3. Die Idee des Schönen
Sagten wir nun, die Schönheit sei Idee, so ist Schönheit und Wahrheit einerseits dasselbe. Das Schöne nämlich muß wahr an sich selbst sein. Näher aber unterscheidet sich ebensosehr das Wahre von dem Schönen. Wahr nämlich ist die Idee, wie sie als Idee ihrem Ansich und allgemeinen Prinzip nach ist und als solches gedacht wird. Dann ist nicht ihre sinnliche und äußere Existenz, sondern in dieser nur die allgemeine Idee für das Denken. Doch die Idee soll sich auch äußerlich realisieren und bestimmte vorhandene Existenz als natürliche und geistige Objektivität gewinnen. Das Wahre, das als solches ist, existiert auch. Indem es nun in diesem seinem äußerlichen Dasein unmittelbar für das Bewußtsein ist und der Begriff unmittelbar in Einheit bleibt mit seiner äußeren Erscheinung, ist die Idee nicht nur wahr, sondern schön. Das Schöne bestimmt sich dadurch als das sinnliche Scheinen der Idee. Denn das Sinnliche und Objektive überhaupt bewahrt in der Schönheit keine Selbständigkeit in sich, sondern hat die Unmittelbarkeit seines Seins aufzugeben, da dies Sein nur Dasein und Objektivität des Begriffs und als eine Realität gesetzt ist, die den Begriff als in Einheit mit seiner Objektivität und deshalb in diesem objektiven Dasein, das nur als Scheinen des Begriffs gilt, die Idee selber zur Darstellung bringt.
a) Aus diesem Grunde ist es denn auch für den Verstand nicht möglich, die Schönheit zu erfassen, weil der Verstand, statt zu jener Einheit durchzudringen, stets deren Unterschiede nur in selbständiger Trennung festhält, insofern ja die Realität etwas ganz anderes als die Idealität, das Sinnliche etwas ganz anderes als der Begriff, das Objektive etwas ganz anderes als das Subjektive sei und solche Gegensätze nicht vereinigt werden dürften. So bleibt der Verstand stets im Endlichen, Einseitigen und Unwahren stehen. Das Schöne dagegen ist in sich selber unendlich und frei. Denn wenn es auch von besonderem und dadurch wieder beschränktem Inhalt sein kann, so muß dieser doch als in sich unendliche Totalität und als Freiheit in seinem Dasein erscheinen, indem das Schöne durchweg der Begriff ist, der nicht seiner Objektivität gegenübertritt und sich dadurch in den Gegensatz einseitiger Endlichkeit und Abstraktion gegen dieselbe bringt, sondern sich mit seiner Gegenständlichkeit zusammenschließt und durch diese immanente Einheit und Vollendung in sich unendlich ist. In gleicher Weise ist der Begriff, indem er innerhalb seines realen Daseins dasselbe beseelt, dadurch in dieser Objektivität frei bei sich selber. Denn der Begriff erlaubt es der äußeren Existenz in dem Schönen nicht, für sich selber eigenen Gesetzen zu folgen, sondern bestimmt aus sich seine erscheinende Gliederung und Gestalt, die als Zusammenstimmung des Begriffs mit sich selber in seinem Dasein eben das Wesen des Schönen ausmacht. Das Band aber und die Macht des Zusammenhaltes ist die Subjektivität, Einheit, Seele, Individualität.
b) Daher ist das Schöne, wenn wir es in Beziehung auf den subjektiven Geist betrachten, weder für die in ihrer Endlichkeit beharrende unfreie Intelligenz noch für die Endlichkeit des Wollens.
Als endliche Intelligenz empfinden wir die inneren und äußeren Gegenstände, beobachten sie, nehmen sie sinnlich wahr, lassen sie an unsere Anschauung, Vorstellung, ja selbst an die Abstraktionen unseres denkenden Verstandes kommen, der ihnen die abstrakte Form der Allgemeinheit gibt. Hierbei liegt nun die Endlichkeit und Unfreiheit darin, daß die Dinge als selbständig vorausgesetzt sind. Wir richten uns deshalb nach den Dingen, wir lassen sie gewähren und nehmen unsere Vorstellung usf. unter den Glauben an die Dinge gefangen, indem wir überzeugt sind, die Objekte nur richtig aufzufassen, wenn wir uns passiv verhalten und unsere ganze Tätigkeit auf das Formelle der Aufmerksamkeit und des negativen Abhaltens unserer Einbildungen, vorgefaßten Meinungen und Vorurteile beschränken. Mit dieser einseitigen Freiheit der Gegenstände ist unmittelbar die Unfreiheit der subjektiven Auffassung gesetzt. Denn für diese ist der Inhalt gegeben, und an die Stelle subjektiver Selbstbestimmung tritt das bloße Empfangen und Aufnehmen des Vorhandenen, wie es als Objektivität vorhanden ist. Die Wahrheit soll nur durch die Unterwerfung der Subjektivität zu erlangen sein.
Dasselbe findet, wenn auch in umgekehrter Weise, beim endlichen Wollen statt. Hier liegen die Interessen, Zwecke und Absichten im Subjekt, das dieselben gegen das Sein und die Eigenschaften der Dinge geltend machen will. Denn es kann seine Beschlüsse nur ausführen, insofern es die Objekte vernichtet oder sie doch verändert, verarbeitet, formiert, ihre Qualitäten aufhebt oder sie aufeinander einwirken läßt, Wasser z. B. auf Feuer, Feuer auf Eisen, Eisen auf Holz usf. Jetzt sind es also die Dinge, welchen ihre Selbständigkeit genommen wird, indem das Subjekt sie in seinen Dienst bringt und sie als nützlich betrachtet und behandelt, d. h. als Gegenstände, die ihren Begriff und Zweck nicht in sich, sondern im Subjekt haben, so daß ihre, und zwar dienende Beziehung auf die subjektiven Zwecke ihr eigentliches Wesen ausmacht. Subjekt und Objekt haben wechselweise ihre Rollen getauscht. Die Gegenstände sind unfrei, die Subjekte frei geworden.
In der Tat aber sind in beiden Verhältnissen beide Seiten endlich und einseitig und ihre Freiheit eine bloß gemeinte Freiheit.
Das Subjekt ist im Theoretischen endlich und unfrei durch die Dinge, deren Selbständigkeit vorausgesetzt ist; im Praktischen durch die Einseitigkeit, den Kampf und inneren Widerspruch der Zwecke und der von außen her erregten Triebe und Leidenschaften sowie durch den niemals ganz beseitigten Widerstand der Objekte. Denn die Trennung und der Gegensatz beider Seiten, der Gegenstände und der Subjektivität, macht die Voraussetzung in diesem Verhältnisse aus und wird als der wahre Begriff desselben angesehen.
Gleiche Endlichkeit und Unfreiheit trifft das Objekt in beiden Verhältnissen. Im Theoretischen ist seine Selbständigkeit, obschon sie vorausgesetzt wird, nur eine scheinbare Freiheit. Denn die Objektivität als solche ist nur, ohne daß ihr Begriff als subjektive Einheit und Allgemeinheit innerhalb ihrer für sie wäre. Er ist außerhalb ihrer. Jedes Objekt in dieser Äußerlichkeit des Begriffs existiert deshalb als bloße Besonderheit, die mit ihrer Mannigfaltigkeit nach außen gekehrt ist und in unendlichseitigen Verhältnissen dem Entstehen, Verändern, der Gewalt und dem Untergange durch andere preisgegeben erscheint. Im praktischen Verhältnis wird diese Abhängigkeit als solche ausdrücklich gesetzt, und der Widerstand der Dinge gegen den Willen bleibt relativ, ohne die Macht letztlicher Selbständigkeit in sich zu haben.
c) Die Betrachtung nun aber und das Dasein der Objekte als schöner ist die Vereinigung beider Gesichtspunkte, indem sie die Einseitigkeit beider in betreff des Subjekts wie seines Gegenstandes und dadurch die Endlichkeit und Unfreiheit derselben aufhebt.
Denn von seiten der theoretischen Beziehung her wird das Objekt nicht bloß als seiender einzelner Gegenstand genommen, welcher deshalb seinen subjektiven Begriff außerhalb seiner Objektivität hat und in seiner besonderen Realität sich mannigfaltig nach den verschiedensten Richtungen hin zu äußeren Verhältnissen verläuft und zerstreut, sondern der schöne Gegenstand läßt in seiner Existenz seinen eigenen Begriff als realisiert erscheinen und zeigt an ihm selbst die subjektive Einheit und Lebendigkeit. Dadurch hat das Objekt die Richtung nach außen in sich zurückgebogen, die Abhängigkeit von anderem getilgt und für die Betrachtung seine unfreie Endlichkeit zu freier Unendlichkeit verwandelt.
Das Ich aber in der Beziehung auf das Objekt hört gleichfalls auf, nur die Abstraktion des Aufmerkens, sinnlichen Anschauens, Beobachtens und des Auflösens der einzelnen Anschauungen und Beobachtungen in abstrakte Gedanken zu sein. Es wird in sich selbst in diesem Objekte konkret, indem es die Einheit des Begriffs und der Realität, die Vereinigung der bisher in Ich und Gegenstand getrennten und deshalb abstrakten Seiten in ihrer Konkretion selber für sich macht.
In betreff des praktischen Verhältnisses tritt, wie wir oben bereits weitläufiger sahen, bei Betrachtung des Schönen gleichfalls die Begierde zurück; das Subjekt hebt seine Zwecke gegen das Objekt auf und betrachtet dasselbe als selbständig in sich, als Selbstzweck. Dadurch löst sich die bloß endliche Beziehung des Gegenstandes auf, in welcher derselbe äußerlichen Zwecken als nützliches Ausführungsmittel diente und gegen die Ausführung derselben entweder unfrei sich wehrte oder den fremden Zweck in sich aufzunehmen gezwungen ward. Zugleich ist auch das unfreie Verhältnis des praktischen Subjekts verschwunden, da es sich nicht mehr in subjektiven Absichten usf. und deren Material und Mittel unterscheidet und in der endlichen Relation des bloßen Sollens bei Ausführung subjektiver Absichten stehenbleibt, sondern den vollendet realisierten Begriff und Zweck vor sich hat.
Deshalb ist die Betrachtung des Schönen liberaler Art, ein Gewährenlassen der Gegenstände als in sich freier und unendlicher, kein Besitzenwollen und Benutzen derselben als nützlich zu endlichen Bedürfnissen und Absichten, so daß auch das Objekt als Schönes weder von uns gedrängt und gezwungen erscheint, noch von den übrigen Außendingen bekämpft und überwunden.
Denn dem Wesen des Schönen nach muß in dem schönen Objekt sowohl der Begriff, der Zweck und die Seele desselben wie seine äußere Bestimmtheit, Mannigfaltigkeit und Realität überhaupt als aus sich selbst und nicht durch andere bewirkt erscheinen, indem es, wie wir sahen, nur als immanente Einheit und Übereinstimmung des bestimmten Daseins und echten Wesens und Begriffs Wahrheit hat. Da nun ferner der Begriff selbst das Konkrete ist, so erscheint auch seine Realität schlechthin als ein vollständiges Gebilde, dessen einzelne Teile sich ebensosehr als in ideeller Beseelung und Einheit zeigen. Denn das Zusammenstimmen von Begriff und Erscheinung ist vollendete Durchdringung. Deshalb bleibt die äußere Form und Gestalt nicht von dem äußeren Stoff getrennt oder demselben mechanisch zu sonstigen anderen Zwecken aufgedrückt, sondern sie erscheint als die der Realität ihrem Begriff nach innewohnende und sich herausgestaltende Form. Endlich aber, wie sehr die besonderen Seiten, Teile, Glieder des schönen Objekts auch zu ideeller Einheit zusammenstimmen und diese Einheit erscheinen lassen, so muß doch die Übereinstimmung nur so an ihnen sichtbar werden, daß sie gegeneinander den Schein selbständiger Freiheit bewahren; d. h. sie müssen nicht wie im Begriff als solchem eine nur ideelle Einheit haben, sondern auch die Seite selbständiger Realität herauskehren. Beides muß im schönen Objekte vorhanden sein: die durch den Begriff gesetzte Notwendigkeit im Zusammengehören der besonderen Seiten und der Schein ihrer Freiheit als für sich und nicht nur für die Einheit hervorgegangener Teile. Notwendigkeit als solche ist die Beziehung von Seiten, die ihrem Wesen nach so aneinandergekettet sind, daß mit der einen unmittelbar die andere gesetzt ist. Solche Notwendigkeit darf zwar in den schönen Objekten nicht fehlen, aber sie darf nicht in Form der Notwendigkeit selber hervortreten, sondern muß sich hinter dem Schein absichtsloser Zufälligkeit verbergen. Denn sonst verlieren die besonderen realen Teile die Stellung, auch ihrer eigenen Wirklichkeit wegen dazusein, und erscheinen nur im Dienst ihrer ideellen Einheit, der sie abstrakt unterworfen bleiben.
Durch diese Freiheit und Unendlichkeit, welche der Begriff des Schönen wie die schöne Objektivität und deren subjektive Betrachtung in sich trägt, ist das Gebiet des Schönen der Relativität endlicher Verhältnisse entrissen und in das absolute Reich der Idee und ihrer Wahrheit emporgetragen.