Bewegung - Antike, Scholastik
Nach HERAKLIT und PROTAGORAS ist alles in beständiger Bewegung, alle Ruhe ist nur Sinnenschein (phasi tines kineisthai tôn ontôn ou ta men ta d' ou, alla panta kai aei, alla lanthanein touto tên hêmeteran aisthêsin ARISTOTELES, Phys. VIII 3, 253 b 10). ZENO von Elea dagegen bestreitet die Realität der Bewegung. Diese sei in Wahrheit unmöglich, denn das Bewegte bewegt sich weder da, wo es schon ist, noch da, wo es nicht ist, also überhaupt nicht to kinoumenon out' en hô esti topô kineitai out' en hô mê esti, Diog. L. IX 11, 72). Vier Argumente (logoi) bringt er vor. Bewegung kann nicht stattfinden: 1) wegen der unendlichen Zahl von Distanzen, die durchlaufen werden müßten, 2) wegen des »Achilleus« (s. d.), 3) wegen des Ruhens des »fliegenden Pfeils« (s. d.), 4) wegen der Gleichheit der Geschwindigkeit auf dem halben wie auf dem ganzen Wege, gemessen an der entgegengesetzten Bewegung eines Körpers (ARISTOTELES, Phys. VI 9, 239 b 33). Gegen diese Antinomien recurriert DIOGENES der Kyniker auf die Evidenz der Sinne (Diog. L. VI, 39; Sext. Emp. Pyrrh. hyp. III, 66), während ARISTOTELES betont, daß die Stetigkeit der Zeit und der Bewegung verkannt werde; diese besteht nicht aus Teilen, so auch jede andere Größe, sondern sie läßt sich stetig teilen (Phys. VI 9, 239 b 8; vgl. SPINOZA, Epist. 29; LEIBNIZ, WW. Gerhard I, 403; J. ST. MILL, Examin. p. 474; DÜHRING, Kritik Gesch. d. Phil. 1869, S. 40 ff.; GOMPERZ, Griech. Denk. I, 159; ÜBERWEG, Logik3, S. 409; KÜHNEMANN, Grundl. d. Philos. S. 83 ff.). - DEMOKRIT erblickt in der Bewegung eine primäre Eigenschaft der Atome (s. d.). Sie ist (nach Stob. Ecl. I, 18, 394) geradlinig von Natur. Die Megariker behaupteten, es gäbe an sich keine Bewegung (mê einai kinêsin, Sext. Emp. adv. Math. X, 85 squ.). PLATO unterscheidet zwei Arten der Bewegung: qualitative Veränderung (alloiôsis) und Ortsbewegung (periphora, Theaet. 181). Die primäre Bewegung ist Selbstbewegung (Leg. 894 B, D, 895A), diese aber ist Leben, Beseelung (l.c. 896 C). Im Organismus sind die Körperbewegungen von den inneren, seelischen Bewegungen (prôtourgoi kinêseis) abhängig (l.c. 897 A). Die sich selbst bewegende Weltseele (s. d.) ist das Prinzip aller kosmischen Bewegungen (Tim. 43 ff.). ARISTOTELES versteht unter kinêsis Veränderung (s, d.) überhaupt, deren er vier (De an. I 3, 406 a 12 squ.) oder sechs (Categ. 14) unterscheidet. Sie ist die Verwirklichung des Möglichen als solchen (hê tou dynatou, hê dynaton, entelecheia phaneron hoti kinêsis estin, Phys. III 1, 201 b 4), Übergang aus der Potenzialität in die Aktualität. Eigentliche Bewegung ist nur die Ortsbewegung (kinêsis kata topon, phora, Phys. III 8, 208 a 31). Die Bewegung ist stetig (synechês, Phys. IV 11, 219 a 10). Zur Bewegung bedarf es keines leeren Raumes (gegen die Atomisten), sondern sie besteht in einer Ortsvertauschung im Vollen (antiperistasis, Phys. VIII 10, 267 a 18). Jedem Körper kommt konstant Bewegung zu (anankê de aei kinêsin echein sôma pan physikon, De coel. I 1, 274 b 4). Die Bewegung ist die Ursache des Werdens (hê gar phora poiêsei tên genesin, De gen. et corr. II 9, 336 a 17). Es gibt geradlinige, kreisförmige, gemischte Bewegung (eutheia, kyklô, ek toutôn miktê, De coel. I 1, 268 b 17). Die vollkommenste ist die kreisförmige Bewegung, sie kommt dem Äther (s. d.) und dem Sternhimmel zu (De gen. et corr. II 11, 338 a 18 squ.). Da alle Bewegung in der Verwirklichung eines Potentiellen besteht, so muß es zuletzt einen selbst unbewegten ersten Beweger der Welt (prôton kinoun akinêton auto, Met. IV 8, 1012 b 31), Gott (s. d.), geben; dieser bewegt erômenos, durch das Streben der Dinge nach ihm. Als (geistige) Bewegung fassen THEOPHRAST und STRATO das Denken auf (Simpl. Phys. 225 a). Die Stoiker definieren die Bewegung (kinêsis) als metabolên kata topon ê holô ê merei ê metallagên ek topou. Es gibt ursprünglich geradlinige und gewundene Bewegung (eutheian kai tên kampylên, Stob. Ecl. I 19, 404, 406). Nach EPIKUR gibt es Bewegung kata stathmên kai kata parenklisin (Stob. Ecl. I 18, 394, s. Atom). PLOTIN definiert die Bewegung im Sinne des Aristoteles (Enn. VI, 3, 22). Sie ist kein Seiendes, sondern die Wirksamkeit desselben, dessen Natur sie gleichsam vollendet (als energeia, l.c. VI, 2, 6).
Die Scholastiker bestimmen das Wesen der Bewegung in der Weise des Aristoteles. AVICENNA: »Motus est exitus de potentia ad actum in tempore continuo, non subito« (bei ALBERTUS, Sum. th. I, 73, 2). ALBERTUS MAGNUS bestimmt ganz allgemein: »Moveri est aliter se habere quam prius« (Sum. th. I, 74, 1). Das prôton kinoun übersetzt er mit »motor primus« (l.c. I, 18, 1). THOMAS nennt die Bewegung (motus) einen »actus imperfecti« (3 an. 12 a). »Moveri est exire de potentia in actum... movens dat id quod habet mobili, inquantum facit ipsum esse in actu« (Sum. th. I, 75, 1). Es gibt »motus alterationis« (= »m. secundum qualitatem«), »m. augmenti et decrementi«, »m. secundum locum«, »m. appetitus«, »m. affectus« (Contr. gent. III, 151), »m. animalis oder sensualis«, »m. intellectualis oder rationis«, »m. naturalis«, »m. animi«, »m. voluntatis« (Sum. th. I, 81, 1 C; Contr. gent. III, 23; Sum. th. I, II, 17, 9, I, II, 22, 2 C.). SUAREZ bestimmt die Bewegung als Weg und Fließen (Disp. met. 49, 4).