Lehrer, Schulzucht, Prüfungen
Ein weiterer Übelstand war, dass die etwa 30 Lehrer der Anstalt fast durchweg Studierende oder Kandidaten der Theologie vom fünften Semester ab, zum größeren Teil frühere Zöglinge der Schule, waren. Bei so großer Zahl wurde der einzelne zwar nicht mit Unterrichtsstunden überlastet — die Älteren erteilten bis zu vier, die Jüngeren 1 bis 3 Stunden täglich —, aber die Entlohnung war auch kärglich. Sie betrug bloß 10 Taler jährlich für jede Wochenstunde, weitere Zulagen waren von der Zahl der Schüler abhängig. Die meisten hatten freilich freie Wohnung und Kost im Collegium, mußten aber dafür auch dessen Pensionäre beaufsichtigen, und ein eigenes Zimmer besaß nur der erste Lateinlehrer. Der Hauptnachteil war doch, dass den jungen Leuten, wenn sie so früh — Kants Freund Cunde z. B. im Alter von 18 bis 19 Jahren — ihre Tätigkeit begannen, jede Lebens- und Unterrichtserfahrung fehlte. Daran konnten schließlich auch die Anweisungen, Ratschläge und Wochenkonferenzen, die der erste Inspektor mit ihnen abhielt, wenig ändern. Und so vermochten denn viele, auch wenn sie älter geworden, trotz aller Anläufe zur Strenge, keine Disziplin zu halten. Im allgemeinen erscheint das von Schiffert in seiner "Nachricht" empfohlene Verfahren für die damalige Zeit verständig und milde. Schimpfwörter, sogar die Anrede mit "Du", waren verpönt. Mit väterlichen Ermahnungen sollte der Präzeptor zunächst auszukommen suchen; falls diese nichts fruchteten, sollte er seinen Unterricht nicht lange durch die Strafvollziehung unterbrechen, sondern die Sache dem Inspektor melden, der ihnen dann die Strafe — körperliche nur bei Bosheit oder offenbarer Faulheit — zu diktieren werde; helfe auch das nicht, so müsse man den Eltern die Entfernung aus der Schule empfehlen, "maßen man aus dem Collegio ... kein Zuchthaus machen kann". Ob diese vernünftigen Grundsätze in Wirklichkeit immer befolgt worden sind?
Ferien, wie sie an anderen Lehranstalten wenigstens zur Zeit der Hundstage und des Jahrmarktes je 14 Tage lang einzutreten pflegten, gab es in der strengen Pietistenschule Überhaupt nicht. Nur am Oster-, Pfingst- und Christfest-Montag und einen Tag nach der öffentlichen Prüfung wurde der Unterricht ausgesetzt; außerdem ging man bisweilen in der heißesten Zeit des Jahres mit den Schülern oder doch den Pensionären einen halben oder ganzen Tag aufs Land. Die Vorschriften über die Schulaufsicht waren streng. Jeder Lehrer mußte den Eintritt seines Nachfolgers ins Klassenzimmer abwarten. Die Pensionäre durften sich nur von 12—1, 4—5 und im Sommer nach 8 Uhr abends unter Aufsicht auf dem Schulhof "bewegen"; Turnen gab es natürlich nicht. Von 5—7 Uhr nachmittags war, selbstverständlich ebenfalls unter Aufsicht der Stubeninspizienten, Arbeitsstunde. Die Versetzungen in eine höhere Klasse fanden, nachdem zahlreiche Wiederholungen des Gelernten nicht bloß am selben und folgenden Tage, sondern auch zu Ende der Woche, des Quartals und Semesters stattgefunden hatten, jedes halbe Jahr statt; sie wurden, nach den Vorschlägen der Lehrer und eingehenden Prüfungen in den Klassen, vom Inspektor entschieden und verkündet; als besonders schwierig galt die nach U II. Vor Schluß des Semesters wurde in der Schulkirche eine zwei volle Tage dauernde öffentliche Prüfung abgehalten, zu welcher die Zöglinge tags vorher den angesehensten Männern der Stadt sowie den Gönnern und Freunden der Schule gedruckte Einladungen überbrachten; wenn Universitätsprofessoren oder Konsistorialräte kamen, so konnten sie selber Themata stellen oder Fragen an die Schüler richten. Die Prüfung der Sekundaner und Primaner fand in lateinischer Sprache statt. Am dritten Tage hielten die Abiturienten — damals dimittendi, d. i. zu Entlassende, genannt — ihre Abschiedsreden über ein moralisches oder theologisches Thema, je nachdem mit größerem oder geringerem Schwulst. Meist lateinisch; doch kamen an manchen Anstalten auch griechische, französische, ja selbst hebräische (!) Reden vor. Im Fridericianum wurden sie dann, in sauberer Reinschrift, gebunden und in der Bibliothek aufbewahrt; leider haben sie sich nicht erhalten, sonst könnten wir sicherlich auch eine des dimittendus Kant "bewundern". Daran schlossen sich Deklamationen lateinischer und deutscher Gedichte, die Abschieds- und Dankrede eines der zurückbleibenden Primaner, die Entlassungsrede des Inspektors, zuweilen noch ein Schlußwort des Direktors.