Die Universität und ihre Lehrer
Langgestreckt, altersgrau und niedrig zog sich, wie ähnlich noch heute, die "alte Universität" am südlichen Pregelufer hin, baulich verbunden mit dem Kneiphöfschen Gymnasium: und dem Dom so benachbart, dass "alles wie eins aussieht" (Hippel), ein Symbol für ihr inneres Gepräge zu Kants Studienzeit. Denn hauptsächlich aus kirchlichen Rücksichten, um dem isolierten Protestantenlande im äußersten Nordosten Lehrer und Prediger zu schaffen, war sie vor zwei Jahrhunderten gegründet worden, und von einer höheren Schule hob sich, namentlich in der philosophischen Fakultät, wie wir gleich sehen werden, ihr Betrieb wenig genug ab. Dem gedrückten Eindruck von außen aber entsprach auch ihre Stellung im Staate und ihr geistiger Habitus. Wenn man an das geistreiche Spottwort Kronprinz Friedrichs nach einem kurzen Besuche Königsbergs vom Jahre 1739 denkt, diese Stadt könne "besser Bären aufziehen als zu einem Schauplatz der Wissenschaften dienen", und Müßiggang und Langeweile schienen ihre "Schutzgötter" zu sein: so wundert man sich nicht mehr, dass mit der entlegenen Provinz überhaupt auch die Königsberger "Akademie", wie sie von den Einheimischen gewöhnlich genannt wurde, ein Stiefkind der Berliner Regierung blieb. Ihre Lehrer waren aufs erbärmlichste besoldet: noch im November 1752 bekamen z. B. von den neun Professoren der juristischen Fakultät die drei ersten Ordinarien nur ein geringes, der vierte und sämtliche fünf Außerordentlichen — überhaupt kein Gehalt! Dabei wurden sie von oben noch, wie Schuljungen, zu eifrigerer Erfüllung ihrer Pflichten angespornt. Der Rektor war angewiesen, sich bei den Dekanen nach Fleiß und Unfleiß der einzelnen Dozenten zu erkundigen und das Ergebnis höheren Orts zu melden. Als dem tyrannischen Friedrich Wilhelm I. einmal auf seine Erkundigung zwei Professoren genannt worden waren, die in den letzten Jahren aus Mangel an Zuhörern nicht gelesen hätten, verordnete der erzürnte König, dass sie "ihres Unfleißes halber entweder an Gelde oder gar am Leibe gestraft würden" (Akten des kgl. Etatsministeriums von 1732). So waren denn die Lehrer der Akademie auf das unwürdige Erhaschen von allerlei Nebenstellen, Halten von Pensionären u. dgl. geradezu angewiesen, zumal da auch die Kollegiengelder nicht viel einbrachten. Denn, wenn Königsberg selbst heute noch in erster Linie Provinzuniversität ist, so war dies damals erst recht der Fall, und wenn sie noch zu Rosenkranz' Zeit (um 1840) nicht mehr als drei- bis vierhundert Studenten zählte, so wurde diese Ziffer ein Jahrhundert früher schwerlich überschritten:*) 1800 sollen es nicht viel mehr als zweihundert gewesen sein. Zudem galten die Einheimischen, bei ihrer "fast durchgehends großen Armut", mit Recht als schlechte Zahler. Etwas besser stand es mit den Musensöhnen aus dem benachbarten Kur- und Livland; aber von ihnen betrachteten gerade die Bemittelteren die Albertina meist nur als Ubergangsstation zu den berühmteren Musensitzen im "Reiche". Kein Wunder, dass unter solchen Umständen hervorragende Lehrkräfte die Königsberger Akademie mieden, und dass unfähige Dozenten die notwendigsten Vorlesungen ungebührlich, zuweilen bis zu vier Semestern, in die Länge zogen: ein Zeichen, dass "der Lehrer seine Wissenschaft sich selbst nicht eigen gemacht und docendo lernen wollte" (Hippel).
__________________
*) In dem Jubiläumsjahre 1744 studierten allerdings in Königsberg 591 Theologen, 428 Juristen und 13 Mediziner, die sämtlich auch der philosophischen Fakultät angehörten oder angehört hatten.