1. Parmenides.
Leben und Werke. Parmenides' Heimat war eben dies Elea; auch er war ein Sohn angesehener und wohlhabender Eltern. Die Angaben über seine Lebenszeit schwanken bedeutend. Nach Laert. Diog. müßte er um 540, nach der Darstellung in dem platonischen Dialoge, der seinen Namen trägt, etwa 515 geboren sein. Übereinstimmend dagegen war das Altertum in dem Lobe seiner Persönlichkeit. Plato nennt ihn den »Großen«, »ehrwürdig und erhaben«, »von einer edlen Tiefe« Aristoteles zieht ihn wenigstens den übrigen Eleaten vor.
Von anderer Seite wurde ihm eine »pythagoreische« Lebensführung nachgerühmt. Auch auf Sitten und Gesetzgebung seiner Vaterstadt soll er wohltätig eingewirkt haben. Er war ein Schüler des Xenophanes, ist aber auch mit den Pythagoreern in nähere Berührung gekommen, während ihn die heraklitische Lehre am unmittelbarsten angeregt, d.h. zum Widerspruch aufgefordert hat. - Von seinem Lehrgedicht peri physeôs sind ziemlich ansehnliche Bruchstücke, im ganzen 155 meist zusammenhängende Verse (Hexameter) erhalten. Gleich der Eingang (32 Verszeilen) ist von seltener Schönheit der Sprache und des Gedankens. Der Dichter wird von Rossen, denen die Töchter des Sonnengottes den Weg zeigen, hoch, in den Äther emporgetragen zu dem Heiligtum der Wahrheit. Dort begrüßt ihn die Göttin und verspricht, falls ihn allein die Liebe zur Gerechtigkeit und Wahrheit hierher geführt, ihm alles zu verkünden: sowohl die ewige Wahrheit als auch die trüglichen Meinungen der Menschen. Dementsprechend zerfällt das Gedicht in zwei Teile: 1. die Lehre von der Wahrheit, 2. die Lehre vom Schein.
1. Seinslehre. Zur Wahrheit führen, wie Parmenides übereinstimmend mit seinem Gegner Heraklit, ja noch schärfer als dieser hervorhebt, nicht die Sinne, die uns Vielheit und Veränderung der Dinge vorspiegeln, sondern nur die Vernunft oder das Denken (ho logos, to noein), welches das Sein des Seienden als notwendig, das des Nichtseins als unmöglich erkennt. Denn, so lautet sein Kernsatz, die Wahrheit liegt in der Erkenntnis, dass nur das Seiende ist und das Nichtseiende nicht ist, der Schein in der trüglichen Meinung, dass auch das Nichtsein sei. Nur die rat - und urteilslose »doppelköpfige« Menge, taub und blind zugleich, kann Sein und Nichtsein (d. i. Werden) für ein und dasselbe erklären, wie mit deutlicher Anspielung auf die Herakliteer gesagt wird. Nur ein Seiendes kann gedacht werden, und kein Denken ohne das Seiende, von dem es ausgesagt ist; ja Parmenides erhebt sich zu der kühnen Abstraktion: dasselbe ist Denken und Sein. Doch, wie rein logisch dies auch klingen mag, vom Stofflichen kann auch der Eierte sich nicht gänzlich freimachen. Auf diesen Begriff des reinen Seins werden alsbald die Eigenschaften übertragen, welche schon die früheren Philosophen von ihren Urgründen ausgesagt hatten. Es ist erhaben ob Raum und Zeit, ungeworden, unzerstörbar und unversehrbar, eingeboren, unbeweglich, ewig. Und noch weitere: es war nie und wird nicht sein, sondern ist, als ein zusammenhängendes (xyneches) Ganzes. Es heißt weiter unteilbar und allgegenwärtig, ohne Ende, überall sich selbst gleich und in sich vollendet und abgeschlossen, »der Masse einer wohlgerundeten, von der Mitte nach allen Seiten gleichstarken Kugel vergleichbar.«
2. Physik. Parmenides fühlte nun offenbar den Widerspruch zwischen diesem aus dem rein begrifflichen Denken gewonnenen Grundsatz des unteilbaren Seins und der viel gestalteten Wirklichkeit. Auf die Seinslehre seines ersten Teils folgt daher in dem zweiten ein Eingehen auf die, wenn auch »trügerischen, Meinungen der Sterblichen«, d.h. ihre sinnlichen Wahrnehmungen, eine Art bedingungsweiser Physik, die auf dem Boden der Erscheinungswelt steht, auf die »Worte der Wahrheit« die »Worte der Meinung« Hier gibt er denn auch, dem Beispiele seiner Vorgänger folgend, eine Weltbildungstheorie. Er geht dabei von zwei Urstoffen aus, die an die erste Ausscheidung des Anaximander, teilweise auch an Heraklit erinnern. Dem ätherischen, lichten, leichten Element des überall sich selbst gleichen Feuers tritt ein zweites gegenüber: die dichte, dunkle, schwere Masse, aus der die Erde entstanden ist. Jenes stellt das wirkende, dieses das leidende Prinzip dar. Die Vermischung beider erfolgt seitens einer alles lenkenden Gottheit durch den ersten Erreger aller Dinge, den Eros (Liebestrieb). Von der dann weiter folgenden Lehre über die Entwicklung der Welt und Entstehung des Menschen sind uns leider nur einzelne Verse erhalten. Von psychologischem Interesse ist die Bemerkung, daß, wie das All, so auch des Menschen Sinnesart aus beiden Elementen gemischt sei, doch so, dass das (übrigens noch ganz naiv materialistisch abgeleitete) Geistige vorwiege. Eine gedankliche Vermittlung zwischen der Lehre vom Sein und der vom Schein ist zwar von einzelnen neueren Forschern angenommen worden, aber aus dem Erhaltenen nicht ersichtlich, ja vielleicht nicht einmal von Parmenides selbst angestrebt worden.
Literatur: Parmenides Lehrgedicht, griechisch und deutsch mit Kommentar, hrsg. von Diels. Berlin 1894.