Religionsbekenntnisse, Stände


Dem Religionsbekenntnis nach war Königsberg seit den Tagen der Reformation (1525) eine durchaus protestantische und zwar in der Hauptsache lutherische Stadt. Luthers ältester Sohn ( 1575) lag in der Altstädtischen, Melanchthons. Tochter, die Gattin des ersten Rektors der Universität Sabinus, in der Domkirche begraben; im Senatszimmer des alten Kollegienhauses hingen die Bilder beider Reformatoren. Ja in dem Senatoreneid, den auch Kant hat leisten müssen, fand sich noch eine härte Stelle gegen alle "Sakramentarier", zu denen nach strenger Auffassung auch die Reformierten gehörten. Immerhin wurden diese bisweilen zu Professuren zugelassen, während man den Katholiken gegenüber exklusiv blieb. Die Reformierten zählten eine größere "teutsch-pohlnische" und eine kleinere französische Gemeinde,*) zusammen etwa 1500 Seelen. Die Zahl der zugewanderten Katholiken war sehr klein; schon seit dem 16. Jahrhundert hielten sie keine Prozessionen mehr ab. Schließlich gab es noch manche "Stille im Lande", darunter Mennoniten, Herrnhuter und andere "Separatisten". Größer war die Zahl der erst seit Ende des 17. Jahrhunderts zugelassenen Juden. Sie betrug im Jahre 1787 814 Personen, darunter 57 "Schutzjuden", von denen jedoch nur ein Teil das Recht zum Ankauf von Grundstücken besaß: nur 16 Häuser und 4 Speicher waren in jüdischem Besitz. Handel mit Roherzeugnissen wie Erlernung eines Handwerks waren ihnen untersagt. Die meisten beschäftigten sich mit Juwelen- und Galanteriewarenhandel oder waren Unterhändler bzw. Dolmetscher der Polen und Russen; doch zählte zu ihnen auch eine Reihe ansehnlicher Handelshäuser, welche ausgebreitete Wechselgeschäfte betrieben und die größten Packkammern besaßen.

So konnte man in der, von Kant selbst einmal durch ihre "Weitläuftigkeit" charakterisierten, Pregelstadt ein mannigfach bewegtes Leben wahrnehmen und alle Stufen der Kultur beobachten: von jenen fast noch den Eindruck von "Wilden" machenden polnischen "Dschimken" (s. oben) und den Matrosen und Packknechten am Flusse bis zu den höchsten Kreisen der Geld- und Geburtsaristokratie mit ihren zum Teil, u. a. durch die russische Okkupationszeit (1758—62), doch schon etwas verderbten Sitten. Übrigens fiel dem Reisenden Meerman 1800 die große Anzahl wohlgebauter Männer und schöner Frauen auf, welche letztere sich auch mit Geschmack zu kleiden wußten, "ohne doch das Natürliche und Einfache zu vernachlässigen". In der vorrevolutionären Zeit machte sich, wie überall, die schroffe Trennung der Stände auch in Königsberg geltend und ließ es zu keiner Gemeinsamkeit der Interessen kommen. Sie kam auch in den geselligen Beziehungen zum Ausdruck; so feierten die Großbürger ihre Feste im Junker-, die Kleinbürger die ihrigen im Gemeindegarten, es gab besondere Adeligen-, Kaufmanns-, Offizianten- (d. h. Beamten-) und Studentenbälle. Immerhin waren die großen Kaufleute der Stadt, die meist ein beträchtliches Stück Welt gesehen hatten, im Durchschnitt nicht protzenhaft, sondern zeigten häufig vielseitige Interessen und suchten den Umgang mit Vertretern der Wissenschaft; ebenso, wie wir noch sehen werden, ein Teil des Adels und des Militärs. Hamann und vor allem Kant, geringer Leute Kinder, konnten ohne Zwang in den vornehmsten Kreisen verkehren. Es gab in der Stadt eine Reihe öffentlicher und privater Bibliotheken, wie denn überhaupt von den Königsbergern und Königsbergerinnen viel gelesen wurde, und seit 1743 eine heute noch bestehende gelehrte Vereinigung, die "Kgl. Deutsche Gesellschaft". Auch an Konzerten und Theateraufführungen, seit 1755 in einem ständigen Schauspielhause, fehlte es nicht.

Endlich beherbergte die Hauptstadt des Landes, das dem neuen Königreich den Namen gegeben, noch eine ganze Anzahl "hoher Landeskollegien": zum Exempel das "kgl. preußische Etatsministerium", bestehend aus einem Landhofmeister, Oberburggrafen, Kanzler und Marschall (alle — wohl noch von der Ordenszeit her — aus dem einheimischen Adel ernannt), die "kgl. ostpreußische Regierung" als oberste Gerichts-, die "Königsbergsche Krieges- und Domänenkammer" als oberste Polizei-, Handels-, Bau- und Finanzbehörde. Dazu noch viele andere weniger vornehme Behörden — L. von Baczkos Beschreibung des alten Königsberg zählt im ganzen 28 auf! —, von denen wir nur noch das Lizent- oder Zollamt, das Kommerz- und Admiralitätskollegium und das Konsistorium erwähnen.

So ist Immanuel Kant, im Gegensatz zu Lessing, Schiller und Herder, ähnlich dagegen Leibniz und Goethe, in einer der größten damaligen Städte, die einem beweglichen Geiste mannigfaltige Anregung bot, herangewachsen. Und wir begreifen wohl die Worte berechtigten Heimatstolzes, mit denen unser Philosoph, sonst sparsam mit allem Persönlichen, in einer Anmerkung zu der Vorrede seines letzten Werkes, der "Anthropologie", von seiner Vaterstadt spricht, Worte, mit denen auch wir diese Überschau beschließen wollen: "Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landeskollegien der Regierung desselben befinden, die eine Universität zur Kultur der Wissenschaften und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl mit angrenzenden als auch entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten einen Verkehr begünstigt — eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zu Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann."

 

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*) Bezeichnend für das nüchterne Königsberg ist, dass die Kirchen nicht, wie z. B. die Danziger oder Breslauer, historische Heiligennamen tragen, sondern sämtlich nach der Gemeinde als Altstädtische, Kneiphöfsche, Löbenichtsche, Katholische, Polnische usw. Kirche bezeichnet sind.


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