3. Die Äußerlichkeit des idealen Kunstwerks im Verhältnis zum Publikum
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γγ) Hiermit sind wir zu der wahren Aneignungsweise des Fremdartigen und Äußeren einer Zeit und zur wahren Objektivität des Kunstwerks durchgedrungen. Das Kunstwerk muß uns die höheren Interessen des Geistes und Willens, das in sich selber Menschliche und Mächtige, die wahren Tiefen des Gemüts aufschließen; und daß dieser Gehalt durch alle Äußerlichkeiten der Erscheinung durchblicke und mit seinem Grundton durch all das anderweitige Getreibe hindurchklinge, das ist die Hauptsache, um welche es sich wesentlich handelt. Die wahre Objektivität enthüllt uns also das Pathos, den substantiellen Gehalt einer Situation und die reiche, mächtige Individualität, in welcher die substantiellen Momente des Geistes lebendig sind und zur Realität und Äußerung gebracht werden. Für solchen Gehalt ist dann nur überhaupt eine anpassende, für sich selber verständliche Umgrenzung und bestimmte Wirklichkeit zu fordern. Ist solch ein Gehalt gefunden und im Prinzip des Ideals entfaltet, so ist ein Kunstwerk an und für sich objektiv, sei nun auch das äußerlich Einzelne historisch richtig oder nicht. Dann spricht auch das Kunstwerk an unsere wahre Subjektivität und wird zu unserem Eigentum. Denn mag dann auch der Stoff seiner näheren Gestalt nach aus längst entflohenen Zeiten genommen sein, die bleibende Grundlage ist das Menschliche des Geistes, welches das wahrhaft Bleibende und Mächtige überhaupt ist und seine Wirkung nicht verfehlen kann, da diese Objektivität auch den Gehalt und die Erfüllung unseres eigenen Innern ausmacht. Das bloß historisch Äußere dagegen ist die vergängliche Seite, und mit dieser müssen wir uns bei fernliegenden Kunstwerken zu versöhnen suchen und selbst bei Kunstwerken der eigenen Zeit darüber wegzusehen wissen. So sind die Psalmen Davids mit ihrer glänzenden Feier des Herrn in der Güte und dem Zorn seiner Allmacht sowie der tiefe Schmerz der Propheten trotz Babylon und Zion uns noch heute passend und gegenwärtig, und selbst eine Moral, wie Sarastro sie in der Zauberflöte singt, wird sich jeder zusamt den Ägyptern bei dem inneren Kern und Geiste ihrer Melodien gefallen lassen.
Solcher Objektivität eines Kunstwerks gegenüber muß deshalb nun auch das Subjekt die falsche Forderung aufgeben, sich selbst mit seinen bloß subjektiven Partikularitäten und Eigenheiten vor sich haben zu wollen. Als Wilhelm Tell zum erstenmal in Weimar aufgeführt wurde, war kein Schweizer damit zufrieden. In ähnlicher Weise sucht mancher auch in den schönsten Gesängen der Liebe vergebens seine eigenen Empfindungen und erklärt deshalb die Darstellung für ebenso falsch, als andere, welche die Liebe nur aus Romanen kennen, nun in der Wirklichkeit nicht eher verliebt zu sein meinen, ehe sie nicht in sich und um sich her ganz dieselben Gefühle und Situationen wiederfinden.
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