn hin! und was ich zweimal,

Erst durch Geburt dir verlieh, und bald durch Entreißung des Brandes,

Gib dein Leben zurück, sonst wirf mich ins Grab zu den Brüdern!

Welcher Entschluß! Gern wollt' ich, und kann nicht! Bald vor den Augen

Stehn mir die Brüder in Blut, und des gräßlichen Mordes Erscheinung;

Bald von Zärtlichkeit bricht mir das Herz, und von Muttergefühlen!

Weh mir! ein unglückseliger Sieg! doch sieget, ihr Brüder!

Nur dem verliehenen Trost, und euch, ihr Trautesten, folg' ich

Selber sofort! - So sprach sie; und abgewendet das Antlitz,

Warf sie mit zitternder Rechte den Leichenbrand in die Flammen.

 

Wahrhaft, oder zum Schein, entwimmerten klagende Seufzer

Jenem Scheit, da ein Raub unwilliger Flammen er brannte.

Unbewußt und entfernt, wird auch Meleagros vom Feuer

Ganz durchglüht; und er fühlt, sein inneres Leben versenge

Heimlicher Brand. Doch hemmt er mit Kraft die gewaltigen Schmerzen.

Daß er indes blutlos unrühmlichem Tode dahinsinkt,

Füllt ihn mit Gram; und er preist des Ancäus glückliche Wunden.

Seinen Vater, den Greis, den Bruder, die zärtlichen Schwestern,

Rufet er, und die Gemahlin, zuletzt mit seufzendem Munde;

Auch die Mutter vielleicht. Es wächst mit der Flamme der Schmerz an,

Und er ermattet mit ihr; zugleich erloschen sie beide,

Und in die wehenden Lüfte verflog allmählich der Atem.

 

Kalydon sinkt von der Höh'; und Jünglinge trauern und Greise;

Fürsten und Volk wehklagen ihr Leid; und zerrissenen Haares

Schlagen die Brust am Euenos die kalydonischen Mütter.

Haupt und greisendes Haar entstellt mit Staube der Vater,

Hingestreckt auf die Erd', und verwünscht sein säumendes Leben.

Denn die Mutter vollzog, sich bewußt der entsetzlichen Untat,

Strafe mit eigener Hand, in den Leib sich stoßend den Mordstahl.

 

Nicht, ob ein Gott mir hundert ertönende Munde mit Zungen

Schenkt', und umfassenden Geist, und des Helikons sämtliche Weisheit,

Redet' ich ganz den Jammer der unglückseligen Schwestern.

Reiz nicht achtend, noch Zier, zerbläuen sie nackende Brüste;

Und weil dauert der Leib, wird umschlungen der Leib und geherzet,

Wird er selber geküßt, und geküßt das gebreitete Lager.

Als die Asche zerfiel, da streun sie die Asch' um die Brüste,

Liegen gestreckt am Hügel der Gruft, und umarmen des Marmors

Namenzüg', und betränen die teuersten Namen mit Wehmut.

Satt nun endlich vom Grame des parthaonischen Hauses

Hüllt, bis auf Gorge allein und die Schnur der edlen Alkmene,

Allen Diana den Leib mit dem Wuchs leichthebender Federn,

Streckt an den Armen entlang weitreichende Flügel, und spitzet

Hornig den Mund; es entfliegt die verwandelte Schar in die Lüfte.

 


 © textlog.de 2004 • 22.12.2024 13:44:04 •
Seite zuletzt aktualisiert: 05.12.2006 
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