1. Die schöne Individualität
c) In dieser Zurückführung nun des äußerlichen Daseins ins Geistige, so daß die äußere Erscheinung als dem Geiste gemäß die Enthüllung desselben wird, ist die Natur des Kunstideals zu suchen. Es ist dies jedoch eine Zurückführung ins Innere, die zugleich nicht bis zum Allgemeinen in abstrakter Form, bis zum Extrem des Gedankens fortgeht, sondern in dem Mittelpunkte stehenbleibt, in welchem das nur Äußerliche und nur Innerliche zusammenfallen. Das Ideal ist demnach die Wirklichkeit, zurückgenommen aus der Breite der Einzelheiten und Zufälligkeiten, insofern das Innere in dieser der Allgemeinheit entgegengehobenen Äußerlichkeit selbst als lebendige Individualität erscheint. Denn die individuelle Subjektivität, welche einen substantiellen Gehalt in sich trägt und denselben zugleich an ihr selber äußerlich erscheinen macht, steht in dieser Mitte, in der das Substantielle des Inhalts nicht abstrakt für sich seiner Allgemeinheit nach heraustreten kann, sondern in der Individualität noch eingeschlossen bleibt und dadurch mit einem bestimmten Dasein verschlungen erscheint - welches nun auch seinerseits, von der bloßen Endlichkeit und Bedingtheit losgewunden, mit dem Innern der Seele zu freiem Einklänge zusammengeht. Schiller in seinem Gedichte »Das Ideal und das Leben« spricht der Wirklichkeit und ihren Schmerzen und Kämpfen gegenüber von »der Schönheit stillem Schattenlande«. Ein solches Schattenreich ist das Ideal, es sind die Geister, die in ihm erschienen, abgestorben dem unmittelbaren Dasein, abgeschieden von der Bedürftigkeit der natürlichen Existenz, befreit von den Banden der Abhängigkeit äußerer Einflüsse und aller der Verkehrungen und Verzerrungen, welche mit der Endlichkeit der Erscheinung zusammenhängen. Ebensosehr aber setzt das Ideal seinen Fuß in die Sinnlichkeit und deren Naturgestalt hinein, doch zieht ihn wie das Bereich des Äußeren zugleich zu sich zurück, indem die Kunst den Apparat, dessen die äußere Erscheinung zu ihrer Selbsterhaltung bedarf, zu den Grenzen zurückzuführen weiß, innerhalb welcher das Äußere die Manifestation der geistigen Freiheit sein kann. Dadurch allein steht das Ideal im Äußerlichen mit sich selbst zusammengeschlossen frei auf sich beruhend da, als sinnlich selig in sich, seiner sich freuend und genießend. Der Klang dieser Seligkeit tönt durch die ganze Erscheinung des Ideals fort, denn wie weit sich die Außengestalt auch ausdehnen möge, die Seele des Ideals verliert in ihr nie sich selber. Und nur hierdurch gerade ist es wahrhaft schön, indem das Schöne nur als totale, aber subjektive Einheit ist, weshalb auch das Subjekt des Ideals aus der Zersplitterung sonstiger Individualitäten und ihrer Zwecke und Bestrebungen in sich selber zurück zu einer höheren Totalität und Selbständigkeit gesammelt erscheinen muß.
α) Wir können in dieser Rücksicht die heitere Ruhe und Seligkeit, dies Sichselbstgenügen in der eigenen Beschlossenheit und Befriedigung als den Grundzug des Ideals an die Spitze stellen. Die ideale Kunstgestalt steht wie ein seliger Gott vor uns da. Den seligen Göttern nämlich ist es mit der Not, dem Zorn und Interesse in endlichen Kreisen und Zwecken kein letzter Ernst, und dieses positive Zurückgenommensein in sich bei der Negativität alles Besonderen gibt ihnen den Zug der Heiterkeit und Stille. In diesem Sinne gilt das Wort Schillers: »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.« Zwar ist häufig genug pedantisch hierüber gewitzelt worden, da die Kunst überhaupt und vornehmlich Schillers eigene Poesie von der ernstesten Art sei - wie denn die ideale Kunst auch in der Tat des Ernstes nicht entbehrt -, aber in dem Ernste eben bleibt die Heiterkeit in sich selbst ihr wesentlicher Charakter. Diese Kraft der Individualität, dieser Triumph der in sich konzentrierten konkreten Freiheit ist es, den wir besonders in antiken Kunstwerken in der heiteren Ruhe ihrer Gestalten erkennen. Und dies ist nicht etwa bei kampfloser Befriedigung allein der Fall, sondern dann selbst, wenn ein tiefer Bruch das Subjekt in sich selbst wie dessen ganze Existenz zerrissen hat. Denn wenn die tragischen Heroen z. B. auch so dargestellt sind, daß sie dem Schicksale unterliegen, so zieht sich dennoch das Gemüt, indem es sagt: Es ist so!, in das einfache Beisichsein zurück. Das Subjekt bleibt dann noch immer sich selber getreu; es gibt das auf, was ihm geraubt wird, doch die Zwecke, welche es verfolgte, werden ihm nicht nur genommen, sondern es läßt sie fallen und verliert damit sich selber nicht. Der Mensch, vom Geschick unterjocht, kann sein Leben verlieren, die Freiheit nicht. Dies Beruhen auf sich ist es, welches im Schmerze selbst noch die Heiterkeit der Ruhe zu bewahren und erscheinen zu lassen vermag.
β) In der romantischen Kunst zwar geht die Zerrissenheit und Dissonanz des Inneren weiter, wie in ihr überhaupt die dargestellten Gegensätze sich vertiefen, und deren Entzweiung kann festgehalten werden.
So bleibt z. B. die Malerei in der Darstellung der Leidensgeschichte zuweilen beim Ausdruck des Hohns in den Zügen der peinigenden Kriegsknechte, bei dem scheußlichen Verzerren und Grinsen der Gesichter stehen, und mit diesem Festhalten an der Entzweiung, besonders in Schilderung des Lasterhaften, Sündlichen und Bösen, geht dann die Heiterkeit des Ideals verloren; denn wenn auch die Zerrissenheit nicht in jener Festigkeit bleibt, so tritt doch häufig, obschon nicht jedesmal Häßlichkeit, doch wenigstens Unschönheit an die Stelle. In einem anderen Kreise der älteren niederländischen Malerei zeigt sich wohl in der Rechtschaffenheit und Treue gegen sich selbst, ebenso in dem Glauben und der unerschütterlichen Sicherheit eine Versöhnung des Gemüts in sich, aber bis zur Heiterkeit und Befriedigung des Ideals bringt es diese Festigkeit nicht. Dennoch kann auch in der romantischen Kunst, obgleich das Leiden und der Schmerz in ihr das Gemüt und subjektive Innere tiefer als bei den Alten trifft, eine geistige Innigkeit, eine Freudigkeit in der Ergebung, eine Seligkeit im Schmerz und Wonne im Leiden, ja eine Wollust selbst in der Marter zur Darstellung kommen. Selbst in der italienischen ernst-religiösen Musik durchdringt diese Lust und Verklärung des Schmerzes den Ausdruck der Klage. Dieser Ausdruck ist im Romantischen überhaupt das Lächeln durch Tränen. Die Träne gehört dem Schmerz, das Lächeln der Heiterkeit, und so bezeichnet das Lächeln im Weinen dies Beruhigtsein in sich bei Qual und Leiden. Allerdings darf das Lächeln dann keine bloß sentimentale Rührung, keine Eitelkeit des Subjekts und Schöntuerei mit sich über Miserabilitäten sein und über seine kleinen subjektiven Empfindungen dabei, sondern muß als die Fassung und Freiheit des Schönen allem Schmerze zum Trotz erscheinen, wie von der Ximene in den Romanzen vom Cid gesagt wird: »wie war sie in Tränen schön«. Die Haltungslosigkeit des Menschen dagegen ist entweder häßlich und widrig oder lächerlich. Kinder z. B. brechen bei dem Geringfügigsten schon in Tränen aus und machen uns dadurch lachen, wogegen die Tränen in den Augen eines ernsten, gehaltenen Mannes bei tiefer Empfindung schon einen ganz anderen Eindruck der Rührung geben.
Lachen und Weinen können jedoch abstrakt auseinanderfallen und sind nun auch fälschlich in dieser Abstraktion als ein Motiv für die Kunst benutzt worden, wie der Lachchor z. B. in Webers Freischütz. Lachen überhaupt ist der Ausbruch des Herausplatzens, das jedoch nicht haltungslos bleiben darf, wenn nicht das Ideal verlorengehen soll. Von der gleichen Abstraktion ist das ähnliche Lachen in einem Duett aus Webers Oberon, in welchem einem angst und bange für die Kehle und Brust der Sängerin werden kann. Wie anders dagegen ergreift das unauslöschliche Göttergelächter im Homer, das aus der seligen Ruhe der Götter entspringt und nur Heiterkeit und nicht abstrakte Ausgelassenheit ist. Ebensowenig auf der anderen Seite darf das Weinen als haltungsloser Jammer in das ideale Kunstwerk eintreten, wie z. B. solche abstrakte Trostlosigkeit wiederum in Webers Freischütz zu hören ist. In der Musik überhaupt ist der Gesang diese Freude und Lust, sich zu vernehmen, wie die Lerche in den freien Lüften singt; Hinausschreien des Schmerzes und der Fröhlichkeit macht noch keine Musik, sondern selbst im Leiden muß der süße Ton der Klage die Schmerzen durchziehen und klären, so daß es einem schon der Mühe wert scheint, so zu leiden, um solche Klage zu vernehmen. Dies ist die süße Melodie, der Gesang in aller Kunst.
γ) In diesem Grundsatz hat auch in gewisser Beziehung das Prinzip der modernen Ironie seine Berechtigung, nur daß die Ironie einerseits häufig alles wahren Ernstes bar ist und sich vornehmlich an schlechten Subjekten zu delektieren liebt, andererseits in der bloßen Sehnsüchtigkeit des Gemütes statt des wirklichen Handelns und Seins endet; wie Novalis z. B., eines der edleren Gemüter, welche sich auf diesem Standpunkte befanden, zu der Leerheit von bestimmten Interessen, zu dieser Scheu vor der Wirklichkeit getrieben und zu dieser Schwindsucht gleichsam des Geistes hinaufgeschraubt wurde. Es ist dies eine Sehnsucht, welche sich zum wirklichen Handeln und Produzieren nicht herablassen will, weil sie sich durch die Berührung mit der Endlichkeit zu verunreinigen fürchtet, obschon sie ebensosehr das Gefühl des Mangels dieser Abstraktion in sich hat. So liegt allerdings in der Ironie jene absolute Negativität, in welcher sich das Subjekt im Vernichten der Bestimmtheiten und Einseitigkeiten auf sich selbst bezieht; indem aber das Vernichten, wie schon oben bei Betrachtung dieses Prinzips angedeutet wurde, nicht nur wie in der Komik das an sich selbst Nichtige, das sich in seiner Hohlheit manifestiert, sondern gleichmäßig auch jedes an sich Vortreffliche und Gediegene trifft, so behält die Ironie als diese allseitige Vernichtigungskunst wie jene Sehnsüchtigkeit, im Vergleich mit dem wahren Ideal, zugleich die Seite der inneren unkünstlerischen Haltungslosigkeit. Denn das Ideal bedarf eines in sich substantiellen Gehalts, der freilich dadurch, daß er sich in Form und Gestalt auch des Äußeren darstellt, zur Besonderheit und hiermit zur Beschränktheit wird, doch die Beschränktheit so in sich enthält, daß alles nur Äußerliche daran getilgt und vernichtet ist. Durch diese Negation der bloßen Äußerlichkeit allein ist die bestimmte Form und Gestalt des Ideals ein Herausführen jenes substantiellen Gehalts in die für die Kunstanschauung und Vorstellung angemessene Erscheinung.