3. Die Äußerlichkeit des idealen Kunstwerks im Verhältnis zum Publikum
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Die Kunst als Darstellung des Ideals muß dasselbe in allen den bisher genannten Beziehungen zur äußeren Wirklichkeit in sich aufnehmen und die innere Subjektivität des Charakters mit dem Äußeren zusammenschließen. Wie sehr es nun aber auch eine in sich übereinstimmende und abgerundete Welt bilden mag, so ist das Kunstwerk selbst doch als wirkliches, vereinzeltes Objekt nicht für sich, sondern für uns, für ein Publikum, welches das Kunstwerk anschaut und es genießt. Die Schauspieler z. B. bei Aufführung eines Dramas sprechen nicht nur untereinander, sondern mit uns, und nach beiden Seiten hin sollen sie verständlich sein. Und so ist jedes Kunstwerk ein Zwiegespräch mit jedem, welcher davorsteht. Nun ist zwar das wahrhafte Ideal in den allgemeinen Interessen und Leidenschaften seiner Götter und Menschen für jeden verständlich; indem es seine Individuen jedoch innerhalb einer bestimmten äußerlichen Welt der Sitten, Gebräuche und sonstiger Partikularitäten zur Anschauung bringt, tritt dadurch die neue Forderung hervor, daß diese Äußerlichkeit nicht nur mit den dargestellten Charakteren, sondern ebensosehr auch mit uns in Übereinstimmung trete. Wie die Charaktere des Kunstwerks in ihrer Außenwelt zu Hause sind, verlangen auch wir für uns die gleiche Harmonie mit ihnen und ihrer Umgebung. Aus welcher Zeit nun aber ein Kunstwerk sei, es trägt immer Partikularitäten an sich, die es von den Eigentümlichkeiten anderer Völker und Jahrhunderte abscheiden. Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker wählen vornehmlich Stoffe aus vergangenen Zeiten, deren Bildung, Sitten, Gebräuche, Verfassung, Kultus verschieden ist von der gesamten Bildung ihrer eigenen Gegenwart. Ein solches Zurückschreiten in die Vergangenheit hat, wie bereits früher bemerkt ist, den großen Vorteil, daß dies Hinausrücken aus der Unmittelbarkeit und Gegenwart durch die Erinnerung von selber schon jene Verallgemeinerung des Stoffs zuwege bringt, deren die Kunst nicht entbehren kann. Der Künstler jedoch gehört seiner eigenen Zeit an, lebt in ihren Gewohnheiten, Anschauungsweisen und Vorstellungen. Die Homerischen Gedichte z. B., mag nun Homer wirklich als dieser eine Dichter der Ilias und Odyssee gelebt haben oder nicht, sind doch wenigstens durch vier Jahrhunderte von der Zeit des Trojanischen Krieges geschieden, und ein doppelt größerer Zeitraum noch scheidet die großen griechischen Tragiker von den Tagen der alten Heroen, aus welchen sie den Inhalt ihrer Poesie in ihre Gegenwart herüberversetzen. Ähnlich ist es mit dem Nibelungenliede und dem Dichter, welcher die verschiedenen Sagen, die dies Gedicht enthält, zu einem organischen Ganzen zusammenzuschließen vermochte.
Nun ist der Künstler wohl in dem allgemeinen Pathos des Menschlichen und Göttlichen ganz zu Hause, aber die vielfach bedingende Außengestalt der alten Zeit selber, deren Charaktere und Handlungen er vorführt, haben sich wesentlich geändert und sind ihm fremd geworden. Ferner schafft der Dichter für ein Publikum und zunächst für sein Volk und seine Zeit, welche fordern darf, das Kunstwerk zu verstehen und darin heimisch zu werden. Die echten, unsterblichen Kunstwerke zwar bleiben allen Zeiten und Nationen genießbar, aber auch dann gehört zu ihrem durchgängigen Verständnis für fremde Völker und Jahrhunderte ein breiter Apparat geographischer, historischer, ja selbst philosophischer Notizen, Kenntnisse und Erkenntnisse.
Bei dieser Kollision nun unterschiedener Zeiten fragt es sich wie ein Kunstwerk in betreff auf die Außenseiten des Lokals, der Gewohnheiten, Gebräuche, religiösen, politischen, sozialen, sittlichen Zustände gestaltet sein müsse; ob nämlich der Künstler seine eigene Zeit vergessen und nur die Vergangenheit und deren wirkliches Dasein im Auge behalten solle, so daß sein Werk ein treues Gemälde des Vergangenen wird, oder ob er nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sei, nur seine Nation und Gegenwart überhaupt zu berücksichtigen und sein Werk nach Ansichten zu bearbeiten, welche mit der Partikularität seiner Zeit zusammenhängen. Man kann diese entgegengesetzte Forderung so ausdrücken: der Stoff solle entweder objektiv seinem Inhalt und dessen Zeit gemäß oder er solle subjektiv behandelt, d. h. ganz der Bildung und Gewohnheit der Gegenwart angeeignet werden. Die eine wie die andere Seite, in ihrem Gegensatze festgehalten, führt auf ein gleich falsches Extrem, das wir kurz berühren wollen, um uns daraus die echte Darstellungsweise ermitteln zu können.
Wir haben deshalb in dieser Beziehung drei Gesichtspunkte durchzunehmen: erstens das subjektive Geltendmachen der eigenen Zeitbildung, zweitens die bloß objektive Treue in betreff auf die Vergangenheit, drittens die wahrhafte Objektivität in der Darstellung und Aneignung fremder, der Zeit und Nationalität nach entlegener Stoffe.
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