I. [Das Geld vermöge seines reinen Mittelcharakters als Domäne der Persönlichkeiten, die dem sozialen Kreise unverbunden sind]

Aus dem Wirkungsbereich dieses Verhältnisses will ich nur noch eine zweite Reihe herausheben. Die über alle spezifischen Zwecke erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, daß es das Interessenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und Klassen wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und spezifischen Zielen ausschließt. Daß den römischen Freigelassenen die volle bürgerliche Stellung mit allen ihren Chancen fehlte, bewirkte es, daß sie sich mit Vorliebe auf das Geldgeschäft warfen; und schon in Athen hatte, bei dem ersten Aufkommen reinen Geldhandels im 4. Jahrhundert, der reichste Bankier, Pasion, seine Laufbahn als Sklave begonnen. In der Türkei sind die Armenier, ein verachteter und oft verfolgter Volksstamm, vielfach die Händler und Geldleute - gerade wie es in Spanien unter ähnlichen Verhältnissen die Moriskos waren. In Indien sind diese Erscheinungen häufig: einerseits sind die sozial sehr zurückgedrängten und sonst mit scheuer Zurückhaltung auftretenden Parsen meistens Wechsler oder Bankiers, andrerseits, in manchen Teilen Südindiens, sind die Geldgeschäfte und Reichtümer in den Händen der Tschettis, einer Mischkaste, die wegen mangelnder Kastenreinheit ein sehr geringes Ansehen hat. So warfen sich die Hugenotten in ihrer exponierten und eingeengten Stellung mit größter Intensität auf den Gelderwerb, wie die Quäker in England. Vom Gelderwerb als solchem kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmäßig zu ihm führen, am wenigsten jemanden prinzipiell ausschließen. Vom reinen Geldgeschäft deshalb nicht, weil es weniger technischer Vorbedingungen bedarf, als jeder andere Erwerb, und sich deshalb leichter der Kontrolle und dem Eingriff entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in der Regel in einer Notlage ist, in der er schließlich auch die sonst verachtetste Persönlichkeit und den sonst gemiedensten Schlupfwinkel aufsucht. Und weil der in irgendeinem Sinne Rechtlose gerade vom Gebiet der bloßen Geldinteressen nicht fernzuhalten ist, entsteht zwischen beiden Bestimmungen eine Assoziation, die in mehrfachen Richtungen wirksam wird: so droht einerseits dem bloßen Geldmenschen leicht eine soziale Deklassierung, deren Fühlbarkeit er oft nur durch seine Macht und Unentbehrlichkeit entgeht, und so wurde andrerseits den fahrenden Leuten des Mittelalters, die allenthalben schlechtes Recht hatten, doch in Geldsachen unparteilich Recht gemessen. Eben derselbe Erfolg muß eintreten, wenn die Ausschließung sozialer Elemente von den Rechten und Genüssen der Vollbürger nicht mehr durch juristische oder ihnen sonst oktroyierte Bestimmungen, sondern durch freiwilligen Verzicht ihrerseits geschieht. Als die Quäker schon die volle politische Gleichberechtigung hatten, schlössen sie sich selbst von den Interessen der anderen aus: sie schwuren nicht, konnten also keine öffentlichen Ämter übernehmen, sie verschmähten alles, was mit dem Schmuck des Lebens zusammenhängt, sogar den Sport, sie mußten sogar den Landbau aufgeben weil sie den Kirchenzehnten verweigerten. So waren sie, um überhaupt noch ein äußeres Lebensinteresse zu haben, auf das Geld hingewiesen, als auf das einzige, zu dem sie sich den Zugang nicht versperrt hatten. Ganz entsprechend hat man über das herrenhuterische Leben bemerkt, daß ihm aller ideale Gehalt von Wissenschaften, Künsten, heiterer Geselligkeit fehle, und es so neben dem religiösen Interesse nur noch die nackte Erwerbslust als praktischen Impuls bestehen lasse. Die Betriebsamkeit und Habsucht vieler Herrenhuter und Pietisten sei deshalb kein Anzeichen von Heuchelei, sondern von einem kranken, vor den Kulturinteressen flüchtigen Christentum, von einer Frömmigkeit, die nichts irdisch Hohes neben sich duldet, sondern eher noch ein irdisch Niedriges. Ja selbst für die entgegengesetzten Stufen der sozialen Skala bleibt es verhängnisvoll, daß nach Wegfall aller anderen Interessen das am Gelde noch immer als letzte, zäheste, überlebendste Interessenschicht beharrt. Daß der französische Adel des ancien régime sich von seinen sozialen Pflichten zurückzog, lag an der wachsenden Zentralisierung des Staates, der die Verwaltung des bäuerlichen Gebietes selbst in die Hand genommen hatte. Indem der Staat dem Adel alle inhaltlich wertvollen Herrschaftsfunktionen abnahm, hatte für diesen der Güterbesitz keine andere Bedeutung mehr, als: möglichst viel Geld herauszuschlagen. Dies war der letzte, ihm nicht wegzunehmende Interessenpunkt, und auf ihn reduzierte sich deshalb alles, was sonst an lebendiger Verbindung zwischen Adel und Bauer bestanden hatte und wovon der erstere nun abgedrängt war. Macht aber jene nicht zu raubende Möglichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial benachteiligter und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die Macht des Geldes, Stellungen, Einfluß, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamtenqualität, bestimmten, ihnen vorenthaltenen Berufen, der Persönlichkeitsentfaltung, ausgeschlossen ist. Denn weil das Geld zwar bloßes Mittel, dieses aber auch in absolutem Maße ist, und so jede Präjudizierung durch irgendeine sachliche Bestimmtheit ablehnt, so ist es ebenso der unbedingte terminus a quo zu allem hin, wie es der unbedingte terminus ad quem von allem her ist. Darum treten ganz entsprechende Erscheinungen auf, wo kein Ausschluß einer Gruppenabteilung von den Zweckreihen der anderen vorliegt, sondern die gleiche teleologische Formung sich auf die ganze Gruppe erstreckt. Von den Spartanern, denen alle eigentlich ökonomischen Interessen untersagt waren, wird doch eine auffallende Geldgier berichtet. Es scheint, daß die Leidenschaft nach einem Besitz, dessen Verteilung die lykurgische Verfassung unpraktisch geordnet hatte, gerade da herausbrach, wo er am wenigsten spezifischen Charakter trug und seine Einschränkung also am undurchführbarsten war. Auch wird erwähnt, daß in bezug auf den realen Genuß des Besitzes in. Sparta lange kein Unterschied zwischen Arm und Reich war, daß die Reichen nicht besser lebten als die Armen: um so mehr mußte sich die Pleonexie auf den bloßen Besitz des Geldes werfen! Auf ganz andere Momente hin ist die gleiche Grundkonstellation wirksam, wenn ein Fragment des Ephoros besagt, Ägina wäre deshalb ein solcher Haupthandelsplatz geworden, weil die Unfruchtbarkeit des Bodens die Einwohner auf den Handel hingewiesen hätte und Ägina war die erste Stelle im eigentlichen Hellas, wo überhaupt Geldmüntzen geprägt wurden! Weil das Geld der gemeinsame Schnittpunkt der Zweckreihen ist, die von jedem Punkt der ökonomischen Welt zu jedem anderen laufen, so nimmt es jeder von jedem. Zu der Zeit, als der Fluch der » Unehrlichkeit« am schwersten auf bestimmten Berufen lastete, nahm man dennoch Geld sogar vom Henker, wenngleich man möglichst einen Ehrlichen suchte, von dem man es zuerst anfassen ließ! Von der Einsicht in diese alles überwindende Macht aus verteidigte Macaulay die Emanzipation der Juden damit, daß es ein Widersinn wäre, ihnen die politischen Rechte vorzuenthalten, da sie vermöge ihres Geldes die Substanz derselben doch besäßen. Sie könnten Wähler kaufen, Könige lenken, als Gläubiger ihre Schuldner beherrschen, so daß politische Rechte nichts als die formale Vollendung von dem wären, was sie schon hätten. Um ihnen das politische Recht wirklich zu nehmen, müßte man sie ermorden und berauben; ließe man ihnen aber ihr Geld, so we may take away the shadow, but we must leave them the substance - ein für die teleologische Drehung des Geldbegriffes höchst charakteristischer Ausdruck; denn rein inhaltlich möchte man die soziale, politische, personale Position doch als einen realen und substanziellen Wert, das Geld aber, die an sich leere Symbolisierung anderweitiger Werte, als den bloßen Schatten bezeichnen!