3. Das Urfeuer
Diese eine Ordnung der Dinge nun, die kein Gott und kein Mensch geschaffen hat, wird von ihm öfters bezeichnet als Feuer. Wie haben wir uns das zu denken? Offenbar nicht so bequem wie Aristoteles und andere altgriechische Berichterstatter, denen man früher folgte, die das Feuer einfach als Heraklits archê, in dem Sinne des Urstoffs der milesischen Naturphilosophie (§ 2), erklären. Wir wissen bei dem Mangel an Nachrichten freilich nicht sicher, ob nicht auch schon die Schule von Milet ihren »Urgrund« in geistigerer Weise aufgefaßt hat. Bei Heraklit dem Bilderreichen jedenfalls scheint das »ewig lebendige Feuer«, das der Kosmos »immer war, ist und sein wird, nach Maßen sich entzündend und verlöschend nach Maßen« kaum buchstäblich verstanden werden zu können. Freilich ganz vermag er sich der stofflichen Auffassung noch nicht zu entschlagen. Aus dem Feuer, das übrigens nicht sowohl als Flamme, sondern als feuriger Hauch (psychê) gefaßt wird, läßt seine Weltentstehungslehre als Umwandlungen (tropai) desselben erst Wasser (Flüssiges), dann Erde (Festes) hervorgehen - »der Weg nach unten« -, und umgekehrt wieder aus Erde Wasser, aus Wasser Feuer - »der Weg nach oben«, in stetem Kreislauf. Aus Feuer ist das Weltall einstmals geworden, in Feuer wird es sich dereinst auflösen, um sich alsdann aufs neue zu bilden. (Eine Lehre, die, wenn wir für »Feuer« den Feuerball des Sonnensystems setzen, der modernen Naturwissenschaft nicht allzufern steht, übrigens von manchen Gelehrten als spätere stoische Umdeutung dargestellt wird.) Dass das Urfeuer von Heraklit gleichwohl nicht rein stofflich gefaßt wurde, zeigt ein Satz wie der: »In Feuer setzt sich alles um und das Feuer in alles, wie Ware in Gold und Gold in Ware,« wo es fast nur als Symbol der Veränderung erscheint. Auch wird es anderseits mit dem Göttlichen identifiziert und mit der allwaltenden Dike oder dem Verhängnis (heimarmenê): eine Auffassung, die an das Fragment des Anaximander erinnert. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch der Spruch: »Alles lenkt (eigentlich: steuert) der Blitz.« Ob und inwieweit Heraklit das allen Gemeinsame schon als Vernunft (logos) gedacht hat, ist bei dem Zustand der Fragmente und der gleichnishaften Sprache des »Dunklen« schwer zu entscheiden. Jedenfalls nicht als zweckmäßig handelnde Macht, denn die Ewigkeit heißt einmal ein »brettspielender Knabe«, der die Steine aufbaut und wieder zusammenwirft. Auch erwähnt Sokrates, der Heraklit studiert hat, nichts von einer Weltvernunft bei ihm, und Aristoteles bezeichnet ausdrücklich Anaxagoras als den Erfinder des nous (vergl. § 8). Eher könnte er dabei das strenge, ausnahmslose Walten eines Weltgesetzes im Auge gehabt haben, das, wie bei Anaximander und Pythagoras, so auch bei Heraklit nicht nur die Sonnenbahnen, sondern auch das menschliche Leben nach Maß und Zahl bestimmt.