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I. [Unterschied des gleichen Geldquantums als Teil eines großen und eines kleinen Besitzes; die konsumtive Preisbegrenzung]


In dem Wesen dieses Superadditums, wenn es so richtig gedeutet ist, liegt es, daß es um so stärker hervortreten muß, je vollständiger jene Chance und Wahlfreiheit seiner Verwendung vermöge der Gesamtlage seines Besitzers realisierbar wird. Dies ist am wenigsten bei dem Armen der Fall: denn dessen Geldeinkommen ist, weil es nur für die Notdurft des Lebens ausreicht, von vorn herein determiniert und läßt der Auswahl unter seinen Verwendungsmöglichkeiten nur einen verschwindend kleinen Spielraum. Derselbe erweitert sich mit steigendem Einkommen, so daß jeder Teil des letzteren das Superadditum in dem Maß erwirbt, in dem er von den zur Befriedigung des Notdürftigen, Generellen und Vorherbestimmten erforderlichen Teilen absteht; d.h. also, jeder zu der bereits bestehenden Einnahme hinzukommende Teil besitzt einen höheren Zusatz jenes Superadditums - natürlich unterhalb einer sehr hoch gelegenen Grenze, oberhalb welcher jeder Einkommensteil in dieser Hinsicht gleichmäßig qualifiziert ist. An diesem Punkte kann man die fragliche Erscheinung in einer speziellen Konsequenz ergreifen, und zwar auf Grund einer, wie mir scheint, auch sonst folgenreichen Überlegung. Viele Güter sind in solcher Masse vorhanden, daß sie von den zahlungsfähigsten Elementen der Gesellschaft nicht konsumiert werden können, sondern, um überhaupt abgesetzt zu werden, auch den ärmeren und ärmsten Schichten angeboten werden müssen. Deshalb dürfen derartige Waren nicht teurer sein, als diese Schichten im äußersten Falle zu zahlen imstande sind. Dies könnte man als Gesetz der konsumtiven Preisbegrenzung bezeichnen: eine Ware kann niemals teurer sein, als die unbemitteltste soziale Schicht noch bezahlen kann, der sie wegen ihrer vorhandenen Menge noch angeboten werden muß. Man möchte hierin eine Wendung der Grenznutzentheorie aus dem Individuellen in das Soziale erblicken: statt des niedrigsten Bedürfnisses, das noch mit einer Ware gedeckt werden kann, wird hier das Bedürfnis des Niedrigsten für die Preisgestaltung maßgebend. Diese Tatsache bedeutet einen ungeheuren Vorteil für den Wohlhabenden. Denn dadurch stehen auch ihm nun gerade die unentbehrlichsten Güter zu einem weit niedrigeren Preise zur Verfügung, als er dafür erlegen würde, wenn man es ihm nur abverlangte; dadurch, daß der Arme die einfachen Lebensmittel kaufen muß, macht er sie für den Reichen billig. Wenn dieser selbst einen proportional ebenso großen Teil seines Einkommens an die primärsten Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleider) wenden müßte, wie der Arme, so würde er noch immer, absolut genommen, mehr für Luxuswünsche übrig behalten als dieser. Allein er hat dazu noch den additionellen Vorteil, daß er seine nötigsten Bedürfnisse mit einem relativ viel kleineren Teil seines Einkommens decken kann. Mit dem darüber hinausreichenden nun hat er die Wahlfreiheit in der Verwendung des Geldes, die ihn zum Gegenstand jener, sein tatsächliches ökonomisches Können überragenden Achtung und Bevorzugung macht. Die Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter Möglichkeiten umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und zweifellos in sehr bestimmte Zwecke einmünden. In seiner Hand sind sie also gar nicht in demselben reinen und abstrakten Sinne »Mittel«, wie in der des Reichen, weil der Zweck schon sogleich in sie hineinreicht, sie färbt und dirigiert, weshalb denn auch unsere Sprache sehr feinfühlig erst den mit erheblichen Geldmitteln Ausgestatteten überhaupt als »bemittelt« bezeichnet. Die mit diesen verbundene Freiheit führt noch nach anderen Seiten hin zu einem Superadditum. Wo öffentliche Funktionäre nicht besoldet werden, ist der Erfolg der, daß nur wohlhabende Leute führende Stellen bekleiden können; so mußte etwa der General des achäischen Bundes nicht weniger als - wenigstens bis vor kurzem - ein englisches Parlamentsmitglied ein wohlhabender Mann sein, und so bildet sich in Ländern, die ihre Beamten sehr niedrig bezahlen, oft eine völlige Plutokratie, eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien heraus. Während die Unbesoldetheit der Stellungen das Geldinteresse von dem Interesse des Dienstes scheint lösen zu sollen, wird so gerade die Beamtenstellung mit allen Ehren, Macht und Chancen, die sie bietet, zu einem Annex des Reichtums. Und daß sich dies an die Geldform desselben knüpft, liegt nahe, weil nur diese wegen ihrer teleologischen Indifferenz der Persönlichkeit die ganz freie Disposition über ihre Zeit, Aufenthaltsort und Betätigungsrichtung läßt. Wenn der Reichtum, wie wir oben sahen, an sich schon Ehrungen erwirbt und, den Doppelsinn des »Verdienstes« mißbrauchend, sich einer Art moralischer Schätzung erfreut, so verdichtet sich dies bei unbesoldeten Staatsfunktionen zu dem, dem Armen unerreichbaren, Machtbesitz der führenden Ämter. Und mit diesen ist nun wieder das weitere Superadditum des Ruhmes patriotischer Aufopferung verbunden, der sicher oft verdient ist, aber auch auf ganz andere als ethische Motive hin dem bloßen Geldbesitz sozusagen auf rein technischem Wege zu Gebote steht. Das Gleiche noch eine Stufe höher hinaufverfolgend, sehen wir, wie Ende des Mittelalters, z.B. in Lübeck, wohlhabende Leute sich gern an mehreren Bruderschaften beteiligten, um dadurch um so sichrer für ihr Seelenheil zu sorgen. Die mittelalterliche Kirche stellte auch für den Gewinn der religiösen Güter technische Wege zur Verfügung, die nur für den Reichen gangbar waren und zunächst einmal noch jenseits ihres transzendenten Zieles ein Quantum irdischen Ansehens und Vorteils, wie jene Teilhaberschaft an mehrerlei Bruderschaften, als ihre unbezahlte Zugabe mit sich brachten. Mehr nach einer rein psychologischen Seite hin zeitigt das Überschreiten der vorhin bezeichneten Vermögensgrenze das folgende Superadditum. Bei einem oberhalb ihrer stehenden Vermögen spielt die Frage, was ein begehrter Gegenstand kostet, in vielen Fällen überhaupt keine Rolle mehr. Das besagt viel mehr und tieferes, als der gewöhnliche Sprachgebrauch mit diesem Ausdruck verbindet. So lange nämlich das Einkommen noch in der angedeuteten Weise irgendwie für bestimmte Verwendungen festgelegt ist, ist jede Ausgabe unvermeidlich mit dem Gedanken der für sie erforderten Geldaufwendung belastet; für die Mehrzahl der Menschen schiebt sich zwischen Wunsch und Befriedigung noch die Frage: was kostet es? und bewirkt eine gewisse Materialisierung der Dinge, die für den wirklichen Geldaristokraten ausgeschaltet ist. Wer Geld über ein bestimmtes Maß hinaus besitzt, gewinnt damit noch den zusätzlichen Vorteil, es verachten zu können. Die Lebensführung, die nach dem Geldwert der Dinge überhaupt nicht zu fragen braucht, hat einen außerordentlichen ästhetischen Reiz, sie kann sich über Erwerbungen nach nur sachlichen, ausschließlich von dem Inhalt und der Bedeutung der Objekte abhängigen Gesichtspunkten entscheiden. In so vielen Erscheinungen die Herrschaft des Geldes auch die Eigenartigkeit der Dinge und deren Bewußtsein herabsetzen mag, so sind doch auch die anderen unverkennbar, in denen das Geld diese steigert: Qualitäten der Objekte haben mindestens die psychologische Chance - so selten sie realisiert sein mag um so individueller hervorzutreten, je mehr das ihnen Gemeinsame, der ökonomische Wert, auf ein außer ihnen stehendes Gebilde projiziert und in ihm lokalisiert Ist. Indern nun jene Lebensführung nach dem Geld nicht fragt, entgeht sie den Ablenkungen und den Schatten, die der rein sachlichen Qualität und Wertung der Dinge durch die dieser innerlich ganz fremde Beziehung auf ihren Geldpreis kommen. Wo also selbst der etwas weniger Bemittelte denselben Gegenstand kaufen kann, wieder ganz Reiche, genießt dieser noch das psychologische Superadditum einer Leichtigkeit, Unmittelbarkeit, Unabgelenktheit des Erwerbes und Genusses, die jenem durch die vor- und mittönende Geldopferfrage getrübt wird. Wenn wir nachher sehen werden, daß die Blasiertheit gerade umgekehrt die Abstumpfung gegen die Besonderheiten und sachlichen Reize der Dinge zum Schatten des Geldreichtums macht, so ist dies kein Beweis gegen jenen Zusammenhang, sondern nur einer für das Wesen des Geldes: durch seine Entfernung von jeder eigenen Bestimmtheit die völlig entgegengesetzt verlaufenden Fäden des inneren und äußeren Lebens aufzunehmen und jedem in der ihm eigenen Richtung ein Werkzeug entschiedenerer Herausbildung und Darstellung zu sein. Darin liegt die unvergleichliche Bedeutung des Geldes für die Entwicklungsgeschichte des praktischen Geistes; mit ihm ist die bisher äußerste Verminderung der Besonderheit und Einseitigkeit aller empirischen Gebilde erreicht. Was man die Tragik der menschlichen Begriffsbildung nennen könnte: daß der höhere Begriff die Weite, mit der er eine wachsende Anzahl von Einzelheiten umfaßt, mit wachsender Leere an Inhalt bezahlen muß, gewinnt im Gelde sein vollkommenes praktisches Gegenbild, d.h. die Daseinsform, deren Seiten Allgemeingültigkeit und Inhaltslosigkeit sind, ist im Geld zu einer realen Macht geworden, deren Verhältnis zu aller Entgegengesetztheit der Verkehrsobjekte und ihrer seelischen Umgebungen gleichmäßig als Dienen wie als Herrschen zu deuten ist. Das Superadditum des Geldbesitzes ist nichts als eine einzelne Erscheinung dieses, man möchte sagen, metaphysischen Wesens des Geldes, daß es über jede Einzelverwendung seiner hinausreicht und, weil es das absolute Mittel ist, die Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt.


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