4. Psychologisches und Ethisches
Auch auf die menschliche Seele wird das Bild des Feuers übertragen. Die »trockene« Seele ist die weiseste und beste, sie ist ein Teil des göttlichen Urfeuers, das sie, wie der Blitz die Wolke, durchzuckt. Aber die meisten Menschen folgen - damit kehren wir zu den bereits anfangs gestreiften erkenntnistheoretischen Spuren in Heraklits Lehre zurück - nicht der Weltvernunft, die sie nicht erkennen, sondern dem eigenen Wähnen (oiêsis). Und doch sind »Augen und Ohren schlechte Zeugen (der Wahrheit), wenn sie ungebildeten Seelen angehören« Solche »feuchte« Seelen gleichen dem Trunkenen, der von einem bartlosen Knaben geführt wird und strauchelt. Aber »sein Sinn ist des Menschen Dämon«, d.h. des Menschen Charakter ist sein Schicksal. Der anthropologische Zug tritt, nach dem Erhaltenen zu urteilen, neben dem allerdings noch immer vorherrschenden kosmologischen bei Heraklit entschieden stärker hervor als bei seinen Vorgängern. Nach Laertius Diogenes zerfiel denn auch seine Schrift neben dem naturphilosophischen in einen politischen und einen - theologischen Teil. Letzteres ist wohl möglich, da die Philosophie des »dunklen« Weisen unleugbar eine religiös-mystische Färbung trägt, weshalb ihn auch E. Pfleiderer mit dem Mysterienwesen in nähere Beziehung bringen will. Wie sein Gegner Xenophanes, eifert auch er gegen die bildliche Darstellung der Götter und blutige Opfer. - Aus dem politischen Teil werden Sätze stammen wie die: »Für das Gesetz muß das Volk kämpfen wie für eine Mauer«, »Überhebung muß man löschen gleich einer Feuersbrunst« Deshalb müssen auch Strafen sein, um die Menge im Zaume zu halten. Auch auf diesem Gebiete fordert er dieselbe Unterordnung des Einzelnen unter das Allgemeine, die er auf theoretischem Gebiete verlangt. Freilich beruht das Gesetz oftmals auf dem »Rat eines Einzigen«, dem man dann um seiner überlegenen Einsicht willen Gehorsam schuldet. Erst durch solches Sichfügen unter das Allgemeine (Gesetz, Schicksal) werde dem Menschen die wahre Befriedigung (eigentlich das »Wohlgefallen«, euarestêsis) zu teil.