a. Die allgemeinen Mächte des Handelns

 

γ) Den wahrhaftigen Inhalt nun also der idealen Handlung müssen nur die in sich selbst affirmativen und substantiellen Mächte abgeben. Diese treibenden Gewalten, wenn sie zur Darstellung kommen, dürfen jedoch nicht in ihrer Allgemeinheit als solcher auftreten, obschon sie innerhalb der Wirklichkeit des Handelns die wesentlichen Momente der Idee sind, sondern sie sind zu selbständigen Individuen zu gestalten. Geschieht dies nicht, so bleiben sie allgemeine Gedanken oder abstrakte Vorstellungen, welche nicht in das Gebiet der Kunst hineingehören. Sowenig sie zwar aus bloßen Willkürlichkeiten der Phantasie ihren Ursprung herleiten dürfen, sosehr müssen sie doch zur Bestimmtheit und Abgeschlossenheit fortgehen und dadurch als an sich selbst individualisiert erscheinen. Doch darf sich diese Bestimmtheit weder bis zur Partikularität des äußeren Daseins ausbreiten, noch sich zur subjektiven Innerlichkeit zusammenziehen, weil sonst die Individualität der allgemeinen Mächte auch in alle Verwicklungen des endlichen Daseins hineingetrieben werden müßte. Mit der Bestimmtheit ihrer Individualität ist es daher nach dieser Seite hin kein voller Ernst.

Als das klarste Beispiel für solche Erscheinung und Herrschaft der allgemeinen Gewalten in ihrer selbständigen Gestalt lassen sich die griechischen Götter anführen. Wie sie auch immer auftreten mögen, sie sind stets beseligt und heiter. Als individuelle, besondere Götter geraten sie zwar in Kampf, aber auch mit diesem Streit ist es ihnen letztlich nicht in dem Sinne Ernst, daß sie sich mit der ganzen energischen Konsequenz des Charakters und der Leidenschaft auf einen bestimmten Zweck konzentrierten und in dessen Durchkämpfung ihren Untergang fänden. Sie mischen sich nur hier und dort ein, machen ein bestimmtes Interesse in konkreten Fällen auch zu dem ihrigen, doch sie lassen ebensosehr das Geschäft wieder stehen und wandeln beseligt zum hohen Olymp zurück. So sehen wir die Götter Homers in Kampf und Krieg gegeneinander; dies liegt in ihrer Bestimmtheit, aber sie bleiben dennoch die allgemeinen Wesen und Bestimmtheiten. Die Schlacht z. B. beginnt zu wüten; die Helden einer nach dem anderen treten einzeln hervor; nun verlieren sich die einzelnen in dem allgemeinen Toben und Gemenge; es sind nicht mehr die speziellen Besonderheiten, die sich unterscheiden lassen; ein allgemeiner Drang und Geist braust und kämpft - und jetzt sind es die allgemeinen Mächte, die Götter selbst, welche in Kampf treten. Aus solcher Verwicklung und Differenz ziehen sie sich aber immer in ihre Selbständigkeit und Ruhe wieder zurück. Denn die Individualität ihrer Gestalt führt sie allerdings in Zufälligkeiten hinüber, doch weil das göttliche Allgemeine in ihnen das Überwiegende ist, so bleibt das Individuelle mehr nur äußere Gestalt, als daß es sie durch und durch zu wahrhaft innerer Subjektivität durchdränge. Die Bestimmtheit ist eine mehr oder weniger sich der Göttlichkeit nur anschmiegende Gestalt. Aber diese Selbständigkeit und kummerlose Ruhe gibt ihnen gerade die plastische Individualität, welche sich mit dem Bestimmten keine Sorge und Not macht. Deshalb ist auch beim Handeln in der konkreten Wirklichkeit in den Göttern Homers keine feste Konsequenz, obschon sie stets zu abwechselnder, mannigfaltiger Tätigkeit kommen, da ihnen nur der Stoff und das Interesse zeitlicher menschlicher Begebenheiten etwas zu tun geben kann. In der ähnlichen Weise finden wir bei den griechischen Göttern noch weitere eigentümliche Partikularitäten, welche sich auf den allgemeinen Begriff jedes bestimmten Gottes nicht immer zurückführen lassen: Merkur z. B. ist der Argustöter, Apoll der Eidechstöter, Jupiter hat unzählige Liebschaften und hängt die Juno an einem Amboß auf usf. Diese und so viele andere Geschichten sind bloße Anhängsel, welche den Göttern von ihrer Naturseite her durch Symbolik und Allegorie ankleben und deren näheren Ursprung wir später noch werden anzudeuten haben.

In der modernen Kunst zeigt sich zwar auch eine Auffassung bestimmter und in sich zugleich allgemeiner Mächte. Dies sind jedoch zum größten Teil nur kahle frostige Allegorien des Hasses z. B., des Neides, der Eifersucht, überhaupt der Tugenden und Laster, des Glaubens, der Hoffnung, Liebe, Treue usf., woran wir keinen Glauben haben. Denn bei uns ist es die konkrete Subjektivität allein, für welche wir in den Darstellungen der Kunst ein tieferes Interesse empfinden, so daß wir jene Abstraktionen nicht für sich selber, sondern nur als Momente und Seiten der menschlichen Charaktere und deren Besonderheit und Totalität vor uns sehen wollen. In ähnlicher Weise haben auch die Engel so keine Allgemeinheit und Selbständigkeit in sich wie Mars, Venus, Apollo usf. oder wie Okeanos und Helios, sondern sind zwar für die Vorstellung, aber als partikuläre Diener des einen substantiellen göttlichen Wesens, das sich nicht in so selbständige Individualitäten zersplittert, wie der griechische Götterkreis sie zeigt. Wir haben deshalb nicht die Anschauung vieler in sich beruhender objektiver Mächte, welche für sich als göttliche Individuen könnten zur Darstellung kommen, sondern finden den wesentlichen Gehalt derselben entweder als objektiv in dem Einen Gotte oder als in partikulärer und subjektiver Weise zu menschlichen Charakteren und Handlungen verwirklicht. In jener Verselbständigung aber und Individualisierung gerade findet die ideale Darstellung der Götter ihren Ursprung.

 


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Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
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