Latein, Deutsch


Das Rückgrat des gesamten Unterrichts aber bildete das Latein mit seinen 16—20 Wochenstunden. Den Anfang der Stunde bildete auf allen Stufen das Einprägen bzw. das Abhören von Vokabeln, später Phrasen. Die Lektüre war bloßes Mittel, anstatt Zweck, des Sprachunterrichts. Jeder Satz der in Tertia mit Cornelius Nepos beginnenden Lektüre wurde Wort für Wort grammatisch erklärt, umgewandelt, erst zuletzt ins Deutsche übersetzt, nach Beendigung jedes Kapitels der Inhalt ausführlich lateinisch wiedergegeben. Erst in Untersekunda wurde der heute mit Recht zum alten Eisen geworfene Nepos zu Ende gelesen und das "Leichteste und Nützlichste" aus Ciceros Briefen begonnen. In "Groß"-, d. i. Obersekunda kam zu den letzteren Cäsar hinzu, der übrigens später zugunsten eines — Neulateiners (Muret) verschwand. In Prima bildete der letztere neben Ciceros Reden und dem anekdotenhaften Historiker Curtius den Hauptgegenständ; nur vereinzelt kam es auch zur Lektüre einiger philosophischer Schriften Ciceros. Nichts von Livius, nichts von Tacitus. Welch dürftiges Gesamtergebnis bei so gewaltigem äußeren Apparat!

Desto mehr wurde von der untersten Stufe an auf Rede fertigkeit in der lateinischen Sprache gesehen, lateinische Gespräche auswendig gelernt, später an den Unterrichtsstoff angeschlossen. In Obersekunda und Prima sollten die Schüler überhaupt, untereinander wie mit den Lehrern, nur lateinisch sprechen! Daneben das ganze Brimborium von gelehrten Kunstausdrücken, Tropen und Figuren, Chrien usw. Man begreift Kants spätere Abneigung gegen alle Rhetorik, wenn man liest, wieviel Zeit und Mühe diese armen Schülerseelen auf solches Phrasengeklingel von sogenannten Reden verwenden mußten, die teils nur schriftlich ausgearbeitet, teils auch wirklich gehalten wurden. Galt doch ein von den Primanern nach einem selbstentworfenen Programm veranstalteter Actus oratorius als Ziel und Gipfelpunkt des auf der Schule Erreichbaren, wie für das auswärtige Publikum der feierliche Aktus der ganzen Anstalt (s. weiter unten). Schriftliche Exerzitien und Extemporalien, wie heute, wurden auch geschrieben, jedoch nicht im Übermaß; in den oberen Klassen häufig in Briefform.

Als interessanterer Teil des Lateinunterrichts erscheint auf den ersten Blick die poetische Stunde, in besonderen "poetischen Klassen" von Tertia aufwärts gehalten. Zunächst wurde Metrik gelernt und praktisch eingeübt. Stoff genug bot die umfangreiche Sammlung von Freyers poetischem Lesebuch, das von Anfang bis zu Ende durchgearbeitet ward. Neben Stücken aus den Dichtern, die noch heute von unseren Gymnasiasten gelesen werden (Ovid, Vergil, Horaz) standen auch solche von Catull, Tibull, Martial, Juvenal und Seneka, daneben auch von Vertretern der spätlateinischen und der neuzeitlichen Schulpoesie. Das, worauf es ankam, war aber auch hier nicht der Inhalt, sondern die äußere Form. Die Versmacherei wurde geradezu systematisch betrieben, über ein gegebenes Thema par ordre de Mufti Verse gemacht, anfangs in der Klasse, später auch als Hausarbeit. Bei den Unbegabten mußte wohl auch der Stock nachhelfen. Die Begabtesten kamen bis zur Verfertigung lateinischer Oden in sapphischem oder alkäischem Maß. Kein Wunder, wenn Kant in seinen populären Vorlesungen und Reflexionen gelegentlich auch diese Versmacherei ebenso wie die Lernerei der "phrases" brandmarkt.

Das einzige Reale in all diesem Formen- und Formelkram des lateinischen Unterrichts boten die Belehrungen über römische Altertümer, die in Unter- und Obersekunda, aber nur in einer halben oder ganzen Stunde des Sonnabend-Vormittags, gegeben wurden.

Von besonderem deutschen Unterricht ist neben alledem kaum die Rede. Übungen in der deutschen Rechtschreibung und Interpunktion wurden, wie schon erwähnt, mit der Unterweisung in der "Kalligraphie" oder "netten Schreibart" verbunden. Im übrigen wurde die deutsche Sprache eben mit und an der lateinischen gelernt. Doch scheint wenigstens die Unterrichtssprache vorherrschend die deutsche gewesen zu sein; wie es denn auch für die damalige Zeit schon einen Fortschritt darstellt, dass die aus den Francke-Spenerschen Anstalten in Halle übernommene lateinische Grammatik von Joachim Lange in deutscher Sprache abgefaßt war. Außerdem hören wir von einzelnen deutschen "Brief- oder periodologischen" Stunden auf den mittleren Klassen, während in Obersekunda und Prima deutsche Briefe mit lateinischen als häusliche Arbeiten wöchentlich abwechselten, übrigens muß auch die deutsche Versmacherei geblüht haben, wenn uns auch über das Fridericianum speziell keine genaueren Nachrichten bekannt sind. Denn wie viele Gelegenheiten gab es, den lateinischen und den deutschen Pegasus zu besteigen! "Da waren", wie Möller, der Historiker des Königsberger Altstädtischen Gymnasiums, schreibt, "zuvörderst die unaufhörlichen Schulaktus, bei denen schon um der Abwechslung willen Latein und Deutsch, gebundene und ungebundene Rede einander ablösen mußten. ... Bald starb ein alter Rektor oder Konrektor, bald feierte ein Lehrer seinen Namenstag oder gar seine Hochzeit, oder er wurde neu introduziert oder empfing den Doktorhut oder siedelte von einer Schule zur anderen oder ging in ein Kirchenamt über, und es war eine grobe Verletzung des Anstands, wenn nicht die Schüler in die Saiten gegriffen und ihren wahren oder erheuchelten Gefühlen Ausdruck gegeben hätten."


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