2. Die Atomlehre


Der bekannteste und hervorstechendste Teil von Demokrits Philosophie ist der physikalische, seine Lehre von den Atomen, die von ihm, wenn nicht begründet, so doch zuerst voll ausgebildet, das Fundament der modernen Physik geworden ist (vgl. F. A. Lange a. a. O. und besonders das S. 8 genannte Werk von Kurd Laßwitz).

Mit den Eleaten hält Demokrit an einem ewigen, in allem Wechsel beharrenden Seienden fest. Diese Welt des Seienden besteht aber aus unendlich vielen Substanzen. Das All ist in zahllose kleinste, mit den Sinnen nicht mehr wahrnehmbare, Körperchen geteilt, die, weil nicht mehr weiter teilbar, von ihm Atome (atoma) genannt werden. Ihnen legt er die Eigenschaften des anaximandrischen 'Apeiron und des eleatischen 'On bei: ungeworden, unvergänglich, dazu voll (mesta) und körperlich. Sie sind gleichsam das in unendlich viele Teile zerschlagene on der Eleaten. Ohne sinnliche Qualität, sind sie verschieden nur an Gestalt, Lage und Größe, ihre Unterschiede also rein geometrische; der der Größe übrigens nur ein idealer, da sie ja nicht wahrnehmbar und offenbar nur erdacht sind, um die Mannigfaltigkeit des Seienden erklären zu können. Sie heißen auch schêmata oder ideai, d. i. Formen oder Gestalten. Damit nun ihre Bewegung ermöglicht werde, nimmt Demokrit neben dem »Vollen« ein »Leeres«, also einen leeren Raum an. Die Bewegung der Atome durch diesen leeren Raum ist eine ewige; ob sie nach Demokrit durch die Schwere bewirkt und ursprünglich, wie Epikur will, senkrecht war, ist zweifelhaft. Durch das An- und Abprallen der Atome entstehen Seiten-, Kreis- und Wirbelbewegungen, wobei sich die leichteren nach außen, die größeren und schwereren im Inneren zusammenschließen. So ist der Anfang der Weltenbildung gegeben. Wir gehören nur einer dieser zahllosen Welten an. Aus den zur Mitte sich niedersinkenden schwereren Atomen entstand in ihr unsere Erde, aus den emporsteigenden leichteren Himmel, Luft und Feuer. Die aus diesen sich ausscheidenden dichteren Massen wurden durch schnelle Bewegung glühend und zu Gestirnen.

Wie weit der Philosoph von Abdera seine atomistische »Hypothese« - so bezeichnet sie schon Aristoteles - auch für die Biologie fruchtbar gemacht hat, läßt sich aus der spärlichen Überlieferung nicht mit Sicherheit erkennen. Dass er es getan, ergibt sich u. a. aus der Erklärung des Pflanzenwachstums, die Aristoteles Phys. IV 6 von ihm berichtet, und vor allem aus seiner psychologischen Theorie (s. unten S. 57 f.). Jedenfalls ist die von ihm begründete quantitative Naturauffassung von grundlegender Bedeutung für die gesamte moderne Naturwissenschaft geworden. »Aus der Atomistik erklären wir heute die Gesetze des Schalles, des Lichtes, der Wärme, die chemischen und physikalischen Veränderungen im weitesten Umfange« (Lange a. a. O. S. 15).

Der Atomismus stellt zugleich eine streng mechanische Weltanschauung dar. Aus der Welt der Atome ist jeder Zufall und jede etwa hinter ihr stehende, nach bewußten Zwecken handelnde Gottheit ausgeschlossen. »Die Menschen haben sich ein Trugbild vom Zufall ersonnen, zur Beschönigung für ihre eigene Unvernunft,« sagt Demokrit, und: »Nichts geschieht zufällig, sondern alles aus einem Grunde und unter dem Zwang der Notwendigkeit« (ek logou te kai hyp' anankês). Er verspottete deshalb auch Anaxagoras' teleologische Lehre vom Nus. Ist nun deshalb Demokrits Weltanschauung als ein folgerichtiges System des reinen Materialismus zu betrachten, wie es vielfach geschieht, oder gar als Sensualismus, weil er die Wahrheit »in den Erscheinungen« (Arist, de gen. et corr. I, 2) gesucht habe?


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