c. Die Kollision
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In der näheren Würdigung nun solch einer Kollision sind die wesentlichen Seiten diese:
Erstens muß das Individuum mit seinen geistigen Qualitäten die Naturschranke, deren Macht seinen Wünschen und Zwecken weichen soll, bereits wirklich überstiegen haben, sonst wird seine Forderung ebensosehr wieder eine Torheit. Wenn z. B. ein Bedienter, der nur die Bildung und Geschicklichkeit eines Bedienten hat, sich in eine Prinzessin oder vornehme Frau verliebt, oder diese in ihn, so ist solche Liebschaft nur absurd und abgeschmackt, wenn die Darstellung dieser Leidenschaftlichkeit auch mit aller Tiefe und dem vollen Interesse des glühenden Herzens umgeben wird. Denn hier ist es dann nicht der Unterschied der Geburt, welcher das eigentlich Trennende ausmacht, sondern der ganze Kreis der höheren Interessen, der erweiterten Bildung, Lebenszwecke und Empfindungsweisen, welche eine in Stand, Vermögen und Geselligkeit hochgestellte Frau von einem Bedienten abscheidet. Die Liebe, wenn sie den einzigen Punkt der Vereinigung bildet und in sich nicht auch den übrigen Umfang dessen aufnimmt, was der Mensch seiner geistigen Bildung und den Verhältnissen seines Standes nach zu durchleben hat, bleibt leer, abstrakt und betrifft nur die Seite der Sinnlichkeit. Um voll und ganz zu sein, müßte sie mit dem gesamten sonstigen Bewußtsein, dem vollen Adel der Gesinnung und der Interessen zusammenhängen.
Der zweite Fall, der hierher gehört, besteht nun darin, daß der in sich freien Geistigkeit und ihren berechtigten Zwecken die Abhängigkeit der Geburt als eine gesetzlich hemmende Fessel angelegt ist. Auch diese Kollision hat etwas Unästhetisches in sich, das dem Begriff des Ideals widerspricht, wie beliebt sie auch sein mag und wie leicht es sich ihrer zu bedienen einfallen kann. Sind nämlich die Unterschiede der Geburt durch positive Gesetze und deren Gültigkeit zu einem festen Unrecht geworden, wie z. B. die Geburt als Paria, Jude usf., so ist es einerseits die ganz richtige Ansicht, daß der Mensch in der sich gegen solch ein Hindernis empörenden Freiheit seines Innern sie für auflösbar hält und sich als frei davon erkennt. Sie zu bekämpfen erscheint deshalb als eine absolute Berechtigung. Insofern nun durch die Macht der bestehenden Zustände dergleichen Schranken unübersteigbar werden und sich zu einer unbesiegbaren Notwendigkeit verfestigen, so kann dies nur eine Situation des Unglücks und des in sich selber Falschen geben. Denn dem Notwendigen muß sich der vernünftige Mensch, insofern er die Kraft desselben zu beugen nicht die Mittel hat, unterwerfen, d. h. er muß nicht dagegen reagieren, sondern das Unvermeidliche ruhig über sich ergehen lassen; er muß das Interesse und Bedürfnis, welches an solcher Schranke zugrunde geht, aufgeben und so das Unüberwindliche mit dem stillen Mut der Passivität und Duldung ertragen. Wo ein Kampf nichts hilft, besteht das Vernünftige darin, dem Kampfe aus dem Wege zu gehen, um sich wenigstens in die formelle Selbständigkeit der subjektiven Freiheit zurückziehen zu können. Dann hat die Macht des Unrechts keine Macht mehr über ihn, während er sogleich seine ganze Abhängigkeit erfährt, wenn er sich ihr entgegenstellt. Doch weder diese Abstraktion einer rein formellen Selbständigkeit noch jenes resultatlose Abkämpfen ist wahrhaft schön.
Ebenso entfernt sich ein dritter Fall, der mit dem zweiten unmittelbar zusammenhängt, von dem echten Ideal. Er besteht darin, daß Individuen, denen die Geburt ein zwar durch religiöse Vorschriften, positive Staatsgesetze, gesellschaftliche Zustände gültiges Vorrecht zugeteilt hat, dies Vorrecht behaupten und geltend machen wollen. Dann nämlich ist zwar die Selbständigkeit der positiven äußeren Wirklichkeit nach vorhanden, aber sie ist als das Bestehen des in sich selbst Unberechtigten und Unvernünftigen eine falsche, ebenso rein formelle Selbständigkeit, und der Begriff des Ideals ist verschwunden. Man könnte allerdings glauben, das Ideale sei erhalten, insofern ja die Subjektivität mit dem Allgemeinen und Gesetzlichen Hand in Hand gehe und mit demselben in konsistenter Einheit bleibe; einerseits jedoch hat in diesem Falle das Allgemeine seine Kraft und Macht nicht in diesem Individuum, wie das Ideal des Heroischen es erfordert, sondern nur in der öffentlichen Autorität der positiven Gesetze und ihrer Handhabung; andererseits behauptet das Individuum nur ein Unrecht, und es geht ihm daher diejenige Substantialität ab, welche gleichfalls, wie wir sahen, im Begriffe des Ideals liegt. Die Sache des idealen Subjekts muß in sich selber wahr und berechtigt sein. Hierher gehört z. B. die gesetzliche Herrschaft über Sklaven, Leibeigne, das Recht, Fremde ihrer Freiheit zu berauben oder den Göttern zu opfern usf. - Ein solches Recht kann freilich von Individuen unbefangen in dem Glauben, ihr gutes Recht zu verteidigen, durchgeführt werden, wie in Indien z. B. die höheren Kasten sich ihrer Vorrechte bedienen oder wie Thoas den Orestes zu opfern befiehlt oder in Rußland die Herren über ihre Leibeigenen schalten; ja diejenigen, welche an der Spitze stehen, können dergleichen Rechte aus dem Interesse für dieselben als Rechte und Gesetze durchsetzen wollen. Dann aber ist ihr Recht nur ein rechtloses Recht der Barbarei, und sie selber erscheinen für uns wenigstens als Barbaren, welche das an und für sich Unrechte beschließen und vollbringen. Die Gesetzlichkeit, worauf das Subjekt sich stützt, ist für seine Zeit und deren Geist und Standpunkt der Bildung wohl zu respektieren und zu rechtfertigen, aber für uns ist sie durch und durch positiv und ohne Gültigkeit und Macht. Benutzt das bevorrechtigte Individuum nun gar sein Recht nur zu seinen Privatzwecken, aus partikulärer Leidenschaft und aus Absichten der Eigenliebe, so haben wir neben der Barbarei noch außerdem einen schlechten Charakter vor uns.
Man hat durch dergleichen Konflikte häufig das Mitleiden und auch wohl Furcht erwecken wollen - nach dem Gesetze des Aristoteles, welcher Furcht und Mitleid als Zweck der Tragödie feststellt; aber wir hegen weder Furcht noch Ehrfurcht vor der Macht solcher aus der Barbarei und dem Unglück der Zeiten hervorgegangenen Rechte, und das Mitleid, das wir empfinden könnten, verwandelt sich sogleich in Widerwillen und Empörung.
Der einzig wahre Ausgang solch eines Konfliktes kann deshalb auch nur darin bestehen, daß sich dergleichen falsche Rechte nicht durchsetzen, wie z. B. weder Iphigenie noch Orestes in Aulis und Tauris geopfert wird.
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