c. Die Kollision
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Alle bisher betrachteten Situationen sind, wie schon ist berührt worden, weder selber Handlungen noch überhaupt Veranlassungen zum eigentlichen Handeln. Ihre Bestimmtheit bleibt mehr oder weniger der bloß gelegentliche Zustand oder ein für sich unbedeutendes Tun, in welchem ein substantieller Gehalt sich in der Weise ausdrückt, daß die Bestimmtheit sich nun als ein harmloses Spiel ergibt, mit dem es nicht wahrhafter Ernst sein kann. Der Ernst und die Wichtigkeit der Situation in ihrer Besonderung vermag erst da zu beginnen, wo die Bestimmtheit sich als wesentliche Differenz hervortut und als im Gegensatze gegen anderes eine Kollision begründet.
Die Kollision hat in dieser Rücksicht ihren Grund in einer Verletzung, welche nicht als Verletzung bleiben kann, sondern aufgehoben werden muß; sie ist eine Veränderung des ohne sie harmonischen Zustandes, welche selbst wieder zu verändern ist. Dennoch ist auch die Kollision noch keine Handlung, sondern enthält nur die Anfänge und Voraussetzungen zu einer Handlung und bewahrt dadurch, als bloßer Anlaß, den Charakter der Situation. Obschon auch der Gegensatz, zu dem die Kollision aufgeschlossen ist, das Resultat einer früheren Handlung sein kann.
Wie z. B. die Trilogien der Alten Fortsetzungen in dem Sinne sind, daß aus dem Ende des einen dramatischen Werks die Kollision für ein zweites hervorgeht, das wieder in einem dritten seine Lösung fordert. - Indem nun die Kollision überhaupt einer Auflösung bedarf, welche dem Kampfe von Gegensätzen folgt, so ist die kollisionsvolle Situation vornehmlich der Gegenstand der dramatischen Kunst, der es vergönnt ist, das Schöne in seiner vollständigsten und tiefsten Entwicklung darzustellen, während die Skulptur z. B. eine Handlung, durch welche die großen geistigen Mächte in ihrem Zwiespalt und ihrer Versöhnung zum Vorschein kommen, nicht vollständig zu gestalten imstande ist, da selbst die Malerei, ihres breiteren Spielraums ungeachtet, nur immer ein Moment der Handlung vor Augen bringen kann.
Diese ernsthaften Situationen führen jedoch eine eigentümliche Schwierigkeit mit sich, die schon in ihrem Begriffe liegt. Sie beruhen auf Verletzungen und treiben Verhältnisse hervor, die nicht fortbestehen können, sondern eine umgestaltende Abhilfe notwendig machen. Nun liegt aber die Schönheit des Ideals gerade in seiner ungetrübten Einigkeit, Ruhe und Vollendung in sich selbst. Die Kollision stört diese Harmonie und setzt das in sich einige Ideal in Dissonanz und Gegensatz. Durch die Darstellung solcher Verletzung wird daher das Ideal selber verletzt, und die Aufgabe der Kunst kann hier nur darin liegen, daß sie einerseits in dieser Differenz dennoch die freie Schönheit nicht untergehen läßt und andererseits die Entzweiung und deren Kampf nur vorüberführt, damit sich aus ihr durch Lösung der Konflikte die Harmonie als Resultat ergebe und in dieser Weise erst in ihrer vollständigen Wesentlichkeit hervorsteche. Bis zu welcher Grenze jedoch die Dissonanz darf fortgetrieben werden, darüber lassen sich keine allgemeinen Bestimmungen feststellen, weil jede besondere Kunst in dieser Beziehung ihrem eigentümlichen Charakter folgt. Die innere Vorstellung z. B. kann in Zerrissenheit weit mehr ertragen als die unmittelbare Anschauung. Die Poesie hat deshalb das Recht, nach innen fast bis zur äußersten Qual der Verzweiflung und im Äußeren bis zur Häßlichkeit als solcher fortzugehen. In den bildenden Künsten aber, in der Malerei und mehr noch in der Skulptur, steht die Außengestalt fest und bleibend da, ohne wieder aufgehoben zu werden und wie die Töne der Musik flüchtig gleich wieder zu verschwinden. Hier würde es ein Verstoß sein, das Häßliche, wenn es keine Auflösung findet, für sich festzuhalten. Den bildenden Künsten ist deshalb nicht alles das erlaubt, was der dramatischen Poesie sehr wohl kann gestattet werden, da sie es nur augenblicklich erscheinen und sich wieder entfernen läßt.
Für die näheren Arten der Kollision sind an dieser Stelle nur wieder die allgemeinsten Gesichtspunkte anzugeben. Wir müssen in dieser Rücksicht drei Hauptseiten betrachten: erstens Kollisionen, welche aus rein physischen, natürlichen Zuständen hervorgehen, insofern diese selbst etwas Negatives, Übles und dadurch Störendes sind;
zweitens geistige Kollisionen, welche auf Naturgrundlagen beruhen, die, obschon in sich selbst positiv, dennoch für den Geist die Möglichkeit von Differenzen und Gegensätzen in sich tragen; drittens Zwiespälte, die in geistigen Differenzen ihren Grund finden und erst als die wahrhaft interessanten Gegensätze aufzutreten berechtigt sind, insofern sie aus der eigenen Tat des Menschen hervorgehen.
α) Was die Konflikte der ersten Art betrifft, so können sie nur als bloßer Anlaß gelten, indem hier nur die äußere Natur mit ihren Krankheiten und sonstigen Übeln und Gebrechlichkeiten Umstände herbeiführt, welche die sonstige Harmonie des Lebens stören und Differenzen zur Folge haben. An und für sich sind solche Kollisionen von keinem Interesse und werden in die Kunst nur der Zwiespälte wegen aufgenommen, welche sich aus einem Naturunglück als Folge entwickeln können. So ist z. B. in der Alkestis des Euripides, welche auch für die Glucksche Alceste den Stoff hergegeben hat, die Krankheit des Admet die Voraussetzung. Die Krankheit als solche wäre kein Gegenstand für echte Kunst und wird es auch bei Euripides nur durch die Individuen, für welche aus diesem Unglück sich eine weitere Kollision herleitet. Das Orakel verkündigt, Admet müsse sterben, wenn sich nicht ein anderer für ihn der Unterwelt weiht. Alkestis unterzieht sich diesem Opfer und beschließt zu sterben, um den Tod von dem Gatten, dem Vater ihrer Kinder, dem Könige abzuhalten. Auch im Philoktet des Sophokles begründet ein physisches Unheil die Kollision. Die Griechen setzen den Leidenden der Fußwunde wegen, welche ihm der Biß einer Schlange zu Chrysa zugezogen hatte, auf der Fahrt gegen Troja auf Lemnos aus. Hier ist das physische Unglück gleichfalls nur der äußerste Anknüpfungspunkt und Anlaß einer weiteren Kollision. Denn der Weissagung nach soll Troja nur fallen, wenn die Pfeile des Herkules in den Händen der Anstürmenden sind. Philoktet weigert sich, sie herzugeben, weil er neun Jahre hindurch das Unrecht der Aussetzung qualvoll hat erdulden müssen. Diese Weigerung nun wie das Unrecht der Aussetzung, aus dem sie entspringt, hätte noch auf mannigfach andere Weise herbeigeführt werden können, und das eigentliche Interesse liegt nicht in der Krankheit und ihrer physischen Not, sondern in dem Gegensatz, welcher durch Philoktets Entschluß, die Pfeile nicht preiszugeben, hervorkommt. - In ähnlicher Weise verhält es sich mit der Pest im Lager der Griechen, welche außerdem für sich schon als eine Folge früherer Verletzungen, als Strafe dargestellt ist, wie es denn überhaupt der epischen Poesie mehr zusteht als der dramatischen, ihre Störungen und Hemmnisse durch ein Naturunglück, Sturm, Schiffbruch, Dürre usf., herbeizuführen. Im allgemeinen aber stellt die Kunst ein solches Unheil nicht als bloße Zufälligkeit dar, sondern als ein Hindernis und Unglück, dessen Notwendigkeit nur gerade diese Gestalt statt einer anderen annimmt.
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